Die neue Regierung hat unter anderem eine Steuerreform angekündigt, um die Wirtschaft anzukurbeln, das Budget zu konsolidieren und das Finanzsystem – mitsamt dem Subventionsüberbau – sozial gerechter und ökologisch verträglicher zu machen. Man hat sich dazu zumindest schon einmal verbal-programmatisch auf einen Bezugspunkt für die gemeinsamen politischen Anstrengungen geeinigt: Luxemburg soll mit dieser Reform auf einen wirklich nachhaltigen Entwicklungspfad („un développement véritablement durable“) geführt werden, zum Wohle aller. Die Koalition sichert eine Fiskal- und Transferreform zu, um den gesellschaftlichen Herausforderungen im Rahmen einer solchen „echten Nachhaltigkeitswende“ auf familien-, sozial- und umweltpolitischem Gebiet gerecht zu werden. Daran muss sie sich messen lassen. Sie steht vor einer schwierigen Aufgabe.
Auf den ersten Blick scheint die neue Koalition geradezu berufen zu sein, die Nachhaltigkeitsthemen „abzuarbeiten“. Repräsentiert sie doch so etwas wie den in einen Regierungskonsens gegossenen Nachhaltigkeitskonflikt. In ihr haben sich die marktliberalen Anhänger einer durch freies Unternehmertum dauerhaft wachsenden Wirtschaft (DP), die traditionellen Vertreter einer Politik immer stärkerer sozialer Kohäsion (LSAP) und die ursprünglichen Protagonisten einer ökologieverträglichen Entwicklungsstrategie (Déi Greng) zusammengefunden. Zusammen stehen sie also für die drei Hauptziele der Nachhaltigkeit – in der schönen Formel: Dauerhafte wirtschaftliche Prosperität, an der alle jetzt und in Zukunft gerecht teilhaben und bei der die Erhaltung der natürlichen Ressourcenbestände gesichert bleibt. Ein Konsens über diese Formel ist aber längst noch kein Konsens für eine konkrete Nachhaltigkeitspolitik. Die einzelnen Ziele verhalten sich nämlich keineswegs so harmonisch zueinander, wie es die Formel zu verheißen scheint, und finanzpolitische Entscheidungen tragen jeweils sehr unterschiedlich zum Erreichen einzelner Nachhaltigkeitsziele und zum Verletzen anderer bei. Wo im Konfliktfall – der eher der Normalfall ist – dann die Reise hingehen soll, darüber sagt der Koalitionsvertrag nichts aus. Und doch ist dies der Prüfstein für die Ernsthaftigkeit koalitionärer Nachhaltigkeitsbekundung.
Wachstums- und Beschäftigungsoffensive zur Krisenüberwindung? Gut – aber wie soll dabei die kritische Ökobilanz des Landes in Ordnung gebracht werden? Förderung von Innovation durch weitere Steuervergünstigungen für Unternehmen? Auch gut – aber welche Gruppe soll dann die zusätzlichen Steuereinnahmen aufbringen, die für die Konsolidierung erforderlich sind? Ausgabenkürzungen und stärkere Budgetdisziplin? Hervorragend – aber wie soll die soziale Kohäsion gesichert werden, wenn davon die Sozialtransfers für untere Einkommensgruppen betroffen sind und gleichzeitig deren Steuerbelastung wächst? Ökologische Steuerreform? In Ordnung und dringend erforderlich – aber wie vermeidet man Zusatzbelastungen bei energie- und umweltintensiven Produktionen, die man ja für das BIP-Wachstum zu brauchen glaubt? Und wie kann eine zu starke Belastung der unteren Realeinkommen vermieden werden?
Das sind nur einige der Fallstricke, aus denen sich die neue Regierung befreien muss. Das braucht Zeit, Zeit für Analysen und Kompromisse. Ein Konzept, das die Wirkungen ermittelt und Akzeptanz schafft, lässt sich nicht in ein paar Ausschusssitzungen zustande bringen – zumal auch von der Wissenschaft mit ihren heterogenen Lehrmeinungen nur begrenzt Entscheidungshilfen zu erwarten sind. Insofern sollte man der Regierung nicht vorwerfen, dass sie zu „echten“ Reformen erst 2016 kommen will – selbst das ist ein knapper Zeitraum für eine partizipative Programmerarbeitung und die rechtliche und praktische Umsetzung erster Maßnahmen.
Diese Maßnahmen könnten durchaus bei der wirtschaftlichen und fiskalisch-budgetären Stabilisierung beginnen. Die gegenwärtige Budgetstruktur ist nicht nachhaltig. Luxemburg weist in der langen Frist eine der größten Nachhaltigkeitslücken in der EU auf. Es müsste große Rücklagen bilden, damit das heutige Leistungsniveau auch in Zukunft beibehalten werden kann; das verlangt neue und dauerhafte Einnahmequellen. Doch zeichnen sich schon kurz- bis mittelfristig deutliche Steuerrisiken ab, selbst wenn man die Abhängigkeit der Steuereinnahmen vom Finanzsektor und den beachtlichen Anteil der von den Berufspendlern in die Steuer- und Sozialkassen gezahlten Abgaben außer Acht lässt. Es geht vor allem um Risiken und zu erwartende Ausfälle bei den von Ausländern in die Luxemburger Kassen gezahlten indirekten Steuern. Allein durch ihre Käufe an den Luxemburger Tankstellen und im E-Commerce tragen sie rund 35 Prozent des TVA- und 80 Prozent des Akzisenaufkommens. Diese Verlagerung von Lasten auf Ausländer bot bisher die Möglichkeit, die Belastung der Inländer relativ niedrig zu halten und/oder Subventionen beziehungsweise Sozialtransfers zu gewähren.
Seit 2007 steht jedoch fest, dass Luxemburg ab 2015 sukzessive auf Anteile aus der von Ausländern gezahlten TVA auf grenzüberschreitenden E-Commerce verzichten muss und ab 2019 leer ausgeht. Wie sich dies in den nächsten Jahren im Budget niederschlägt, lässt sich nur schwer abschätzen. In der Übergangsphase ändern sich nämlich etliche Parameter. Ab 2019 – wenn mit dieser E-Commerce-Steuer eine der dynamischsten Einnahmequellen entfällt – wird man jedenfalls um Steueränderungen kaum herumkommen. Ihre Bedeutung lässt sich recht einfach verdeutlichen: Hätten die Luxemburger Einwohner 2012 die etwa 0,7 Milliarden Euro aus der E-Commerce-TVA selbst aufbringen müssen, wäre jeder einzelne von ihnen mit rund 1 400 Euro an zusätzlichen Steuern belastet worden; für jeden Haushalt eine Mehrbelastung von jährlich 3 500 Euro. Der BCL-Präsident hat also Recht: Die Neuregelung wird die Luxemburger ärmer machen. Entweder kürzt der Staat Leistungen, oder sie müssen selbst mehr an den Staat abführen. Wird auf längere Sicht der „Tanktourismus“ rückläufig, müssen weitere bisher von Ausländern getragene Lasten national übernommen werden. Die Reformen zur nachhaltigen Budgetstabilisierung müssen also mit einer klaren Botschaft an die Bevölkerung versehen werden: Wenn die Staatsleistungen nicht drastisch reduziert werden sollen, müsst ihr künftig mehr Steuern selbst tragen.
Wie aber verträgt sich die notwendige Erhöhung der nationalen Steuerlast mit den übrigen Nachhaltigkeitszielen? Das hängt vor allem davon ab, wie man die künftig benötigten Einnahmen aufbringen und auf die einzelnen Schultern verteilen will. Die TVA bietet zunächst einmal eine gute Einstiegsmöglichkeit. Ihre Sätze sind im EU-Vergleich extrem niedrig, und bei ihrer Erhöhung kann wiederum ein Teil des Zusatzaufkommens auf Ausländer verlagert werden, die in Luxemburg, vor allem an den Tankstellen, einkaufen. Außerdem kann man an die vielen TVA-Ermäßigungen herangehen – das bringt weitere Einnahmen. Zudem könnte die Regierung ihr Versprechen einlösen und durch Ausbau beziehungsweise Einführung von Energie- und Ökosteuern mehr Lasten auf die Schultern derer verlagern, die in besonderer Weise die Umwelt schädigen. Es fällt nämlich auf, dass die Luxemburger bisher praktisch keine Umweltsteuerlast tragen. Luxemburger zahlen nahezu ausschließlich Steuern fürs Auto (Mineralöl- und Autosteuer). Echte Verschmutzungs- und Ressourcensteuern gibt es nicht. Zwar weist die Statistik (2011) ein Umweltsteueraufkommen von einer Milliarde Euro aus, was 2,4 Prozent des BIP und damit dem EU-Durchschnitt entspricht. Rechnet man aber die Zahlungen der ausländischen Tanktouristen heraus, liegt die „echte“ nationale Last nur bei 0,8 Prozent des BIP. Damit rangiert Luxemburg auf dem allerletzten Platz in der EU – was die Belastung mit Umweltsteuern anbelangt, während es bei einigen Schadstoffindikatoren einen Spitzenplatz einnimmt (zum Beispiel beim CO2).
Insofern müsste eine umweltgerechte Besteuerung zentraler Bestandteil der Steuerreform werden. Als ersten Schritt könnte man die vielen umweltschädlichen Steuervergünstigungen vor allem zugunsten von klimaintensiven Energieverbräuchen abbauen. Auf Dauer müsste man aber den Produkten und Verfahren, die höhere gesellschaftliche Umweltlasten hervorrufen, auch systematisch eine höhere Steuerlast aufbürden als jenen, die umwelt- und gesellschaftsverträglicher sind. Das klingt einfach, ist aber in der politischen Praxis schwer zu vermitteln und erst recht umzusetzen.
Zwar würde eine solche Strategie tendenziell zu höheren Steuereinnahmen beitragen – jedenfalls kurzfristig und bei gleichen Wachstumsraten des BIP. Insofern gibt es Harmonie zwischen budgetären und ökologischen Nachhaltigkeitszielen. Allerdings wird mehr oder weniger plausibel behauptet, dass eine den echten gesellschaftlichen Zusatzkosten Rechnung tragende Besteuerung, die ja der ökologischen Nachhaltigkeit dient, die Chancen hoher BIP-Wachstumsraten und damit das Wohlergehen im Lande verschlechtere. Das Argument ist zwar unredlich, weil es das Wohlergehen am BIP festmacht, das die meisten negativen (externen) Folgen nicht registriert und für das nachhaltige Wohlergehen der Bevölkerung nur bedingt aussagefähig ist. Dennoch ist zu befürchten, dass sich der Fetisch des BIP-Wachstums auch weiterhin gegen die Perspektive der Bien-être-Entwicklung behauptet.
Eine Ökologisierung des Steuersystems – wobei es nicht unbedingt nur um neue Steuern geht, sondern darum, die bestehenden umweltverträglicher zu machen – kann sich also durchaus mit den fiskalischen Nachhaltigkeitszielen vertragen. Umweltgerechte Steuern sind aber in aller Regel so wie die TVA indirekte Steuern. Sie schlagen sich in den Preisen nieder, landen beim Konsumenten und belasten untere Einkommensgruppen relativ stärker. Wenn gleichzeitig auf der Ausgabenseite des Staatsbudgets Sozialtransfers gekürzt werden, ist der Nachhaltigkeitskonflikt vorprogrammiert. Die Rückverlagerung der Steuerlasten von Ausländern auf Inländer und die Reform des Steuersystems wird also nicht allein über die Erhöhung indirekter Steuern – bei TVA und Umweltsteuern – funktionieren. Auch wenn die Regierung den Unternehmen schon die Beibehaltung einzelner Vergünstigungen beziehungsweise Sonderregelungen zugesichert hat – ohne Zusatzbelastungen bei den direkten Steuern wird man nicht auskommen, sollen die Zusatzlasten fair verteilt werden. Die Unternehmensbesteuerung wird dazu einen Beitrag leisten müssen. Und im Bereich der persönlichen Einkommensbesteuerung wie bei den Sozialabgaben wird man um eine Verstärkung der progressiven Elemente nicht umhin kommen, will man die angestrebte soziale Kohäsion als wesentliche Nachhaltigkeitsanforderung nicht verfehlen. Schließlich wird es auch bei der Neuregelung der Grundsteuer um Erhöhungen gehen. Abzuwarten bleibt, wie es die Regierung schafft, die Bevölkerung mit den Reformnotwendigkeiten vertraut zu machen und sie partizipativ in die Abwägungs- und Entscheidungsprozesse einzubeziehen, also am Knacken der Nachhaltigkeitsnüsse zu beteiligen.