Nachdem er jahrelang sein eigener Verleger war, kann sich Guy Rewenig – seit es Ultimomondo nicht mehr gibt – wieder ganz seiner schriftstellerischen Tätigkeit widmen. Sein Neustart mit einer Sammlung rein dialogisch verfasster Geschichten bei Éditions Guy Binsfeld ist zugleich eine Anknüpfung an Altbekanntes, nämlich an die Freundschaft mit Roger Manderscheid, die sich fast leitmotivisch durch Rewenigs Veröffentlichungen der letzten Jahre zieht. Der Titel des neuen Buches, Déi bescht Manéier, aus der Landschaft ze verschwannen, ist eine Anspielung auf Manderscheids Künstlerroman kasch, der den Untertitel trägt: e genie verschwënnt an der landschaft. Dem Vernehmen nach verwies Rewenig anlässlich der offiziellen Vorstellung des Buches auch auf seinen 2010 erschienenen Dialog manderscheid. ein stilleben. Die Grundkonstellation für die neuen Geschichten ist tatsächlich sehr ähnlich: Die Dialogpartner verschrauben sich in absurden bis grotesken Gesprächen, in denen sie mehr aufeinander ein- oder aneinander vorbeireden, als tatsächlich aufeinander einzugehen.
Das stimmt umso mehr, als sich viele der Figuren als unzuverlässige Auskunftgeber erweisen. Sie vergessen die Pointen ihrer Witze, verwechseln Gegenwärtiges mit Erinnerungen und trauen sich manchmal nicht einmal selbst über den Weg. „Gesinn ech d’Männercher“, fragt Félicie ihren Mann Henri in der Titelgeschichte immer wieder, als brauche sie eine zweite Perspektive, um sich der eigenen Wahrnehmung zu vergewissern.
Die Figuren sind aufeinander angewiesen, sie geben einander einen letzten Halt in Umgebungen, in denen sie sich nicht zurechtfinden, Félicie und Henri etwa in dem Hightech-Kurhotel, in dem sich sogar der Kleiderschrank nur über ein hypersensibles Touchpad öffnen lässt. In „Laffmi pliis laffmi“ verlangt eine Frau wie zur Absicherung unaufhaltsam Liebesbeteuerungen von ihrem Partner, die sie allerdings, je bereitwilliger diese geleistet werden, immer stärker verunsichern. Von trauter Zweisamkeit keine Spur. Die meisten Dialogpartner gehen in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit vollkommen auf; sie brauchen den anderen wie die Luft zum Atmen, fühlen sich aber gleichzeitig von ihm in Frage gestellt und bedroht.
Am schönsten ist dieses zwiespältige Verhältnis vielleicht in dem ersten Text des Bandes dargestellt: In „Reservéiert Plazen“ treffen sich zwei Rentner täglich zum Essen in der Kantine eines Altenheims. Ihr Leben ist auf eine genau berechnete Routine zusammengeschrumpft, in der kleinste Unterschiede zu monströsen Störfaktoren aufgeblasen werden. „Ech wëll jo näischt soen, Abbes“, beginnt der Dialog, „awer du hues eng komesch Manéier, deng Rullad an der Zooss ze wänzelen.“ Die folgende Auseinandersetzung mit ihren ellenlangen Verwirrungen und Verknotungen wirkt zunächst drollig, weil der Leser noch nicht absehen kann, welche existentielle Bedeutung solchen Unterstellungen in Rewenigs Geschichten zukommt. In Wahrheit heben sich in der Belanglosigkeit dieser Rentnerexistenz alle wesentlichen Unterschiede zwischen den Figuren auf. Sie folgen dem gleichen Tagesablauf, bekommen das gleiche Essen, sehen die selben Leute. Wie weiß man da noch, wer man selber ist? Womöglich verbirgt sich hinter diesem ziellosen Dasein, dem täglichen Dahinvegetieren in absoluter Gleichförmigkeit, eine Identitätskrise, die eine – wenn auch eingebildete oder vorgetäuschte – Bedrohung von außen heraufbeschwören muss, damit ein Gefühl für die Grenzen des eigenen Ichs bestehen bleiben kann. So streiten sich die Rentner darüber, wer mehr Soße auf dem Teller hat und wer das größere Zimmer, so verhandeln sie zentimetergenau über den ihnen jeweils zustehenden Platz auf dem Esstisch.
In einer anderen Geschichte mit dem Titel „Zonk“ beteuert ein Mann seinen Plan, einen überdimensionierten Zaun um sein Grundstück zu bauen, um sich vor hinterhältigen Gemüsedieben zu schützen. In seiner Paranoia stellt er sich widerborstige Muflons vor, die im Garten wildern, während Firmen für Dachreinigungen an seiner Haustür vorstellig werden, um ihn abzulenken („eng Mafia“).
Rewenig setzt diese Identitätskrise in einen überindividuellen Kontext, der an die politischen Debatten der letzten Monate erinnert. In „Scho fréi mueres an den Hecken“ erhält ein Arbeitsloser den Auftrag, die Spatzenbevölkerung des sogenannten „Spatzebongert“ zu beobachten und jede kleinste Regung in einer Tabelle zu verzeichnen. Dabei sollen nur die luxemburgischen Spatzen erfasst werden; die „dissonnant Téin“ fremder Spatzen, die sich in die „Heemechtsmelodi“ mischen, soll der Mann getrost ignorieren. Auch hier also eine vermeintliche Bedrohung von außen: „Geschwë gëtt et kee Bam méi, keng Heck a kee Strauch, wou eis Lëtzebuerger Spatze fräi an ongenéiert dat si kënnen, wat si ëmmer waren [...].“
Vielleicht ist es bei den vielen Wiederholungen und Idées fixes der Figuren unvermeidlich, dass sich beim Lesen – bei allem, was man diesem Buch an Originalität und Konsequenz zugute halten muss – vor allem in den längeren Texten gelegentlich ein gewisser Überdruss einstellen kann. Rewenig schreibt diese Dialoge in knappen, harten Sätzen, in einer Sprache, die eine noch radikalere Lakonie anstrebt als die Romane, die der Autor unter dem Pseudonym „Tania Naskandy“ veröffentlicht hatte. Eine solche Sprache tut auch not, wo sich die Gespräche im Kreis und um lauter Nichtigkeiten und Hirngespinste drehen.
Der Tod, dieses „Verschwinden aus der Landschaft“, diese ultimative Bedrohung von außen, wird derweil gar nicht beim Namen genannt. Er scheint am Ende des Buches in einer bewährten Rewenig-Metapher auf, als Félicie und Henri im Zug nach Hause sitzen und sich auf einmal wundern, warum es so still wird und der Zug nicht mehr aus dem Tunnel herausfindet.