„Time present and time past / Are both perhaps present in time future / And time future contained in time past“ – nach diesen Versen aus T.S. Eliots Gedicht Burnt Norton ist die derzeitige Ausstellung Time Present der Deutschen Bank Collection betitelt. Die Wanderausstellung ist nach Singapur, Mumbai und Tokio derzeit in den Räumen der Deutschen Bank Luxemburg auf dem Kirchberg zu sehen, ihrer einzigen europäischen Station.
Der Titel verweist auf den Inhalt der Ausstellung, die sich einerseits dem Zusammenspiel von Fotografie und Zeit widmet und die andererseits einen chronologischen Überblick über die Entwicklung der Sammlung selbst gibt. Time Present fügt sich in eine Reihe von Überblicksausstellungen ein, die anhand einer thematischen Auswahl Einblicke in die fotografische Sammlung der Deutschen Bank geben.
Die 1979 gegründete Deutsche Bank Collection, eine beeindruckende Sammlung zeitgenössischer Fotografie, die Werke bekannter deutscher Fotografen, wie Bernd und Hilla Becher, Andreas Gursky oder Thomas Struth umfasst, bekam über vier Jahrzehnte eine zunehmend internationale Ausrichtung. Das Interesse gilt etwa italienischen Konzeptfotografen wie Luigi Ghirri oder den Fotografen der Helsinki-School, wie der jungen Künstlerin Anni Leppälä. Zudem fanden Werke indischer, marokkanischer und chinesischer Fotografinnen Einzug, die sich den aktuellen Themen Feminismus, Migration und Urbanität widmen und ebenfalls in Time Present vertreten sind.
Die internationale Ausweitung der Kollektion über die Jahre ist mit der globalen Ausrichtung der Institution Deutsche Bank zu erklären. Vor Ort werden in den Firmensitzen Werke national bedeutsamer Künstler erstanden und ausgestellt. Sie finden so Einzug in die Sammlung. Laut Ausstellungskatalog legt man dabei großen Wert auf Visibilität, so seien 95 Prozent der Werke der gesamten Sammlung in den Räumlichkeiten der Deutschen Bank untergebracht, obschon sie dort nicht immer ohne Weiteres zugänglich sind.
Im Untergeschoss des Gebäudes auf dem Kirchberg ist aktuell der frei zugängliche Teil der Ausstellung Time Present zu sehen. Die Auswahl umfasst alle vier Jahrzehnte der Gesamtkollektion und dokumentiert somit auch die Evolution der Sammlung. Thematisch gliedert sich die Ausstellung in vier Kapitel mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die von metaphysischen hin zu materiell-konkreten Auseinandersetzungen mit dem Thema „Zeit“ reichen.
Unter dem Motto „Time Exposed“ sind Bilder gezeigt, die sich mit dem Gegensatz von Statik und Dynamik im Medium Fotografie beschäftigen. Der Japaner Hiroshi Sugimoto fotografierte etwa ein Autokino über die gesamte Dauer der Filmvorführung – mit dem Resultat einer gänzlich überbelichteten Leinwand vor einem Zaun und Palmen im Hintergrund. Diesem Spiel mit der Frustration über die vermeintliche Unzulänglichkeit der Fotografie, eine Zeitspanne festzuhalten, steht ein gigantisches Bild Martin Liebschers gegenüber. In dieser aufwändigen Bildmontage besetzt Liebscher sowohl die Zuschauerränge als auch das gesamte Orchester einer Konzerthalle mit sich selbst in verschiedensten Posen und verweist so auf absurd-humoristische Weise auf das Festhalten eines Zeitverlaufs innerhalb eines Bildes.
Im Kapitel „Today is the Past“ stehen die archivierenden Qualitäten der Fotografie im Vordergrund. Herausragend sind hierbei die ikonischen Gasbehälter des Ehepaars Becher. Wollte Bernd Becher diese Strukturen zunächst zeichnerisch festhalten, merkte er bald, dass ihm die Zeit davonlief und er angesichts der zunehmenden Demontage dieser industriellen Relikte auf das Medium Fotografie zurückgreifen musste. Die Bilder der Bechers oder Anett Stuths Montage Erinnerung, ein Sammelsurium persönlicher Gegenstände und Räume, prägt auf eindrucksvolle Weise das Festhalten und Reinszenieren bedeutsamer Strukturen, Szenerien und Momente, das der Fotografie ganz klassischerweise zugeschrieben wird.
Der Zwiespalt zwischen dieser dokumentarischen Eigenschaft und der Inszenierung kommt unter dem Titel „A Moment of Intense Concentration“ zum Tragen. Die Iranerin Shirin Aliabadi zeigt in ihrer Serie Girls in Car junge Frauen mit geschminkten Gesichtern, das Kopftuch hinter die Haare geschoben, die neben ihr im Stau standen. Unbeschwert lächeln die Frauen in die Kameras und brechen so das Klischee der unterdrückten Frau. In Andreas Gurskys monumentaler Aufnahme der Börse in Singapur vermischen sich Dokumentation und Inszenierung im montierten Blick auf das Geschehen.
Kann die Fotografie in ihrer Gegenwärtigkeit auf die Zukunft verweisen? Diese Frage wird im Ausstellungsteil „My Future Is Not a Dream“ positiv beantwortet. In der gleichnamigen Serie des Chinesen Cao Fei sieht man eine tanzende Lageristin oder einen Fabrikarbeiter an einer Gitarre, Personen also, die in ihrem gegenwärtigen Umfeld ein alternatives oder künftiges Bild ihrer selbst ausleben.
Die hochkarätige Auswahl der Bilder, eine große internationale Diversität und das fotohistorische Spektrum machen Time Present zu einer ausgesprochen sehenswerten Ausstellung, die eine Vorstellung über die Reichhaltigkeit der gesamten Deutsche Bank Collection gibt. Was die eingeschränkte Visibilität der Ausstellung betrifft, besteht am 25. September von 12 bis 19 Uhr die Möglichkeit, auch den sonst unzugänglichen Ausstellungsteil in den oberen Etagen zu sehen. Dann stehen die Türen der sonst weggesperrten privaten Kunstsammlungen auf dem Kirchberg im Rahmen der Private Art Kirchberg offen.