Kirchberg-Syndrom Wer sich für die Geschichte der Luxemburger Stadtentwicklung interessiert, wird wohl kaum um die Erkenntnis herumkommen, dass es in Luxemburg eine Faszination für Großprojekte gibt. Nahezu alle relevanten urbanistischen Schübe gehen auf sogenannte Masterpläne zurück – auf Projekte, die am Reißbrett erdacht und entworfen wurden. Eine eigendynamische Entwicklung
von unten, wonach sich die Stadt eher organisch und frei ausbreitet, lässt sich in Luxemburg seit dem 20. Jahrhundert kaum beobachten. Der Urbanismusexperte Markus Hesse von der Universität Luxemburg sprach in diesem Zusammenhang einmal vom „Kirchberg-Syndrom“. Er verstand darunter die Schwäche Luxemburgs für Großprojekte, deren Umsetzung sich oftmals als „schwierig“ gestaltet.
Denn längst nicht alle Großprojekte, bei denen sich Politiker als Macher inszenieren wollen, werden nachher auch realisiert. Tatsächlich bleiben viele auf der Strecke liegen, scheitern an politischen Widerständen, Finanzproblemen oder administrativen Hürden. Hier sind drei Beispiele von Großprojekten auf dem Territorium der Stadt Luxemburg, die trotz großem PR-Wirbel bis heute noch nicht umgesetzt wurden.
Luxembourg Central Es war eine der vielen Entwicklungsideen des früheren DP-Bürgermeisters Paul Helminger: 2005 stellte er das Projekt Luxembourg Central vor. Die Gleise des Hauptbahnhofs sollten unter einem acht Hektar großen Stahlbetondeckel verschwinden und darüber ein Central Park angelegt werden. An den Rändern des Parks sollten auf 366 000 Quadratmetern Wohnungen, Büros und Geschäftsräume entstehen, sowie ein neues Hotel, ein Kino und (natürlich) ein Parkhaus. Damit sollten nicht nur die Gleise vollkommen aus dem Stadtbild Luxemburgs verschwinden, Helmingers Plan eines Central Park sah vor, Bonneweg und das Quartier Gare miteinander zu verbinden, mitsamt urbanistischer Aufwertung beider Viertel.
Dabei war Luxembourg Central im Grunde eine Weiterführung der Idee des Projekts City Gare von 1992. Damals wollte ein privates Konsortium von Spuerkees, Préfalux und Paul Wurth den Bahnhof mit einer Glaskuppel bedecken (ähnlich wie in Straßburg) und dazu eine große Shopping Mall errichten. Doch City Gare sollte nie realisiert werden. Und auch bei Helmingers Luxembourg Central überwog von Beginn an Skepsis. „Zeigt uns, wie die Idee finanzierbar ist!“, soll der damalige Bautenminister Claude Wiseler (CSV) in Richtung Schöffenrat der Stadt Luxemburg gesagt haben. Bürgermeister Helminger versuchte dabei mehrmals auf der internationalen Immobilienmesse Mipim in Cannes mit Hochglanzbroschüren um Investoren zu werben, aber wohl vergeblich. Finanzkräftige Unterstützer für sein urbanes Projekt am Bahnhof fand er nicht.
Hinzu kam die ablehnende Haltung der CFL. Der damalige Generaldirektor der Eisenbahn Alex Kremer war von Luxembourg Central alles andere als begeistert und soll bei der Regierung sein Veto eingelegt haben. Luxembourg Central liegt heute auf dem Schutthaufen der Ideen – das Großprojekt gilt als gescheitert.
Place de l’Étoile Das sieht bei der Place de l’Étoile etwas anders aus. In schöner Regelmäßigkeit wechseln sich hier Aufbruchstimmung und Ernüchterung ab. Seit Ende der Siebzigerjahre versuchen unterschiedliche Eigentümer mitsamt der Stadt Luxemburg sowie der Unterstützung der Regierung Großprojekte zu realisieren. An Ideen hat es nicht gemangelt: Von einem neuen Gerichtsviertel über den Sitz des nationalen Gesundheitslaboratoriums bis hin zu einer Shopping Mall mit Parkhaus, sozialem Wohnungsbau oder einfach nur einer Autobahnverlängerung wurde schon allerhand erdacht und geplant.
2010 meldete RTL, dass die Stadt Luxemburg nun grünes Licht für den Bebauungsplan gegeben habe, 2014 könnten erste Wohnungen, Büros und Geschäfte stehen. Tatsächlich musste Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) 2014 im Luxemburger Wort feststellen: „Dieser Platz ist ein Trauerspiel.“ Der Krater der Stäreplaz gilt bis heute als „Schandfleck am Westagank“ der Stadt Luxemburg. Lediglich die Eigentümer wechselten mehrmals im Lauf der vergangenen Jahre, ansonsten geschah nichts.
Doch aktuell lässt sich erneut ein Ansatz von Aufbruchstimmung erkennen: Mittlerweile fährt die Tram bis zur Stäreplatz und auch Minister François Bausch (Grüne) zeigt sich seit geraumer Zeit optimistisch, dass der Krater bald Geschichte ist. Die neuen Eigentümer der Grundstücke, die Abu Dhabi Investment Authority (Adia), hat 2018 angekündigt, die Place de l’Étoile mit Luxuswohnungen zu bebauen. Die entsprechenden Prozeduren laufen seither.
Porte de Hollerich Ähnliche Höhen und Tiefen lassen sich beim Projekt Porte de Hollerich erkennen. Wie bei vielen Großprojekten steht auch hier am Anfang der Name Paul Helminger, der 2004 einen Wettbewerb für das urbanistische Megaprojekt ausschrieb. Es gab Pläne für einen Bahnhof in Zessingen mit TGV-Anschluss nach Bruxelles und Straßburg, die sich jedoch nicht realisieren ließen. Die Familie Ehlinger (Groupe Schuler) ließ 2009 ein nachhaltige Großprojekt für ihre Grundstücke entwerfen: das Hollerich Village. Nach dem Modell des Vauban-Viertels in Freiburg im Breisgau sollte ein autofreies Ecovillage auf 3,6 Hektar entstehen, mit Wohnungen, Büros und CO2-neutraler Bilanz. Das Projekt konnte zunächst viele Fürsprecher finden, auch Xavier Bettel (DP) zeigte sich 2013 als Bürgermeister der Stadt Luxemburg davon überzeugt.
Doch als Lydie Polfer das Bürgermeisteramt erneut übernahm, geriet das Projekt ins Stocken. Polfer wollte ein noch größeres Ecovillage, das sich nicht nur auf die Grundstücke der Familie Ehinger beschränkte, sondern auf 37 Hektar im Hollericher Viertel erstreckte. Dadurch war die Groupe Schuler mit ihren Plänen jedoch blockiert, der CEO von Hollerich Village Xavier Delposen warf 2016 das Handtuch. Der Masterplan eines riesigen Ökoviertels mit 3 600 Wohnungen steht weiter, aber die Verantwortlichen zögern, ein konkretes Datum zu nennen. In einem Land-Artikel im August 2019 spricht Bürgermeisterin Polfer von einem Projekt, das Luxemburg die „nächsten 40 bis 50 Jahre prägen wird“. Das Großprojekt Porte de Hollerich ist demnach keine Idee für heute oder morgen – sondern wenn überhaupt eher für übermorgen.