In einem Land nach dem anderen erobern sie die Parlamente. Wären sie eine europäische Kraft, sie könnten den Kontinent wahrscheinlich nach ihrem Gusto umgestalten. Ihre Erfolge speisen sich aus der Verneinung der Gegenwart. Sie versprechen eine als glorreich empfundene Vergangenheit, die das nie war und trotzdem unwiederbringlich dahin ist. Die Vergangenheit kehrt nie zurück. Allenfalls ihre Geister. Die sind aktiver denn je.
Am kommenden Sonntag fällt eine weitere Bastion. In Finnland wird gewählt und die rechtspopulistische Partei Perussuomalaiset, mit der verfänglichen Abkürzung PS, liegt in Umfragen bei 20 Prozent. Der Name bedeutet „Wahre Finnen“. Ihr Vorsitzender, Timo Soimi, ist seit 2009 einziges Mitglied seiner Partei im Europäischen Parlament. Dort agiert er gegen den Lissabon-Vertrag, für die Souveränität Finnlands und den Austritt Finnlands aus der Europäischen Union, der legal nur durch den Lissabon-Vertrag überhaupt erst möglich geworden ist. Soimi ist gegen die finnische Mitgliedschaft in der Nato und, wen wundert’s, gegen zu viele Ausländer in Finnland. Deshalb befürwortet er eine strikte Asylpolitik.
Ausländerfeindlichkeit ist der rote Faden bei Europas rechtspopulistischen Parteien. Dazu kommt in der Regel eine ausgesprochene Islamfeindlichkeit, die nicht zwischen religiösen Fanatikern und den normalen Gläubigen beziehungsweise der Religion schlechthin unterscheidet. In Schweden gelang den Schwedendemokraten im Oktober 2010 mit 5,7 Prozent der Stimmen zum ersten Mal der Sprung ins Parlament. Die bürgerlich-konservativen Parteien verloren deshalb ihre absolute Mehrheit. Die Schwedendemokraten möchten gerne „die Kosten, die das multikulturelle Gesellschaftsexperiment verschlingt“, einsparen und so das angeblich bedrohte schwedische Sozialmodell retten. Die verfehlte Einwanderungspolitik ist ihrer Ansicht nach schuld daran, dass die Steuern in Schweden so hoch sein müssen, um soziale Errungenschaften erhalten zu können.
Bei den Wahlen im Juni 2010 wurde die niederländische Partei der Freiheit, gegründet und dominiert von Geert Wilders, zur drittstärksten Kraft im Parlament. Gert Wilders ist betont islamfeindlich. Den Koran setzt er mit Hitler’s Mein Kampf gleich. Dennoch oder gerade deswegen gelang es ihm, die konservativen Parteien nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Seit Oktober regieren die niederländischen Rechtsliberalen und Christdemokraten nur mit Duldung von Wilders Abgeordneten. Wilders weiß eine Mehrheit des Landes hinter sich. 2008, vier Jahre nach dem erschütternden Mord an Theo van Gogh, der an einem islamkritischen Filmprojekt arbeitete, waren 56 Prozent der Niederländer der Überzeugung, dass es der größte Fehler der Geschichte gewesen sei, so viele Muslime ins Land zu lassen und 57 Prozent sahen den Islam als die größte Bedrohung der Zeit.
Die Reihe geht weiter. In Dänemark ist die Dänische Volkspartei, das Vorbild der Schwedendemokraten, seit 2001 indirekt an der Macht beteiligt, weil sie seitdem konservativ-liberale Minderheitsregierungen duldet. Ihre Positionen zur Ausländerpolitik sind inzwischen weitgehend Konsens der dänischen Politik geworden. Österreich, Italien, Slowakei, die Schweiz, Belgien, Italien, Frankreich, Großbritannien und nicht zuletzt Ungarn, wo die Rechtspopulisten (Fidesz) allein schon über eine Zweidrittelmehrheit verfügen und gemeinsam mit den Rechtsradikalen (Jobbik) 310 von 386 Abgeordneten stellen. Überall in Europa sind rechtspopulistische Parteien gesellschaftsfähig geworden, ergreifen die Macht, haben an ihr Anteil, dulden sie oder sind auf dem Sprung, die etablierten Kräfte das Fürchten zu lehren. Heute ist klar, dass sie kein vorübergehendes Phänomen mehr darstellen. Europas Rechtspopulisten sind gekommen, um zu bleiben.
In Frankreich könnten sie den nächsten spektakulären Erfolg erziehen. Marine Le Pen, neue Parteivorsitzende des Front National, der 1972 von ihrem Vater mitbegründet wurde und dessen Vorsitzender dieser bis Januar 2001 war, lehrt Sarkozy das Fürchten. Seit ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden steht Marine Le Pen in den Umfragen zur französischen Präsidentschaftswahl 2012 ganz weit vorne. Wären heute Wahlen, käme sie so gut wie sicher in die zweite Runde, was ihr Vater 2002 auch schon einmal geschafft hatte. Sie profitiert von Schwäche Sarkozys, den die Franzosen nicht mehr sehen wollen.
Sollte Sarkozy von seiner Partei noch einmal nominiert werden, was keineswegs hundertprozentig sicher ist, hängt es vor allem vom sozialistischen Kandidaten ab, ob er die Stichwahl erreicht. Kann sich die französische PS auf Dominique Strauss-Kahn einigen, der auch in der Mitte viele Anhänger hat, dürfte Sarkozys Schicksal besiegelt sein. Setzt sich Strauss-Kahn nicht durch, ist das Spiel völlig offen. Dann stünden sich womöglich Sarkozy und Marine Le Pen in der Stichwahl gegenüber. Und wer weiß, ob dann nicht Frankreich zum ersten Mal eine Frau zur Präsidentin wählt. Dass der aus seiner Zeit als Pariser Bürgermeister schon lange der Korruption überführte ehemalige Staatspräsident Jacques Chirac wahrscheinlich kein ordentliches Gerichtsverfahren erhält wie jeder Kleinkriminelle, könnte ihr die entscheidenden Proteststimmen zuführen.
Europas rechtspopulistische Parteien stehen, man muss es so sagen, auf einem soliden Fundament. Die Friedrich-Ebert-Stiftung, die politische Stiftung der deutschen Sozialdemokratie, hat vor kurzem eine große Studie zu diesem Thema veröffentlicht. Sie heißt „Die Abwertung der Anderen. Eine europäische Zustandsbeschreibung zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung“ und kann auf der Homepage der Stiftung heruntergeladen werden. Die Autoren haben jeweils 1000 Personen in acht europäischen Ländern zu dem befragt, was sie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (GMF) nennen. Ihr Urteil lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist in Europa weit verbreitet“.
Rund die Hälfte aller Befragten ist der Meinung, es gebe zu viele Zuwanderer in ihrem Land und verurteilt den Islam pauschal als eine Religion der Intoleranz, rund ein Drittel glaubt an natürliche Hierarchien zwischen Ethnien. Die Mehrheit vertritt sexistische Einstellungen und ist der Meinung, dass Frauen ihre Rolle als Ehefrau und Mutter (in dieser Reihenfolge!) ernster nehmen sollen. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Polen, Portugal und Ungarn unterscheiden sich hinsichtlich Fremdenfeindlichkeit, Islamfeindlichkeit und Rassismus nur geringfügig, aber deutlich bei Antisemitismus, Sexismus und Homophobie, die in den Niederlanden mit Abstand am geringsten, in Polen und Ungarn aber weit über dem Durchschnitt liegen. Gleichgeschlechtliche Ehen beispielsweise sind nur für 17 Prozent der Niederländer ein Problem, aber für 88 Prozent der Polen.
Deutlich wird in der Untersuchung, dass die drei ideologischen Orientierungen Autoritarismus, soziale Dominanzorientierung und die Ablehnung von Diversität mit der GMF besonders verbunden sind. Hier wird auch die Brücke zu einem rechtspopulistischen Wählerreservoir deutlich. Als wichtigste Erklärungsfaktoren bezeichnen die Autoren ein subjektives Gefühl der Bedrohung durch Einwanderer und ein Gefühl der Orientierungslosigkeit. Das erklärt auch, warum wohlhabende und gebildete Menschen weniger anfällig für GMF sind. Beunruhigend ist die Tatsache, dass die 16 bis 22-Jährigen in Italien, Ungarn, Frankreich, Polen und Portugal deutlich stärker zu Rassismus neigen als die mittleren Altersgruppen. Die Europäer müssen aufpassen, dass ihnen der Rechtspopulismus nicht über den Kopf wächst.