Nachdem die Regierung drei Monate lang für Verwirrung gesorgt hatte und die geplante Mehrwertsteuererhöhung immer früher vornehmen wollte, kündigte Premier Xavier Bettel in seiner Erklärung zur Lage der Nation am Mittwoch an, dass mit Ausnahme des superreduzierten Satzes alle Mehrwertsteuersätze am 1. Januar 2015 um zwei Prozentpunkte erhöht werden. So soll der Steuerausfall im elektronischen Handel ausgeglichen werden. Bei dieser Gelegenheit werden die verbilligten Mehrwertsteuersätze auf verschiedenen alkoholischen Getränken und den Bauarbeiten an Zweitwohnungen oder Ertragshäusern abgeschafft.
Damit ist die Regierung nach Gesprächen mit Amazon, Ebay und Handelsverband zum ursprünglichen Stichdatum zurückgekehrt. In einem Neujahrsinterview bei RTL hatte Bettel noch vor drei Monaten gute Gründe gefunden, um die Mehrwertsteuererhöhung im September oder Oktober vorzunehmen: „Die Maschinen müssen umgestellt werden. Das Ganze muss auch in der Buchführung gemacht werden. Das heißt, es ist möglich, dass es vor den Sommerferien gemacht wird, damit es schon im September oder Oktober eintritt. Aber wie gesagt, im Januar, Februar, März werden wir das alles rechnen, und bei der Vorstellung des Haushalts wird es dann auch vorgestellt werden.“ Doch bei der Vorstellung des Haushalts verlor Finanzminister Pierre Gramegna dann kein Wort über die Mehrwertsteuererhöhung.
Dafür erklärte der Finanzminister noch vor 14 Tagen gegenüber RTL, weshalb der 1. Juli ein gutes Stichdatum für die Mehrwertsteuererhöhung wäre: „Der Hauptgrund, um es 2014 zu tun, ist doppelt. Der erste ist, dass eine Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar im Grunde nur zu drei Vierteln wirkt. Wenn also die TVA-Erhöhung 2015 geschehen würde, bekämen wir für 2015 nur 75 Prozent der Einnahmen. Das ist, weil verschiedene Steuererklärungen nur periodisch gemacht werden. [...] Der zweite Grund, weshalb wir das schnell tun wollten, das ist – nachdem man mit der Branche geredet hat, mit den Branchen und auch der elektronischen Branche – dann ist es wichtig, dass zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die TVA-Erhöhung gemacht wird, und dem Augenblick, wo sie angekündigt wird, nicht viel Zeit liegen soll.“ Doch im Gegensatz dazu war es Xavier Bettel am Mittwoch plötzlich wichtig, dass „die Unternehmen nun genug Zeit bekommen, um sich vorzubereiten und sich umzustellen“ (S. 9).
Der Zeitpunkt der Mehrwertsteuererhöhung spielt aber auch eine Rolle, weil sie möglicherweise vor dem Auslaufen der aktuellen Indexmanipulation erfolgen sollte, bevor der Index-Zähler wieder auf Null gestellt und eine neue Indexmanipulation beschlossen würde. So dass die Löhne und Renten nicht an die durch die Mehrwertsteuererhöhung ausgelösten Preiserhöhungen angepasst würden.
Noch vor vier Monaten hatte Xavier Bettel in seiner Regierungserklärung angekündigt: „Die Indexregelung, die bis nächstes Jahr [2014] gegolten hat, soll noch einmal wiederholt werden. Das heißt nachdem der sogenannte Zähler auf Null gestellt wurde, lassen wir nach 2015, wie bis jetzt, höchstens eine Indextranche jährlich auszahlen, Am Ende der Periode setzten wir den Zähler dann wieder auf Null.“
Diese Woche kündigte der Premier an, dass nun doch „kein gesetzlicher Eingriff in den Indexmechanismus“ mehr vorgenommen werden soll. LSAP-Fraktionssprecher Alex Bodry erklärte den Sinneswandel damit, dass sich das wirtschaftliche „Umfeld in den letzten sechs Monaten geändert“ habe und auch Luxemburg sich „in einer Periode des Desinflation“ befinde. Was auch heißt, dass das politische Versprechen einer gesetzlich geregelten Indextrache von 2,5 Prozent zu jedem 1. Oktober kontraproduktiv wird, wenn die jährliche Inflationsrate nicht einmal zwei Prozent ausmacht.
Voraussetzung für den Verzicht auf eine Fortsetzung der gesetzlichen Indexmanipulation ist aber für den Premier, dass „die Sozialpartner versuchen, noch vor dem Sommer ein globales Abkommen zu finden“. Dieses Abkommen soll „der wirtschaftlichen Entwicklung und der Preisentwicklung Rechnung tragen sowie den Betrieben und Beschäftigten Planungssicherheit“ liefern. Nur wenn die Verhandlungen über ein solches Abkommen scheitern oder die Inflation entgleist, will die Regierung das Indexgesetz wieder ändern (S. 11).
Über den Inhalt eines solchen Abkommens, das heißt, wie „global“ es werden soll, gibt es aber schon Meinungsverschiedenheiten. Soll es einen Krisenmechanismus für den Fall eines plötzlichen Inflationsanstiegs vorsehen, womit die Gewerkschaften leben könnten? Soll es den Unternehmen einen automatischen Lohnausgleich für die bevorstehende Mehrwertsteuererhöhung ersparen? Oder soll es, wie von den Unternehmerverbänden seit Jahren verlangt, den Einstieg in eine nationale Einkommenspolitik bilden, um das Lohnniveau dem deutschen anzunähern?
Hatte Bettel noch in seiner Regierungserklärung behauptet, dass „die Tripartite für große Fragen ein wichtiger Gesprächspartner ist“ (S. 19), so kommt das Wort „Tripartite“ nicht mehr in der Erklärung zur Lage der Nation vor. In getrennten Gesprächen mit den Sozialpartnern hatte die Regierung vergangene Woche gemeint, dass sie den Sozialdialog im Wirtschafts- und Sozialrat bevorzugt. Der Unterschied ist, dass, anders als die Tripartite, der Wirtschafts- und Sozialrat ein beratendes Gremium ist, in dem die Regierung gar nicht vertreten ist, sondern Verwaltungsbeamte sitzen.
Mit dem nun vorgeschlagenen „globalen Abkommen“ scheint die Regierung sich weiter aus der Verantwortung zurückziehen zu wollen und den Sozialpartnern die Tarifhoheit in der politisch noch immer heiklen Indexfrage zu überlassen. Vater des Gedanken ist möglicherweise der Ende Februar vom gerade zur Sozialdemokratie bekehrten französischen Präsidenten François Hollande vorgeschlagene Pacte de responsabilité. Mit dem Pakt sollen die Abgaben der Unternehmen gesenkt werden, um ihre inernationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.