Fraglos hat die luxemburgische Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg sehr gelitten. Fraglos ist auch richtig, dass die luxemburgische Bevölkerung im Allgemeinen auf die Seite der Opfer des Zweiten Weltkriegs gehört. Dass sich aber jeder einzelne Luxemburger aktiv am Widerstand beteiligt hätte, ist ohne Zweifel falsch. Es stimmt nicht einmal, dass alle Luxemburger prinzipiell gegen das Naziregime eingestellt waren. Und auch wenn beim Einmarsch der Nazis keine euphorisierten Volksmassen jubelnd und fahnenschwenkend die Straßenränder säumten, waren doch von denen, die nicht gegen dieses Regime waren, einige ziemlich dezidiert dafür.In Luxemburg spricht man nicht besonders gern über die Kollaboration und noch weniger gern darüber, auf welche Weise die Kollaborateure nach dem Krieg den Hass der Bevölkerung zu spüren bekamen. Dass sie dabei auf nichts weniger hoffen konnten als auf ein funktionierendes Rechtssystem, ist eine unbequeme Wahrheit der luxemburgischen Geschichte, ein Reizthema par excellence, das geradezu nach literarischer Verarbeitung schreit. Marc Graas baut jedenfalls auf ein real existierendes Unwohlsein, wenn er aus dem Mord an einem luxemburgischen Kreisgruppenleiter die Intrige für seinen ersten Kriminalroman spinnt: Als Gerüchte um ein Vorrücken der amerikanischen Truppen zu ihnen durchdringen, trauen sich vier junge Deserteure, darunter Hippolyte Houllard, aus ihrem Versteck. Ein halbes Jahr lang haben sie in einem feuchten Erdloch im Wald ausgeharrt und werden jetzt rastlos, können die Befreiung nicht abwarten. Sie brechen in das Haus des verhassten Freilinger ein, es kommt zum Handgemenge, Freilinger und seine Frau werden getötet. Später wird es heißen, sie seien bei einem Brand ums Leben gekommen. Die Jungen wissen nicht, dass Freilingers Söhne die Tat aus einem Versteck heraus beobachtet haben und Vergeltung schwören werden, als sie nach dem Krieg merken, dass ihnen niemand dabei helfen wird, den Mord an einem Kollaborateur aufzuklären.Graas rollt die Geschichte vom anderen Ende her auf: Houllard, der sich mittlerweile Roberto Fuster Albéniz nennt, kehrt nach dreißig Jahren Abwesenheit als alter Mann nach Luxemburg zurück. In einem zu lang geratenen ersten Teil des Romans zeigt Graas, wie der Überfall auf Freilinger Houllard immer noch belastet und wie die Erinnerungen daran ihn bei seiner Rückkehr nach Luxemburg heimsuchen. Viel Zeit, darüber nachzudenken, bleibt ihm nicht. Er sieht seine Tochter wieder, trifft aber auch auf Freilingers Söhne, zwei unverbesserliche Altnazis, die auf just diesen Moment gewartet haben um den Mörder ihres Vaters per Kopfschuss über den Jordan zu befördern. Houllards Tochter erzählt ihrem Psychiater von der Lebensbeichte ihres Vaters und der Psychiater wiederum entpuppt sich zwar einerseits als ziemlicher Blödmann und Naivling, sogar als ausgekochter Unsympath, andererseits jedoch auch als Protagonist des Romans, der sich in seine Patientin verlieben und den Fall lösen darf.Die Intrige von Männer im Schatten ist erfunden. Darüber sollte sich eigentlich niemand wundern, würde man doch meinen, dass es sich dabei um eine eher gängige Eigenschaft von Romanen handelt. Verwunderlich ist höchstens, mit welchem Nachdruck der Autor im Vorwort darum bemüht ist, die Handlung als „reines Phantasieprodukt“ auszuweisen und den „Bezug zu irgendwelchen historischen Fakten“ zu leugnen: Die Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg, die er stellenweise einnehme, entspräche „sicher nicht der damaligen Realität“.Was will uns der Autor damit sagen? Dass es im Zweiten Weltkrieg keine luxemburgischen Kollaborateure gab? Doch wohl kaum. Dass kein Kollaborateur nach dem Krieg der Lynchjustiz einer aufgebrachten Bevölkerung zum Opfer fiel? Im Ernst? Natürlich will uns der Autor dies nicht sagen (zum Beweis schlage man den Roman auf Seite 95f. auf und lese dort, wie Graas seinen Protagonisten über Widerstand und Kollaboration denken lässt). Über den Sinn eines Vorworts, das ausgerechnet den interessantesten Aspekt eines ansonsten eher mäßig spannenden Krimis relativiert, kann man nur rätseln. Wer auch immer den Autor zu diesen Zeilen überredet hat, hat ihm damit keinen Gefallen getan. „Reines Phantasieprodukt“ ist allenfalls Graas’ Beschreibung einer geheimen rechtsradikalen Organisation von Männern aus den „höchsten Kreisen der Gesellschaft“, die das System unterwandern und auf die passende Krise warten um die politische Macht an sich zu reißen. Derart infantilisierende Personifizierungen des Bösen, die seit Dan Brown offenbar ins Repertoire eines Krimiautors gehören, sind nicht nur pure Erfindung, sondern auch albern und abgeschmackt. Statt sich mit kindischen Verschwörungstheorien herumzuplagen, hätte Marc Graas besser daran getan, etwas mehr Energie in die Figurenzeichnung und die Motive seiner Handlungsträger zu stecken. Wie wird zum Beispiel aus Hippolyte Houllard ein Befürworter totalitärer Regime? Oder wie vereinbart Paul Freilinger seinen liberalen Lebensstil mit den rechten Ideen, denen er so fanatisch anhängt? Der Hang des Einzelnen zur Herrschsucht, zum Rassismus, zum Bösen wäre insgesamt das lohnenswertere Thema gewesen.
Marc Graas: Die Männer im Schatten. Roman. Éditions Saint-Paul, Luxembourg 2009. ISBN 978-2-87963-726-6.