Wir zahlen nicht für eure Krise, hatten 15 000 Demonstranten im Mai vor den Wahlen skandiert. Ein breites Gewerkschaftsbündnis aus OGB-L, LCGB, CGFP und anderen war gegen Kaufkraftverlust via Indexmanipulation und Gehälterkürzungen auf die Straße gegangen. Mit großen Worten wurde allgemeine Solidarität beschworen. Nach den Wahlen ist der Slogan weiterhin topaktuell, nur der Ton hat sich geändert: Die geplante kostenneutrale Gehälterrevision werde es nur mit „grundlegenden Verbesserungen für alle“ geben, beharrt die Beamtengewerkschaft CGFP. Man werde keine „Verwässerung“ des Statuts hinnehmen und auch nicht, als „Sündenbock“ „alleine zur Kasse gebeten“ zu werden.
Das ist im besten Fall ignorant und im schlimmsten Fall zynisch. Es stimmt, dass das letzte Wort in Sachen Staatsfinanzen noch nicht gesprochen ist. Aber für den Crash der Luxemburger Banken, die nur mit einer Milliardenspritze gerettet werden konnten, haften nicht die Beschäftigten aus dem öffentlichen Dienst allein, sondern alle, die Steuern zahlen. Mehr noch aber zahlen diejenigen, die in Folge von Flaute und Kreditklemme ihren Arbeitsplatz verloren haben oder aufgrund von Kurzarbeit deutliche Lohneinbußen hinnehmen müssen.
Für sie muss die Ansage der Lehrervereinigung Apess, nach der Krise ebenfalls mehr Gehalt fordern zu wollen, um den Lohnabstand zu den Grundschullehrern wiederherzustellen, wie ein Ruf aus einer anderen Welt klingen. Die Apess wettert zudem gegen differenzierte Sprachanforderungen, die es mehr Schülern erlauben würden, einen Abschluss zu machen. Der „nivellement vers le bas“ im Sprachenunterricht würde die soziale Trennung fördern, behauptet sie und wird darin von CGFP-Präsident Emile Haag unterstützt. Nur: Von welcher Trennung reden sie eigentlich?
Der französische Wirtschaftswissenschaftler Eric Maurin beschrieb in Le Monde, wovor Soziologen seit langem warnen: Es geht ein Riss quer durch die Gesellschaft, zwischen denen, die in unsicheren Jobs leben und in Krisenzeiten die ersten sind, die wegrationalisiert werden, und jenen, die einen sicheren Arbeitsplatz haben, sich aber fürchten, ihn zu verlieren.
Den Graben gibt es auch bei uns. Eine unveröffentlichte Studie der Uni Luxemburg, die dem Land vorliegt, stellt fest: Noch nie waren so viele Luxemburger beim Staat beschäftigt. Rund 48 000, 42,3 Prozent der Luxemburger Beschäftigten, arbeiteten im März 2008 im öffentlichen Dienst. Zählt man den Sozial- und Gesundheitssektor hinzu, dann stand jeder zweite Luxemburger Beschäftigte beim Staat oder den Gemeinden, den angegliederten Institutionen und konventionierten Einrichtungen in Lohn und Brot. Über Jahrzehnte ist so eine Sicherheits-Klasse von Arbeitern, Angestellten und Beamten entstanden, die dank Zugangsbeschränkungen, Nationalitätsklausel und hoher Wachstumsraten darauf bauen konnte, dass ihre Nische abgesichert war.
Mit der Krise gerät die Konstruktion immer mehr unter Druck. Bei einem Staatsdefizit von zwei Milliarden Euro und einer Verschuldung von 19 Prozent des BIP steigt die Angst, einmal erkämpfte Errungenschaften zu verlieren oder gar beschnitten zu bekommen. Das Wachstumsmodell klappt nicht mehr – der Schonraum wird porös: Mit besser qualifizierten Grenzgängern in der Privatwirtschaft können viele Luxemburger Absolventen nicht mithalten, der „secteur protegé“ gewinnt an Attraktivität, gleichzeitig verschärfen gelockerte Sprachanforderungen den Wettstreit. So präsentiert sich die angebliche Sorge um die soziale Trennung vor allem als Abwehrkampf gegen neue Kontrahenten. Und die Frage nach der Solidarität stellt sich mit einem Mal anders.