An seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag lädt ein Mann namens Paul Wender ein paar Freunde zum Essen ein. Unter ihnen ist Alex, der ehemals beste Freund, der Paul bis dato nicht verziehen hat, vor etlichen Jahrzehnten ein Verhältnis mit seiner Frau gehabt zu haben. Marie, von der der Leser erfährt, dass sie sehr schön war, und von der einige der Figuren des Romans meinen, sie habe nach Schokolade gerochen, ist vor einiger Zeit gestorben. Diese Frau und die Erinnerung an sie stehen im Zentrum der Lebensläufe von Paul und Alex, aber auch von Max, einem weiteren Freund, der sich in seiner Jugend unglücklich in sie verliebt hatte. An diesem Geburtstag, den Maryse Krier aus den wechselnden Perspektiven ihrer Figuren erzählt, kreisen alle Gedanken letztlich um die charismatische Schöne, natürlich nicht zuletzt, weil es bei dieser Feier zu einer Versöhnung von Paul und Alex kommen soll.Das Zusammentreffen von ein paar in die Jahre gekommenen Menschen, die sich zu gut und zu lange kennen, um einander noch wirklich viel erzählen zu können, ist nicht zwingend zu wenig Plot für hundertachtzig Seiten. Die Vorgeschichte ihrer Figuren, die die Autorin in zahlreichen Rückblenden einholt und mit der Gegenwart verschränkt, bietet ein beliebig erweiterbares Quantum an Stoff, mit dem die Zeit zwischen den Vorbereitungen und dem Auftauchen der Gäste, zwischen Sekt und Geschenküberreichung, zwischen Hauptgericht und Kuchen ausgefüllt werden kann. Ein Fest in familiärer Atmosphäre braucht auch nicht zwingend mit tragischen Enthüllungen und katastrophalen Zerrüttungen zu enden. Natürlich ist es nicht verboten, einen auf diese Weise konzipierten Roman so zu schreiben, dass auf beiden Ebenen, der des Gegenwärtigen und der des Erinnerten, nicht wahnsinnig viel passiert. Zwar ist Alex indezent genug, ein Foto Maries herumzureichen, aber ansonsten sitzen die Geburtstagsgäste artig am Tisch, lachen über humoristisch intendierte Bemerkungen, die in Wahrheit gar nicht witzig sind, pflegen belanglose Konversation und essen Kuchen, bis ihnen schlecht wird. Und von ausgerechnet einem Coitus interruptus in einem bürgerlichen Wohnzimmer der fünfziger Jahre abgesehen, fehlt es auch den Rückblenden an dramatischen Höhepunkten. Die Pointe der Romanstruktur hätte sein können, dass wenigstens aus den unterschiedlichen Perspektiven, aus denen die Geschichte erzählt wird, eine gewisse Brisanz erzeugt worden wäre. Marie hätte aus den Blickwinkeln ihrer Liebhaber, Freunde und Bekannten mit einer schwer fassbaren, schillernden, widersprüchlichen Persönlichkeit ausgestattet werden können. Leider nimmt Maryse Krier auch diese Option nicht wahr. Marie gerät ihr zum Konglomerat aus Klischees und abgedroschenen Phrasen: Sie sieht aus wie eine Puppe, sie hat Haut „wie Alabaster“, die Männer lieben sie ehrfürchtig, den Frauen ist sie unsympathisch. Statt für psychologische Komplexität zu optieren, greift die Autorin zur unglücklichsten aller möglichen Varianten: Sie lässt die Tote für sich selbst sprechen –, in einem Brief voll später Liebesbekundungen und Entschuldigungsversuchen, den sie Paul hinterlassen hat und den Alex dem verflossenen Liebhaber seiner Frau aushändigen wird. Die Versöhnung der Freunde am Grab Maries, mit der das Buch endet, setzt dem Kitsch schließlich nur noch das Tüpfelchen aufs „i“. Es gibt keine festen Regeln, einen guten Roman zu schreiben. Man kann scheinbar alles richtig machen – die Erzählstränge ordentlich miteinander verknüpfen, auf ein abwechslungsreiches Vokabular achten, die narrativen Effekte verschiedener Tempora ausnutzen (Präsens erzeugt Unmittelbarkeit, usw.) – und doch die gewünschte Wirkung, nämlich das Interesse des Lesers, verfehlen. Der Geburtstag scheitert vor allem daran, dass sich Maryse Krier zu wenig um individuellen Stil bemüht: Die Sprache ist idiomatisch wie grammatisch korrekt und die Ausführung sauber –; dennoch wirkt beides ziemlich witzlos. Der Mangel an Originalität reicht bis in die Bildlichkeit des Textes hinein, wo inhaltsleere Vergleiche und Metaphern sich wie Platzhalter für den verpassten präzisen Ausdruck ausnehmen. „Er freut sich,“ heißt es da, „wie man sich nur freuen kann, wenn man etwas wiedergefunden hat, was man für immer verloren glaubte“ – was denn zum Beispiel? Oder: „Diese Frau ist für ihn wie Nahrung, die man zu sich nehmen muss, damit man nicht verhungert.“ – der reinste Pleonasmus. Auch gibt es treffendere Formulierungen für Wertschätzung als den mehrmals wiederkehrenden müden Vergleich mit einem „kostbaren Kleinod“. Der Autorin, deren Fähigkeiten vermutlich über die glanzlose Standardprosa und die schematische Erzähltechnik dieses Romans hinausgehen, wäre für künftige Versuche eine etwas mutigere Einstellung zum Schreiben zu wünschen, damit sie auf Stilkrücken und Stützräder dieser Art verzichten kann.
Maryse Krier: Der Geburtstag. Roman. Editions Schortgen, Esch-sur-Alzette 2009. ISBN 978-2-87953-073-4.