Als „the most remarkable human documents ever rendered in pictures“ bezeichnete Edward Steichen die sozialdokumentarischen Werke, die von der fotografischen Abteilung der Farm Security Administration (FSA) unter der Leitung von Roy Stryker angefertigt wurden. Fotografen wie Walker Evans, Dorothea Lange und Russell Lee porträtierten von 1935-1944 das harte Leben der Farmpächter in Zeiten der Wirtschaftskrise und der verheerenden Effekte des Dust Bowls. Das Projekt entstand in den ländlichen Gegenden des Mittleren Westens der USA und sollte sowohl die Notwendigkeit als auch die Erfolge der Hilfsprogramme im Rahmen von Roosevelts New Deal-Politik dokumentieren. Die dort angesiedelten Farmer pachteten Land, das sie unter widrigsten Umständen bestellen mussten. Der Erlös ging dabei größtenteils an den Verpächter. Steichens Wertschätzung für das Unternehmen, das auch im digitalen Zeitalter noch immer als das größte zusammenhängende sozialwissenschaftlich-journalistische Fotoprojekt gilt, resultierte in der Ausstellung The Bitter Years, für die Steichen einen Teil der über 175 000 Bilder nach Themenbereichen kuratierte. 1962 wurde die Ausstellung im MoMA ausgerichtet und reiste in den Folgejahren als Wanderausstellung durch die Vereinigten Staaten und Europa, bevor das MoMA die Abzüge 1967 auf Steichens Wunsch hin dessen Heimatland Luxemburg überließ.
Ab 1990 nahm sich das CNA der Archivierung und Restaurierung der empfindlichen, von den Reisen und Ausstellungen strapazierten Werken an. Um die Bilder zu schützen und sie nicht permanent den zersetzenden chemischen Prozessen durch Luftfeuchtigkeit und Beleuchtung auszusetzen, wird die Ausstellung seit 2012 im Wasserturm und Pomhouse des CNA in mehreren Zyklen gezeigt.
Im aktuellen zweiten Zyklus, der von Anke Reitz und Michèle Walerich vom CNA kuratiert wird, werden im Pomhouse nun die Themenbereiche Field Workers, Jobless, Tents, Houses und Schools gezeigt, welche die Farmer und ihre Familien bei der Arbeit und in deren sozialem Umfeld porträtieren. Der ehemalige Wasserbehälter des Turms ist ganz dem größeren Themenbereich Sharecroppers gewidmet. Bis auf ein paar Ausnahmen handelt es sich bei den Schwarzweißaufnahmen unterschiedlichen Formats um die restaurierten Originalabzüge mit der ursprünglichen Kaschierung auf Holzplatten. Lediglich einige besonders delikate Bilder hängen als Reproduktionen, während die Originale geschützt in der Kühlkammer des CNA-Archivs lagern.
Ziel war laut Anke Reitz, die Ausstellung ganz im Sinne von Steichens ursprünglicher Konzeption zu gestalten, wozu das Team des CNA in den Archiven des MoMA die Pläne und Grundrisse der Originalausstellung recherchierte. Eine Herausforderung bei der Neuinterpretation sei insbesondere die Raumaufteilung gewesen, so Reitz, weshalb man hier auf die Beratung durch die Architektin Claudine Kaell zurückgriff. Während der untere ringförmige Ausstellungsbereich eine Abfolge von Blickwinkeln bietet, gibt der kreisrunde Wasserbehälter unmittelbar den Blick auf die gesamte Ausstellungsfläche preis. Die Umsetzung mit mehreren kleinen Themenbereichen unten und einem übergeordneten Themenbereich im Wasserturm bringt somit in gelungener Weise Räumlichkeit und Sequenzierung der Bilder in Einklang.
Der erste, vom damaligen Direktor Jean Back kuratierte Zyklus war geprägt von Arbeiten Dorothea Langes, etwa der ikonischen Migrant Mother. Ihre Fotografien spielen in diesem zweiten Zyklus noch immer eine große Rolle, doch finden sich gerade im Bereich Sharecroppers eine Vielzahl Bilder des Fotografen Walker Evans, der gemeinsam mit dem Autor James Agee einige Zeit mit Farmpächterfamilien verbrachte, die sie in ihrem gemeinsamen Buch Let Us Now Praise Famous Men, einem Meilenstein des Sozialdokumentarismus, festhielten.
Die durchaus düsteren Bilder, die Steichen auswählte, zeigen das Leben der Farmer, ohne es zu beschönigen. Die harte, auszehrende Arbeit und der öde, ländliche Alltag werden insbesondere in den Fotografien im Pomhouse deutlich, auf denen die Leihfarmer in ihrem Arbeitsumfeld dargestellt werden. Der Bau der spärlichen Holzhäuser ist ebenso dokumentiert wie das Spiel der Kinder auf einem kargen Schulsportfeld. Im oberen Bereich ist das entbehrungsreiche Leben mittelbar aus den ausgezehrten Gesichtern der Erwachsenen und Kinder zu lesen, an der abgetragenen Kleidung und der großen Ernsthaftigkeit, mit der selbst Kinder in die Kamera blicken. Gerade der Verweis auf klassische Motive der Familienfotografie kontrastiert dabei mit dem Inhalt und evoziert damals wie heute den Vergleich mit den eigenen Lebensbedingungen.
Wie Anke Reitz betont, war Steichens Auffassung, dass die Bilder größtenteils für sich sprechen sollten, weshalb neben den Bildern, abgesehen von den Namen der Fotografen, kaum Beschreibungen zu finden sind. Stattdessen sind vereinzelte Zitate der Porträtierten sowie kürzere Artikel zwischen die Bilder gestreut, wie es in der ursprünglichen Ausstellung der Fall war.
Der Kontext erschließt sich vor allem aus Christian Mosars Texten im Audioguide, der in zeitgemäßer Form auch als App für das eigene mobile Endgerät erhältlich ist. Ebenso wurde mit der Hilfe des Studios Bunker Palace eine neue Webseite zu den Steichen-Collections gestartet, die smartphonegerecht in übersichtlicher Weise über die Geschichte der Sammlung und das aktuelle Rahmenprogramm informiert.
An die Tage der offenen Tür mit Open-Air-Kino, Musik und Verkostung Ende Juli schließt sich das Programm So So Summer an, das jeden Donnerstagabend im August bei Streetfood und DJ-Acts zum Entdecken der Bitter Years einlädt. Das lockere Rahmenprogramm belebt die historischen Bilder der Sammlung auf ungezwungene Weise. Überhaupt besitzt der ehrliche, aber zugleich subjektive und durchaus mitleidige Blick auf das Leben der Farmer einen hohen Aktualitätswert in Zeiten der Flüchtlingsströme und der vielfältigen Debatten, die über deren mediale oder künstlerische Rezeption geführt werden.