„Wir sprechen mit einer Stimme“, beeilte sich Fedil-Direktor Nicolas Soisson zu sagen, als er am Dienstag gefragt wurde, ob sich die Arbeitgeberverbände in ihren – eigentlich längst bekannten – Forderungen an die neue Regierung denn einig seien. Das mag auf den ersten Blick auch so aussehen, ist aber nur bedingt der Fall. Denn je knapper die Mittel, umso härter die Verteilungskämpfe. So kann, wer genau hinhört, nicht nur die bekannten groben Dissonanzen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern vernehmen, sondern auch leichte Divergenzen zwischen Arbeitgebern aus Industrie und Handwerk. Das verspricht für die sich früher oder später anbahnende Tripartiterunde interessante Stunden.
Einig sind sich die Verantwortlichen der Fedil mit denen der Fédération des Artisans (FDA), die am Montag zur Rentrée geladen hatte, darüber, dass die Krise längst nicht ausgestanden sei und diese düstere Vorhersage vor allem auf die Baubranche mit ihren 45 700 Beschäftigten zutreffe. Die Auftragsbücher seien abgearbeitet, warnen die Verantwortlichen beiderseits. Romain Schmit, Direktor der FDA, warnt gar vor drohenden Entlassungen, obwohl sich das Handwerk, wie FDA-Präsident Norbert Geisen sagt, bislang sehr verantwortungsvoll verhalten habe.
Doch während die Fedil die staatlichen Konjunkturmaßnahmen für die Baubranche als unwirksam schilt, singen die Kollegen von der FDA ein anderes Lied. „Bislang waren wir immer gegen wettbewerbsverzerrende Maßnahmen wie Kurzarbeit, weil dadurch ‚kranke’ Firmen auf Kosten von gesunden am Leben erhalten werden“, so Schmit. Doch nun drohen auch profitable Unternehmen mangels Aufträge zu verschwinden, weshalb man die Mitglieder nun dazu aufruft, die angebotenen Möglichkeiten voll zu nutzen. Gut findet man deswegen auch, dass die Beträge, ab denen eine Ausschreibung zwecks Vergabe öffentlicher Aufträge nötig wird, im Rahmen des Konjunkturprogramms angehoben wurden. So soll die eingebrochene private Nachfrage durch eine öffentliche ersetzt werden, hoffen die Handwerker.
Ob das allerdings auch klappt, vor allem für kleinere Unternehmen, die bislang wenig im öffentlichen Auftrag gearbeitet haben, darüber macht man derzeit keine Angaben. „Es ist die Verantwortung der Gemeinden, den Firmen in ihrem Perimeter Arbeit zu geben“, antwortet ein gereizter Roland Kuhn, Vertreter der Baubranche in der FDA, auf die Frage, ob die neuen Regeln auch kleineren Firmen – FDA-Mitglieder beschäftigen im Schnitt 14 Mitarbeiter – zugute kommen oder doch nur die Großen profitieren. Probleme sieht Romain Schmit aber ohnehin vor allem auf größere Firmen zukommen, solche, die bislang fast ausschließlich mit großen Bauträgern zusammengearbeitet haben – das mag erklären, weshalb Roland Kuhn, der ein solches großes Unternehmen leitet, so gereizt reagiert.
Einig sind sich die Verbände im Prinzip auch darüber, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Luxemburger Wirtschaft dringend verbessert werden müsse. Doch während das bei der Fedil zu fast karikaturalen Forderungen nach einer Senkung der Mindestlöhne oder gar deren Abschaffung führt, drückt sich die FDA gewählter aus, zieht positiv formulierte Forderungen vor. „Wettbwerbsfähigkeit ist der Anfang, nicht das Ende eines leistungsfähigen Sozialstaates“, heißt es bei der FDA.
In den Vordergrund stellt die FDA die Sorge um die Lohnnebenkosten, die nicht ansteigen dürften, da ansonsten ihre Bemühungen, die Luxemburger Handwerker dazu anzuregen, auch jenseits der Grenzen nach Aufträgen zu suchen, von vornherein zum Scheitern verurteilt wären. Und ihre Besorgnis um eine bessere Ausbildung der Jugend: „Es gibt keine arbeitslosen Handwerker“, sagen Geisen und Schmit, meinen damit wohlgemerkt solche, die zumindest einen Gesellenbrief in der Tasche haben. Hingegen zähle das Handwerk 300 unbesetzte Ausbildungsstellen. Unattraktiv erscheine den Jugendlichen eine Ausbildungsstelle vor allem wegen der schlechten Bezahlung, weshalb die FDA vorschlägt, auch Auszubildenden den Mindestlohn zu zahlen, mit Hilfe des Beschäftigungsfonds – obwohl dieser derzeit überstrapaziert sei. „Besser in die Ausbildung investieren als ins Arbeitslosengeld“, so ihr Rezept gegen die Jugendarbeitslosigkeit.
Wirklich wohlklingend ist der Chor der Arbeitgeber demnach nur, wenn sie die Reform der Adem ansprechen. Die dürfe nicht zum Etikettenschwindel werden, sondern müsse wirkliche Verbesserungen in der Vermittlung zwischen Arbeitsuchenden und einstellungswilligen Firmen bewirken. Einigkeit herrscht zudem, wenn es um den Bürokratieabbau geht, der nach Ansicht der FDA nicht gleich „das Ende der Demokratie und des Umweltschutzes nach sich ziehen muss“.
Dann ist es mit der Einstimmigkeit schon vorbei. Denn unterscheiden sich die grundlegenden Analysen der Staatsfinanzen von Fedil und FDA nicht wesentlich, so schallen im Diskurs der Fedil im Gegensatz zu dem der Kollegen sehr viele Ausrufezeichen mit. „Im Privatsektor herrscht Ruhe, gibt es keine überzogenen Lohnforderungen“, so Nicolas Soisson am Dienstag. „Doch im öffentlichen Dienst rumort es, und das ist in hohem Maße unverantwortlich!“, fügte er hinzu. Vor allem im Hinblick auf die Ausgabenentwicklungen im öffentlichen Haushalt. „Wir verlangen eine tiefgreifende Reform der Gehälterpolitik im öffentlichen Dienst!“, betonte der Fedil-Direktor. „Sofort hätten diese Sparmaßnahmen beginnen müssen, nicht erst in den Haushaltsentwürfen für 2011 und 2012. Auf allen Posten! Außer den Investitionen; das würde der Wirtschaft schaden“, so die Wildentschlossenen der Industriellenvereinigung, die mit solchen Aussagen ihr berechtigtes Entsetzen über die öffentliche Verschuldung, die Entwicklung in Kranken- und Rentenkassen selbst in den Hintergrund drückten. Die Handelskammer werde in ihrem Gutachten zeigen, wie man die Hälfte des Defizits 2010 hätte einsparen können, kündigte Fedil-Präsident Robert Dennewald an. Obwohl er keine Details nannnte, ist die Marschrichtung klar. Die Sozialtransfers machten rund zwei Drittel der staatlichen Ausgaben aus, rechneten die Fedil-Verantwortlichen vor. Niemand habe je nach der Mammerent gefragt, noch nach den sozialen Dienstleistungsschecks. Man schlägt unverhohlen vor, die Sozialleistungen zu desindexieren. Dagegen ist die Bemerkung Schmits, die Lohnforderungen im öffentlichen Dienst finde man „fast zynisch“, geradezu bedacht und zahm. Er wolle niemanden etwas wegnehmen, sagte Schmit mit Hinweis auf die Rentenkassen, doch die steigenden Ausgaben müssten abgebremst werden.
Dass die FDA tatsächlich dabei ist, die Rolle des Rottweilers und Wadenbeißers der Arbeitgeber ein wenig abzuschütteln und an die Fedil abzugeben, sieht man auch am Dauerbrenner Gehälterindexierung. Die FDA schnitt das Thema am Montag von sich aus kaum an, hielt sich auch bei Nachfragen bedeckt, wiederholte lediglich die alte Forderung nach einer Deckelung des indexierten Gehaltes im eineinhalbfachen Mindestlohn. Ganz anders die Fedil, deren Vertretern beim Stichwort Index wie bestellt das Blut in die Köpfe schoss. Die voraussichtlich Mitte 2010 fällig werdende Indextranche werde für die Unternehmen „nicht zu verkraften“ sein, warnte Soisson. Deswegen forderte er mit Nachdruck, „möglichst bald“ eine Tripartiterunde einzuberufen – wo auch die Mindestlöhne „diskutiert“ werden müssten. Die Verantwortlichen der FDA sind weitaus weniger erpicht auf eine neuerliche Tripartite. Die erwartet man sich – trotz des Versprechens von Premierminister Jean-Claude Juncker, diese im Herbst einzuberufen, falls die Konjunktur nicht angesprungen sei – frühestens für Anfang 2010. Erwartungen hat man erst recht nicht. „Die Themen sind bekannt, wie auch die Positionen der Sozialpartner. Ich gehe davon aus, dass das Parlament aktiver werden muss“, so Schmit, der im Hinblick auf die Resultate einer solchen Runde „eher pessimistisch“ ist.
Angesichts dieser doch ungewohnten verbalen Mäßigung, kann man sich fragen, ob die FDA einer neuen Strategie folgt – da eine Einigung zwischen Sozialpartnern über Veränderungen am Indexsystem ohnehin fast ausgeschlossen ist und man in anderen Punkten ähnliche Stellungskriege vermeiden will. Dahinter steckt wohl auch das Bewusstsein, dass sogar wenn die Arbeitgeber ihre Forderung nach einer Reduzierung des indexierten Gehalts auf eineinhalb Mindestlöhne durchsetzen, das ihre Mitglieder kaum entlasten würde. Weil nur wenige der Beschäftigten in der Branche wesentlich mehr verdienen als die angepeilte Obergrenze, wie Schmit erklärt. Diese Schlacht zu schlagen, scheint es, das überlässt man nun gerne den Nutznießern einer solchen Systemänderung.Dass die Verbände nicht mit einer Stimme sprechen und darauf bedacht sind, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen, zeigt zudem ihre Haltung gegenüber erneuerbaren Energien. Die FDA wittert hier neue Märkte, beispielsweise für Installateure. Sie fordert die Regierung außerdem auf, auch Firmen, nicht nur Privatleuten, ordentliche Stromeinspeisetarife zu garantieren. Es gebe durchaus Firmen die als Beiprodukt ihrer Aktivitäten Strom herstellen und damit helfen könnten, Luxemburgs Verpflichtungen, mehr Strom aus regenerativen Energiequellen zu beziehen, einzuhalten, so Schmit.Die Fedil ist anderer Meinung, relativiert die Ziele als unrealistisch und findet staatliche Förderprogramme in diesem Sinne unsinnig.
So tun sich in der Arbeitgeberfront krisenbedingt Risse auf, die bei ohnehin verhärteten Fronten zwischen den Sozialpartnern, einer Tripartiterunde wenig Aussichten auf Erfolg bei Strukturreformen lassen. Strukturreformen, die Wirtschaftsminister Jeannot Krecké bei der Vorstellung des Bilan de la Compétitivité vor wenigen Wochen noch als notwendig bezeichnete. Kann das Instrument Tripartite angesichts dieser Situation überhaupt noch wirksam sein? Und müsste nicht eigentlich die Regierung selbst entscheiden, welche Politik sie in Zukunft machen will, und sich bei unpopulären Maßnahmen nicht hinter der Tripartite verstecken? Das würde auch die Gewerkschafter im Parlament zwingen, Farbe zu bekennen oder aber ihre Gewerkschaftsmandate abzugeben.