„Wir sind eine Regierung der Vorhersehbarkeit, nicht der Überraschung“, sagte Xavier Bettel, Staatsminister (DP), am Mittwoch nach der Kabinettsitzung. Das sehen Handwerkerverband (FDA) und Immobilienkammer (CI) freilich ein bisschen anders. Vergangenen Freitag regten sich Romain Schmit (FDA) und Jean-Paul Scheuren (CI) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz auf, die Regierung hätte „aus der Hüfte geschossen“, man renne „geradewegs in eine Mauer“, und dass die bisher geltende Mehrwertsteuerermäßigung beim Kauf, der Renovierung oder der energetischen Sanierung von Mietwohnungen abgeschafft werden soll, sei ein Zeichen dafür, dass „planlos“ Entscheidungen getroffen würden. Wohl sei man sich bewusst, dass die Regierung den Haushalt sanieren müsse, so FDA und CI, aber dabei könne man nicht rein arithmetisch vorgehen. „La politique budgétaire est avant tout politique – pas un exercice arithmétique“, hieß es in der Powerpoint-Show. Ein bisschen ironisch ist es schon, dass die Arbeitgeberverbände diesen Vorwurf just gegen ihren Ex-Kollegen und früheren Handelskammerdirektor, den Finanzminister Pierre Gramegna (DP), erheben.
Dass Investoren, die eine Wohnung zum Vermieten kaufen oder eine Mietwohnung renovieren, künftig nicht mehr vom ermäßigten Mehrwertsteuersatz von drei Prozent profitieren und dadurch maximal 50 000 Euro einsparen können, wird den Vertretern der Bau- und Immobilienbranche zufolge dazu führen, dass weniger investiert und deswegen auch weniger gebaut und saniert wird. Damit stünden auch Arbeitsplätze auf dem Spiel, warnte Romain Schmit vergangenen Freitag. Die Maßnahme riskiere vor allem die sozial schwachen Schichten zu treffen, fügte Jean-Paul Scheuren hinzu. Es sei ein Irrtum zu glauben, damit treffe man nur die „Reichen“ und „Immobilienträger“, die zum „Sündenbock“ gemacht würden. Denn die Mehrwertsteuererhöhung werde sich letztlich auch auf die Mieten übertragen.
Bis zu 60 Millionen Euro zusätzlich wolle die Regierung durch diese Bestimmung im kommenden Haushaltsjahr einnehmen. „Das hat sie nach Brüssel gemeldet“, so Schmit. Laut seiner Faustregel muss ein Bau- oder Handwerksbetrieb 100 000 Euro jährlich umsetzen, um einen Mitarbeiter zu beschäftigen. Wenn also 60 Millionen Euro via Mehrwertsteuererhöhung aus dem Umlauf genommen würden, könnte das um die 500 Arbeitsplätze in der Branche kosten, peilte Schmit über den Daumen. Mit welchen Zusatzeinnahmen genau die Regierung durch die Veränderung der TVA Logement rechnet, lässt sich im Stabilitätsprogramm, das vor ein paar Wochen nach Brüssel geschickt wurde, nicht nachvollziehen. Darin erklärt die Regierung lediglich, ihr gesamtes Mehrwertsteuerpaket – also inklusive Erhöhung des Regelsteuersatzes von 15 auf 17 Prozent – solle 2015 350 Millionen Euro einbringen. Laut Jahresbericht des zuständigen Wohnungsbauministeriums wurden 2013 33,8 Millionen Euro TVA Logement zurückerstattet. Mehr als 50 Millionen Euro waren es zuletzt 2005. Seit 1992 mit dem damaligen Finanzminister Jean-Claude Juncker (CSV) beschlossen wurde, die Mehrwertsteuer im Wohnungsbau zu ermäßigen, hat der Staat fast eine Milliarde Euro an Wohnungskäufer und -eigentümer zurückerstattet, wovon rund 858 Millionen Euro auf den Kauf von Neuwohnungen entfielen.
Wenn der Privatsektor nun kritisiert, dass sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt durch das Abschaffen der Sonderdispositionen verschärfen werde, stellt sich umgekehrt die Frage, ob die in 20 Jahren vom Staat ausgegebene Milliarde Euro etwas zur Entschärfung beigetragen hat – und das hat sie eindeutig nicht. Denn der Blick auf die Langzeitkurve der Wohnungspreisentwicklung in Luxemburg zeigt, dass insbesondere seit 2002 – als das System der TVA-Logement vereinfacht wurde – die Preise drastisch zugelegt haben.1 Diese Preissteigerungen hat der Markt bisher immer absorbiert. Das wissen natürlich auch Romain Schmit und Jean-Paul Scheuren, die selbst am Freitag noch einmal unterstrichen, dass der Baulandmangel Preisfaktor Nummer eins ist. Bei einem Wohnungsblock, einer Résidence, stellten die Erwerbskosten für das Grundstück ein Drittel, 35 Prozent, dar, so Bauträger Jean-Paul Scheuren. Bei einem Haus seien es bis zu 50 Prozent. Dass der Baulandmangel bald behoben werde, glauben indes weder er noch Romain Schmit, nachdem sie die Vorentwürfe für den Sektorplan Wohnungen gesehen haben. Denn von der darin ausgewiesenen Baufläche, sei ein großer Teil den Infrastrukturen vorbehalten. Und weil die Generalbebauungspläne der meisten Gemeinden eine eher niedrige Baudichte vorsähen, reiche das im Sektorplan vorgesehene Baulandpotenzial ohnehin nicht aus, um etwas an der Wohnungspreisfront auszurichten, gaben Scheuren und Schmit zu Protokoll.
Aus dem Blickwinkel der Bauträger und Handwerker ist die Frage demnach eher die, inwiefern die Abschaffung des superreduzierten Mehrwertsteuersatzes für Immobilieninvestoren zur Verschärfung der Situation auf dem Wohnungsmarkt beiträgt. Konkret, meint Scheuren, wird sich die Erhöhung der Mehrwerststeuer um 14 Prozent – von drei auf 17 Prozent – in eine Steigerung der Verkaufspreise zwischen 9,1 und zehn Prozent umschlagen. Ein Zuschlag, den die Käufer über die Mieten wieder hereinholen müssten, damit ihre Investition die notwendige Rendite abwerfe. Was wiederum dazu führen werde, dass sowohl Wohnungen, die für den Eigengebrauch als Erstresidenz gekauft werden, als auch Zweitwohnungen zur Vermietung teurer würden. „Wir wissen ja nicht, wer kaufen wird, wenn wir ein Projekt planen und wir die Preise berechnen“, sagt Scheuren. So wird wahrscheinlich ein wenig umverteilt werden. Denn die Investoren zu verlieren, nur auf Eigenheimkäufer zu setzen, das könnten sich die Bauträger nicht leisten.
„Heutzutage entscheiden ja nicht mehr wir selbst, wann die Bauarbeiten beginnen“, so der Vorsitzende der Immobilienkammer. „Das entscheiden heute die Banken.“ Um überhaupt loslegen zu können, brauchen die Bauträger eine Bankgarantie. Die würden die Banken heutzutage erst ausstellen, wenn Verkaufsvereinbahrungen über 80 bis 85 Prozent eines Projektes vorlägen. Und überhaupt sei es seit der Krise schwieriger geworden, Bankkredite zu bekommen. Mit der Wirtschaftskrise hat das aber nur indirekt zu tun. Eher mit dem großen Engagement der BCEE beim Bauträger Flavio Becca, das im Zuge der Affäre Liwingen-Wickringen in den Medien thematisiert wurde. Damals wurde offiziell bestritten, dass die Becca-Projekte für die BCEE ein Klumpenrisiko darstellten. Dennoch verschärfte die CSSF im Nachhinein die Vorsichtsmaßnahmen, verlangte zusätzliche Kapitalpuffer von den auf dem heimischen Immobilienmarkt tätigen Banken und hielt sie dazu an, keine Immobilienkredite mehr an Kunden zu vergeben, die keine Eigenkapitalbeteiligung von mindestens 20 Prozent aufbringen können.
Nicht ohne Grund, denn die zunehmende Risikokonzentration auf dem heimischen Immobilienmarkt beäugte auch der Internationale Währungsfonds unter den Gesichtspunkten der Finanzstabilität kritisch. Zwischen 2008 und 2012 vergaben die auf dem Luxemburger Markt tätigen Banken weniger Kredite an Firmen und Unternehmen. So stieg der Anteil der Immobilienkredite in ihren Aktiva binnen nur vier Jahren von zwölf auf 24 Prozent – eine erheblich Risikokonzentration und ein Problem, das laut IWF vor allem acht, für Luxemburg deshalb systemische, Banken betrifft.
Auf die Käufer verzichten, die Immobilien zur Vermietung kaufen, können die Bauträger deshalb nicht. Bei seinem Wohungsbauprojekt in Bartringen, erklärt beispielsweise Bauträger Eloi Thill, betrage das Verhältnis zwischen Investoren und Eigenheimkäufern vier zu eins. Was in der Diskussion völlig vergessen würde, gibt er zu bedenken, sei, dass die Erhöhung des Mehrwertsteuerregelsatzes auf 17 Prozent ohnehin die Eigenheimerwerber treffe. Weil der Mehrwertsteuerbetrag insgesamt ansteige, der maximal mögliche Rabatt hingegen nicht.
Handwerker- und Immobilienkammer kritisierten vergangene Woche, das Abschaffen des superreduzierten Mehrwerststeuersatzes belaste die Schaffung von neuen Wohnungen – um die 2 800 Wohneinheiten jährlich – überproportional. Wenn der Staat die Einnahmen aus dem Wohnungsmarkt steigern wolle, solle die Regierung vielmehr überlegen, wie sie den Bestand von 220 000 Wohnungen im Land besteuern wolle. Und sich eine inklusive Herangehensweise geben, damit sich Wohnungsbau- und Haushaltspolitik nicht widersprechen. Das sah der IWF bei seinem letzten Besuch im Frühjahr ähnlich, als er zusammenrechnete, was die verschiedenen Steuerrabatte und Erwerbshilfen den Staat 2012 gekostet haben: 64 Millionen Euro Direkthilfen, davon 51 Millionen an Steuerrabatten für Zinsen auf Immobilienkrediten und anderen Zuschüssen plus 375 Millionen Euro an Einnahmeverzichten, von denen 202 Millionen auf den superreduzierten Mehrwertsteuersatz zurückzuführen sind, weitere 39 Millionen auf Mehrwertsteuerrückerstattungen und 134 Millionen Euro, die auf den bellëgen Akt zurückgehen. Insgesamt 439 Millionen Euro. Spielraum für eine Erhöhung der Einnahmen sieht der IWF deshalb bei der Grundsteuer, die zu den niedrigsten in Europa gehört. Eine Anhebung der Grundsteuer würde nicht nur die öffentlichen Einnahmen steigern, sondern Anreize für die Eigentümer unbebauter Grundstücke schaffen, diese nicht länger brach liegen zu lassen.
Ganz unmittelbar wirft die geplante Abschaffung der Mehrwertsteuerregelung, die am 1. Januar 2015 in Kraft treten soll, die Frage auf, mit welchem Mehrwertsteuersatz laufende Projekte fakturiert werden sollen, deren Rentabilität auf Basis der „alten“ Dispositionen berechnet wurde, die sich aber über die Jahreswende hinaus hinziehen. Deshalb verlangen Handwerker- und Immobilienkammer Übergangsbestimmungen für laufende Projekte. Viel Hoffnung hatten sie Ende vergangener Woche nach Unterredungen mit Finanzminister Pierre Gramegna aber nicht. Ihr Verdacht: Wenn die Regierung Übergangsbestimmungen zustimmt, verfehlt sie ihr Mehreinnahmenziel und damit die eigenen Berechnungen für den Haushalt 2015. Dass die Abrechnung der Projekte die über die Jahreswende nicht abgeschlossen werden, ein Problem ist, hat die Regierung aber in der Zwischenzeit erkannt. Am Mittwoch sagte Xavier Bettel, sie verfüge noch nicht über alle notwendigen Zahlen, um eine abschließende Entscheidung zu treffen. Und Wirtschaftsminister Etienne Schneider fügte hinzu: „Man muss den Bauherren eine gewisse Planungssicherheit geben.“ Kommende Woche soll der Regierungsrat konkrete Vorschläge diskutieren.