Man würde sie so wahnsinnig gern mögen, die wirklich überaus attraktive Dame auf dem Autorenfoto. Wilde Locken, schicke Brille, akkurat gezupfte Augenbrauen – und so ein überlegenes, dabei aber völlig entspanntes Lächeln, dass man unwillkürlich denkt: Ja, einem autobiografisch eingefärbten Roman dieser schon optisch so einnehmenden Person würde man ohne weiteres ein paar Stunden Unterhaltungslektüre opfern, selbst wenn man sich sonst eher weniger für das Genre interessiert.
Die Bezeichnung für dieses Genre lautet „Frauenroman“ und ist – ob zu Recht oder zu Unrecht mag an dieser Stelle unerörtert bleiben – mit allerlei Vorurteilen belastet. Man kann an derartige Bucherzeugnisse zum Beispiel die Erwartung herantragen, die Hauptfigur müsse eine Frau sein, die eine Art von Entwicklungsroman durchlaufe, um an dessen Ende so etwas wie ihre Selbstverwirklichung zu erreichen: Hier ist es Anna, eine junge Frau Anfang zwanzig, die eine schnarchlangweilige Stelle bei einem nicht weiter spezifizierten „Amt“ hat, aber eigentlich Sängerin werden will. Des Weiteren rechnet man mit allerlei Irrungen und Wirrungen in Liebesdingen: Nach einem mauen Anbandelungsversuch mit Bernie, der in der Band ihres Freundes Edwin spielt, lernt Anna bald Colin kennen, einen charismatischen Amerikaner, der sich nach seinem Abgang von der Air Force als Musiker durchzuschlagen versucht. Colin ist attraktiv, ein toller Sänger, aber leider auch ein konsequenter Egoist. Er lässt Anna für eine mutmaßliche Boyband-Karriere in England sitzen. Immerhin bringt er sie dazu, den Job auf dem „Amt“ aufzugeben und sich ernsthaft um Stimmbildung und eine Gesangskarriere zu bemühen.
Nach Colin kommt Garrett. Der ist Pilot bei der Air Force, sieht noch besser aus als Colin, kann kochen und sogar perfekt Deutsch sprechen. Das Problem: Er bringt zu wenig Verständnis für Annas Lebenstraum auf. Mittlerweile ist sie nämlich schon mehr als nur eine Aushilfssängerin bei Dorffesten. Es kommt, wie es kommen muss: Der nahezu perfekte Mann bekommt einen Korb.
Nach Garrett kommt Ali. Anna hat das Angebot eines noblen Hotels im Nahen Osten angenommen, drei Monate in der Hotelbar zu singen. Ali ist der Mann ihrer Träume (buchstäblich!), aber natürlich gibt es auch hier ein Hindernis: Er ist Araber und Anna für ein Leben hinter dem Schleier wahrlich nicht geschaffen.
Und die Moral von der Geschicht’: Lebensträume sind wichtiger als Männergeschichten. Man muss an sich glauben, für seine Träume kämpfen usw. usw., weil es ja in Wahrheit darauf ankommt, sich selbst zu verwirklichen usw. usw. So weit, so gut. Dass dieses Fazit ebenfalls ein Klischee des Genres ist, macht es ja nicht falsch. Außerdem kann man sich über fehlende erzählerische Qualitäten der Autorin nicht beklagen. Der muntere bis schnoddrige Plauderton, in dem Karin Melchert ihre mit allerlei Songzitaten durchsetzte Geschichte erzählt, ist angenehm zu lesen und lässt kaum Langeweile aufkommen. Ihr gutmütiger Humor, der sich um political correctness nicht allzu sehr schert und mit dem sie es immer wieder schafft, die Naivität ihres Alter Ego auf die Schippe zu nehmen, liefert einen weiteren Grund, sich vom Geplapper von Solo einnehmen zu lassen. Man schüttelt zwar ein wenig den Kopf, wenn Anna Anfang der Neunzigerjahre perplex gewesen sein will, als sie von Saddam Husseins Angriff auf Kuwait erfährt („Sadahassa was?“), aber man denkt sich: Hach, sie war doch noch jung und eine alberne Nudel, die nur ihren Boyfriend und ihr Gesinge im Kopf hatte.
Beinahe wäre die Sache glimpflich ausgegangen. Doch dann kam der Autorin ihr innerer Lehrer Lämpel dazwischen. Immer wieder kann sie der Versuchung nicht widerstehen, ihrer Leserschaft mit unfeiner Deutlichkeit alle möglichen Worterklärungen aufs Auge zu drücken. Man muss sich zum Beispiel darüber aufklären lassen, dass eine Band ein Lied „unisono (das heißt einstimmig)“ gesungen habe. Oder nach der entsprechenden Erklärung: „Das nennt man Transponieren.“ Einmal angenommen, es gäbe wirklich Leser, denen diese Ausdrücke nicht geläufig sind, so wirken derartige Einschübe wohl spätestens seit der Erfindung von Wörterbüchern nicht nur ungelenk, sondern wenigstens ansatzweise ein wenig beleidigend. Das gilt ebenso, wenn auch derartige Weisheiten nicht in Wörterbüchern anzutreffen sind, für die zahlreichen Ausführungen über die Mühen des Musikerdaseins, die die Autorin nicht einmal in den Text zu integrieren versucht, sondern merksatzartig dazwischenschiebt: Für seinen Erfolg müsse man auch als Musiker hart arbeiten, niemand würde über Nacht zum Star, wie einem die Casting-Sendungen vorgaukeln, und dergleichen mehr. Das braucht man auch dem weltfremdesten Leser nicht eigens vorzuhalten. Es sind Klischees.
Karin Melchert: Solo; Verlag Synaisthesis; Luxembourg 2009. ISBN 978-99959-622-5-8.