Dennoch konnten nicht alle Re-gionen und Branchen gleichermaßen von der Trendwende profitieren. Im Müllerthal und der kleinen Luxemburger Schweiz sank die Zahl der Übernachtungen auch 2011 um fünf Prozent, und der Campingbetreiberverband Camprilux schätzt, dass die Zahl der Campingüber-nachtungen zwischen fünf und zehn Prozent zurückging. Ob 2011 also nur eine Atempause war? Denn der Langzeittrend im Luxemburger Fremdenverkehr zeigt deutlich nach unten. Im Jahr 2003 verbuchte die heimische Tourismusindustrie noch 2,81 Millionen Übernachtungen, 2009 waren es laut Statec nur noch 2,26 Millionen. Ein Rückgang von 3,6 Prozent jedes Jahr.
Nicht nur das, auch die Touristenströme verändern sich. Es gibt sozusagen eine Verlagerung vom Campingplatz ins Hotel und vom Land ins Stadtgebiet. Die Zahl der Übernachtungen in den Hotels der Hauptstadt stieg 2011 laut Horesca um 11,6 Prozent. Zwar sind die Campingplätze über Land mit rund 740 000 Übernachtungen jährlich immer noch ein gewichtiges Element im Luxemburger Fremdenverkehr. Doch von den Erfolgen der Vergangenheit ist man weit entfernt: 2003 lag allein die Zahl der Campingübernachtungen noch bei über 1,2 Millionen.
Vor allem die Besucher aus den Niederlanden, die Stammkundschaft vergangener Zeiten, desertieren. Das ist problematisch, denn sie stellen mit über 800 000 Übernachtungen 2009 die größte Besuchergruppe, ob in Hotels, Herbergen oder im eigenen Wohnwagen oder Zelt. Was die Campingbetreiber wiederum am härtesten trifft: 2003 gab es noch über 800 000 „niederländische“ Übernachtungen. 2009 waren es noch knapp über 555 000.
Von der regionalen Verlagerung sind die Ardennen und das Müllerthal, sowie in geringerem Maße die Mosel am stärksten betroffen; auch die Zahl der Übernachtungen in den festen Unterkünften geht in diesen Regionen seit 2000 mit einigem Auf und Ab zurück. Weil zudem die Besucherzahl nicht so schnell fällt wie die der Übernachtungen, bleibt die Schlussfolgerung, dass der Trend weg vom ein- bis zweiwöchigen Ferienurlaub hin zum Kurztrip geht. Ohnehin gehen Horesca, Tourismusministerium und Fremdenverkehrsamt ONT davon aus, dass ungefähr 60 Prozent des Fremdenverkehrs auf Geschäftsreisende zurückgehen. Die offiziellen Statistiken vom Statec geben darüber keine Auskunft.
Woran es liegt, dass Luxemburg als Urlaubsziel an Attraktivität verliert? Die Ursachen sind vielfältig. Dass die Niederländer im Sommer die via Billig-Airlines günstig zu erreichenden, sonnigen Mittelmeer-Strände dem nicht immer ganz so warmen Luxemburg ebenso vorziehen wie die Einheimischen, ist nicht auszuschließen.
Vielleicht aber hat mancher Hotelier es trotz großzügiger Subven-tionen in den vergangenen Jahren verpasst, in sein Haus zu investieren. Was sich angesichts der steigenden Mobilität der europäischen Urlauber und der besseren Möglichkeiten, sich im Voraus im Internet zu informieren, rächt. Denn Reisende, die ihren Urlaub nicht im Eiche-Rustikal-Blümchenvorhang-Ambiente verbringen wollen, können heutzutage im Internet schon mal kräftig aussortieren. Beim Lesen der Besucherbewertungen für ein Vier-Sterne-Hotel im Müllerthal auf booking.com, erhärtet sich der Verdacht. „Ich fand es nicht sehr erbaulich, dass im Frühstücksraum die Farbe an der Decke über der Eingangstür stark abblätterte“, meint ein weiblicher Gast. „Although everything was in good working order, the hotel gave an outdated feeling“, ein anderer und noch einer: „een beetje vergane glorie toch.“ Das Doppelzimmer für eine Nacht im kommenden August kostet immerhin 125 Euro.
Ähnliche Kommentare gibt es auch über andere Etablissements in der Gegend, ergänzt durch Lob für das freundliche Personal, aber auch mit Beschwerden über hohe Preise. Wobei Pierre Barthelmé, Regierungsrat im Tourismusministerium, sagt: „Die Betriebe, die investieren, haben jedes Jahr die besten Resultate vorzuweisen.“ Jean Schintgen, Horesca-Berater und Vize-Präsident der Handelskammer, der die Branche im Verwaltungsrat des ONT vertritt, ist sich durchaus bewusst, dass die Preise in Luxemburg hoch sind. Schon allein wegen der steigenden Gehälterkosten, die seinen Daten zufolge 2000 noch 27,4 Prozent im Verhältnis zum Umsatz ausmachten, 2008 aber bereits bei über 32 Prozent lagen. „Die hohen Preise“, meint auch er, sind nur durch hohe Qualität zu rechtfertigen.
Die Hoteliers und Campingplatzbetreiber allein für den Abwärtstrend verantwortlich zu machen, wird der Problematik aber nicht gerecht. Denn wenn die traditionelle Kundschaft ausbleibt, muss man sich auf die Suche nach neuer Kundschaft machen. Dafür ist eigentlich das Fremdenverkehrsamt Office national du tourisme ONT zuständig, und dass es hier Versäumnisse gegeben hat, offenbart sich jedem beim Besuch der Webseite. Eine Antwort auf die Frage, weshalb man in Zeiten von Billigurlaub am Strand überhaupt nach Luxemburg kommen soll, gibt es hier weder auf den ersten, noch auf den zweiten Blick – Weltkulturerbe, hallo? Statt auf „entdecken Sie unsere Highlights“, kann man hier auf „Entdecken Sie unsere Broschüren“ klicken. Was symptomatisch für die Verfehlungen der Vergangenheit ist.
Die hatte, die Unternehmensberater von Ernst[&]Young in einem Mitte 2011 vorgelegten Audit festgehalten und seither hat sich einiges verändert. Schon im November 2011 teilte das Tourismusministerium, welches das Budget des ONT speist, in seiner Newsletter Insider mit, man werde einen neuen Managing Director, Gestion, Organisation, Marketing stratégique, Communication im ONT einstellen. Ernst[&]Young solle die Umsetzung der 18 Empfehlungen überwachen, die nach dem Audit erarbeitet wurden. Der Direktor des ONT, Robert Phillipart, werde die Rolle als Ambassadeur touristique übernehmen und mit dem Managing Director zusammenarbeiten.
Das könnte man als gelungenen Euphemismus für die Verlegung Philipparts aufs Abstellgleis verstehen. Er selbst sieht das freilich anders. In Folge des Audits, erklärt er, wurden die Missionen des ONT ausgeweitet. Da sei es normal, dass zu deren Umsetzung mehr Personal gebraucht würden.
Ob die Missionen ausgeweitet wurden? Klarer definiert wurden sie auf jeden Fall. ONT und Tourismusministerium haben eine Konvention unterzeichnet, die klar regelt, wofür das ONT zuständig ist, wie Anne Hoffmann, neuer Managing Director im Hause ONT, erklärt. Eine Neuheit, die es der Führungstruppe in Zukunft auch erlauben könnte, mit einer gewissen Unabhängigkeit im Sinne aller Akteure auf die neu definierten Ziele hinzuarbeiten.
So soll das ONT zu allererst bessere Daten sammeln. Wer kommt wann, weshalb nach Luxemburg? Viel ist darüber nicht gewusst, und über die Tagesausflügler, die nicht in Luxemburg übernachten, weiß man gar nichts. Wenn die Situation besser bekannt ist, soll eine neue Marketingstrategie entwickelt werden. Dazu, erklärt Hoffmann, sollen erst einmal die Zielgruppen, wie Geschäftsreisende, Kongresstouristen, ältere Urlauber, Familien definiert werden – und ab da die Produkte entwickelt werden, mit denen man sie ansprechen kann. Gute Produkte auf Themenbasis zu entwickeln – damit die Leute wissen, warum sie nach Luxemburg kommen sollen –, steht für Hoffmann ganz oben auf der Agenda.
Dass man da auch mal beim Ministerium daneben greift, zeigt nicht zuletzt das Magazin Best of Luxembourg, das vergangenes Jahr unter dem Thema Radfahren stand. An sich ist das kein schlechter Plan. In den vergangenen Jahren wurde viel in den Ausbau und die Ausschilderung der Fahrradwege und Mountainbike-Strecken investiert. Ein neues Label Bed[&]Bike für radfahrerfreundliche Unterkünfte entstand. Davon er-zählt man auch im Magazin, in dem auch die Fahrradwege beschrieben sind. Doch verknüpft werden beide Elemente nicht, so dass es eventuellen Fahrradtouristen unersichtlich bleibt, wo sie auf welcher Tour in einem Bed[&]Bike Halt machen können, geschweige denn, etwas zu essen finden.
Wo es hingehen muss, zeigen die Initiatoren des Müllerthal-Trail, die sich mit der deutschen Initiative Best of Wandern zusammengetan haben und auf einer gut strukturierten Webseite nicht nur Lust aufs Wandern im Müllerthal machen, sondern gleich Karten mitliefern, auf denen Wege, Hotels, Restaurants, ja sogar Bahnhöfe und Bus-haltestellen eingezeichnet sind. So dass der Urlauber, tatsächlich herausfindet, wie er ins beworbene Wanderparadies kommt. Obendrauf gibt es durch die Zusammenarbeit mit Best of Wandern auf Bestellung sogar die Möglichkeit, sich die Ausrüstung, also Schuhe, Jacken, Rucksäcke, auszuleihen.
Im Vergleich dazu sehen die wenigen Angebote, die über die ONT-Seite buchbar sind, ziemlich alt aus. Dort versteht man unter einem Kultururlaub eine Übernachtung in Echternach, mit Visite der Basilika. Oder ein Hotelaufenthalt in Vianden, Eintritt ins Schloss, die Museen und Sesselliftfahrt inklusive. Dabei haben vor allem die Kultureinrichtungen der Hauptstadt manche Veranstaltung zu bieten, für die Interessierte, wenn sie davon wüssten und sie das Ticket und die Nacht im Hotel zusammen buchen könnten, sicher gerne nach Luxemburg reisen würden. Nur als kleines Beispiel: Das Ballet The Truth 25 times a second, das vom Ballet national de Marseille am heutigen Freitag in Marseille aufgeführt wird, vom Choreografen Frédéric Flammand, für das der chinesische Künstler und Dissident Ai Wei Wei das Bühnenbild gestaltete, feierte 2010 in Luxemburg Weltpremiere.
Mittelfristig ist das Ziel von ONT, Ministerium und Horesca, eine eigene Vertriebsplattform einzurichten. Das kann aber kann das ONT als gemeinnütziger Verein in seiner jetzigen Form nicht, weswegen – da sind sich alle einig – ein Statutenwechsel kommen muss. Für Horseca-Berater Schintgen ist die Umwandlung zum Groupement d’intérêt économique und die eigenständige Verkaufsplattform eine Priorität, weil auf kommerziellen Plattformen wie bookings.com mitunter bis zu 30 Prozent Kommission anfallen, die sich die Hoteliers gerne sparen würden, und er darin eine neue Einnahmequelle fürs ONT sieht. Einnahmen, die man verstärkt ins Marketing und in Kampagnen investieren könnte.
Ein verbessertes Marketing, um Luxemburg im Ausland bekannter zu machen, ist auch für Anne Hoffmann eine Priorität. Den Zielgruppen entsprechend will sie vorgehen. Dabei gibt es viel Potenzial, beispielsweise eine jüngere individuelle Kundschaft über ihre Internetsuchanfragen besser in Richtung Luxemburg zu leiten, wenn man sich – und an einer neuen Internetseite wird gearbeitet – nach Themenbereichen, statt nach Broschüren aufstellt. Themen, die über einen längeren Zeitraum hinweg vermarktet werden könnten, anstatt dass, wie bisher, jedes Jahr ein neuer Schwerpunkt gesetzt wird, was die Kontinuität in den Werbebotschaften nicht unbedingt fördert. So könnte das ONT auch verstärkt daran gehen, Luxemburg fest auf die Karte chinesischer Europapauschalreisender zu setzen, indem es für Präsenz in den Katalogen der Tourveranstalter sorgt. „Wenn wir nur ein Prozent der chinesischen Europa-Touristen hier begrüßen könnten, wäre das enorm“, meint Schintgen. Dann ist vielleicht irgendwann die Frage, ob es eine Speisekarte auf Mandarin gibt, ebenso wichtig wie die, ob die Bedienung holländisch spricht.