Die Arbeitslosigkeit steigt, freie Stellen werden vor allem mit Grenzgängern besetzt und ohnehin werden neue Posten vor allem beim Staat und in parastaatlichen Strukturen geschaffen – wer das glaubt, sollte, den neuesten Daten zufolge, die das Statec in seiner Note de Conjoncture 1-2015 vorstellt, umdenken.
Die Beschäftigungsrate ist 2014, gemessen in Vollzeitstellen, um 2,9 Prozent angestiegen. Die neuen Stellen werden nicht unbedingt in den Bereichen geschaffen, die man erwartet hätte. Denn setzte sich in den vergangenen Jahren allgemein die Ansicht durch, es sei vor allem der Staat, der einstelle – in den Augen der Arbeitgeberverbände meist zu viel und ohnehin zu viel zu hohen Löhnen –, stimmt das nur bedingt. Zwar hat sich die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in den vergangenen 20 Jahren von 25 057 auf 46 896 fast verdoppelt, ist demnach zwischen 1994 und 2014 im Schnitt um 3,2 Prozent angestiegen. Doch damit stieg die Beschäftigung im öffentlichen Dienst ein wenig langsamer als auf dem Luxemburger Beschäftigungsmarkt insgesamt, der in den vergangenen 20 Jahren im Schnitt um 3,4 Prozent wuchs. So liegt der Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst im Vergleich zu allen Beschäftigten in Luxemburg seit Mitte der Neunziger quasi unverändert bei 12,6 Prozent.
Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 2009, als die Industrieproduktion zusammenbrach, die Kurzarbeit rasant anstieg, Sozialplan auf Sozialplan folgte und die Insolvenzen zunahmen, stellte der Staat weiter ein und nahm eine entsprechend wichtige Rolle bei der Schaffung neuer Stellen ein, eine konjunkturell bedingte Erscheinung. Vergangenes Jahr erklärten die Luxemburger Gerichte 850 Firmen insolvent, 19 Prozent weniger als im Vorjahr und so wenig wie seit 2009 überhaupt. In den vergangenen Quartalen hat sich die Lage definitiv umgekehrt: „L’accélération de l’emploi sur les derniers trimestres est donc entièrement imputable à l’emploi privé“, heißt es in der Note de conjoncture. Teilweise führt man das beim Statec darauf zurück, dass nach den Neuwahlen 2013 der Haushalt für 2014 nicht rechtzeitig verabschiedet wurde und nach dem Prinzip des vorläufigen Zwölftels funktionierte. Aber nicht nur. Im vergangenen Jahr schrumpfte die Personalbasis in den öffentlichen Verwaltungen, die von der Administration du Personnel de l’État abhängt, um 0,8 Prozent. Demnach spart der Staat vor allem bei den Beamten (fonctionnaires; -1,8 Prozent) binnen eines Jahres, während die Zahl der Angestellten (employés; +1,9) steigt. Hätte man für die EU-Ratspräsidentschaft nicht 150 Mann und Frau extra eingestellt, wäre es ein Personalrückgang um 1,3 Prozent gewesen. Das Phänomen betrifft alle wichtigen Verwaltungen, schreibt das Statec, sowie das Schulwesen und die Seniorenpflege. Eingestellt haben vor allem die Strafvollzugsanstalt, die Adem und die Éducation différentiée.
2014 stellt einen Wendepunkt in Sachen Immigration dar, denn es ist das Jahr, in dem die französischen (19 Prozent) die portugiesischen (17 Prozent) Zuwanderer an der Spitze des Immigrationsklassements abgelöst haben. Seit der Wirtschaftskrise, stellt das Statec fest, lassen sich mehr Franzosen in Luxemburg nieder, und so ist der Anteil der Franzosen, die auf dem Staatsgebiet wohnen, im Vergleich zu denen, die hier arbeiten, von 17 Prozent 2009 auf 20 Prozent 2014 gestiegen. Am ersten Januar 2015 zählte Luxemburg 562 985 Einwohner, 2,4 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wobei dieser Bevölkerungszuwachs zu 83 Prozent auf Zuwanderung zurückzuführen ist. Weil die Zuwanderer zum Arbeiten kommen, verbessert das die Wettbewerbsfähigkeitsstatistiken. Das Erwerbspersonenpotenzial liegt derzeit bei 76,3 Prozent, „soit le niveau le plus élevé jamais atteint et proche de celui de la zone euro“, schreiben die Statec-Mitarbeiter. Die Beschäftigungsrate steigt ebenfalls und erreichte vergangenes Jahr 72,1 Prozent. Damit kommt Luxemburg seinem Europa2020-Ziel von 73 Prozent näher und liegt weit über dem europäischen Durchschnitt von 68,2 Prozent. Es sind aber nicht nur die Zuwanderer, die Luxemburg wettbewerbsfähiger machen, sondern auch die Frauen. Seit 2000 steigt die Beschäftigungsrate der Frauen jährlich um ein Prozent auf 65,5 Prozent 2014, in der Eurozone stagniert sie bei 62 Prozent. Die Abschaffung der Erziehungsbeilage werde diesen Trend in den kommenden Jahren verstärken, glaubt man beim Statec.
Stieg die Beschäftigung der Grenzpendler 2014 im Schnitt noch schneller als die der Gebietsansässigen, hat sich das Verhältnis in den vergangenen Quartalen umgekehrt. Weil aber die Konjunktur in den vergangenen Monaten wieder angezogen hat und im Zeitarbeitsbereich, der stark Grenzpendler-abhängig ist, wieder rekrutiert wird, glauben die Ökonomen vom Statec nicht, dass der Trend lange anhalten wird. Dennoch: Seit 2009 stellen die Grenzpendler unverändert 44 Prozent der Beschäftigten auf dem Luxemburger Arbeitsmarkt, wobei ihr Anteil vor der großen Wirtschaftskrise jährlich um ein Prozent wuchs. „L’apport de la main-d’œuvre étrangère, dans la phase de reprise qui a suivi, s’est fait davantage par le biais de l’immigration.“
Angesichts der vielen Baustellen im Luxemburger Straßennetz und der Skyline, die wieder recht viele Baukräne schmücken, wundert es nicht, wenn das Statec feststellt, dass die Baubranche vergangenes Jahr die meisten neuen Stellen (15 Prozent) geschaffen hat. Neue Jobs entstanden außerdem in der Gesundheits- und Sozialbranche sowie bei den spezialisierten Dienstleistungen. Dass die Baubranche wieder einstellt und die Industrie Zeitarbeitskräfte rekrutiert, kommt vor allem jungen, portugiesischen Männern mit niedrigem Ausbildungsniveau zugute, wie das Statec festhält; darauf ist die Senkung der Arbeitslosenrate auf 6,9 Prozent im vergangenen April zurückzuführen. Die Arbeitgeber melden zudem mehr freie Stellen bei der Arbeitsagentur Adem. Das muss nicht unbedingt daran liegen, dass es tatsächlich mehr freie Stellen gibt, sondern auch daran, dass sich die Adem seit Monaten bemüht, ihre Beziehungen zu den Firmenchefs zu verbessern und der Arbeitsminister im vergangenen Herbst in Erinnerung gerufen hatte, dass diese gesetzlich dazu verpflichtet sind, freie Posten bei der Adem zu melden. So wurden in den ersten vier Monaten 2015 über 3 000 neue Freistellen bei der Adem gemeldet; Ende April gab es damit offiziell 5 000 unbesetzte Posten. Allerdings wird vor allem hochqualifiziertes Personal gesucht. Vergangenes Jahr wurden 481 Blaue Karten für hochqualifizierte Nicht-EU-Bürger ausgestellt, binnen zwei Jahren hat sich die Zahl der genehmigten Blauen Karten mehr als verdreifacht.
Die Informations- und Kommunikationstechnologien hatte bereits Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) als eine der Branchen identifiziert, die zur Diversifizierung der Luxemburger Wirtschaft beitragen sollten. Das schien eine Zeitlang ganz gut zu klappen. Wenn Krecké von Reisen in die USA oder nach Fernost zurückkehrte, konnte er die Niederlassung von Gaming-Firmen oder Online-Händlern bekanntgeben. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Beschäftigten in der ICT-Branche von 10 747 auf 16 760 angestiegen, ein Beschäftigungszuwachs von 4,6 Prozent jährlich. Deshalb ist Luxemburg aber längst noch kein Technologie-Standort. Denn zur ICT-Branche gehören beispielsweise auch Unternehmen wie die Post mit ihren 4 000 Beschäftigten oder Sogeti und Telindus. So stellt das Statec fest, dass 90 Prozent der Beschäftigung im ICT-Sektor im Dienstleistungsbereich konzentriert sind – dazu gehören weder das Programmieren, noch die Beratung, noch die Herstellung von Hardware – weitere zehn Prozent der Beschäftigen sind im Handel aktiv. Da wundert es nicht, dass Kreckés Nachfolger, Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP), vor wenigen Monaten vor Parlamentariern einräumen musste, dass die Gaming-Firmen Zynga und Kabam Luxemburg wieder verließen, liege daran, dass sie keine qualifizierten Arbeitnehmer finden würden.
Kurz vor den Neuwahlen 2013 hatte Etienne Schneider gemeinsam mit seinem damaligen Regierungskollegen Claude Wiseler (CSV) eine positive Bilanz in den Bemühungen um den Ausbau des Logistikstandorts gezogen. Sie berichteten von wachsenden Beschäftigtenzahlen, zunehmenden Geschäftsflächen, steigenden Firmenzahlen. Zwischen Anfang 2005 und Ende 2014 stieg die Beschäftigtenzahl in der Logistikbranche von 10 722 auf 12 231. In zehn Jahren wurden demnach netto 1 400 Arbeitsplätze geschaffen. „Wir gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2020, und das sind immerhin nur noch knapp sechs Jahre, bis zu 5 000 neue Arbeitsplätze entstehen werden“, hatte Schneider im Herbst 2013 dem Tageblatt gesagt. „Wir werden alles daran setzen, dass die meisten dieser neuen Jobs an Menschen gehen, die in Luxemburg leben, was auch die Arbeitslosenzahlen bei uns wieder nach unten drücken wird.“ Jetzt bleiben noch vier Jahre um diese Ziele zu erreichen, und wenn sich der Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit schließen soll, muss Schneider Wunder wirken. Denn seit 2009, als die Krise die Branche hart traf, gehen die Beschäftigtenzahlen in der Logistik zurück. Und im Vergleich zu 2005 verliert die Branche auf dem Arbeitsmarkt an Gewicht. Arbeiteten 2005 3,8 Prozent aller Beschäftigten in Luxemburg in der Logistik, waren es 2014 nur noch 3,2 Prozent.
Ganz diskret und unbeobachtet hat sich in den vergangenen Jahren eine andere Branche zum Jobmotor entwickelt: die Holdings. Ganz vorsichtig in Schrägschrift – das ist wohl den Luxleaks-Enthüllungen geschuldet – erklären die Mitarbeiter vom Statec, was eine Société de participation financière (Soparfi) ist, und von welchen Steuervorteilen sie profitieren können. Die Soparfis haben sogar die Fondsindustrie bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze überholt. Während die krisengeschüttelten Banken seit 2008 im Schnitt 90 Beschäftigte im Jahr abbauen, steigt die Beschäftigung in der Finanzbranche insgesamt seit 2009 weiterhin um 0,9 Prozent an. Dabei gehen laut Statec 64 Prozent dieser Entwicklung auf die Einstellung neuer Mitarbeiter bei den Soparfis zurück. Sechs Prozent der neuen Stellen in der Luxemburger Wirtschaft wurden 2014 von Soparfis geschaffen. Obwohl die meisten Soparfis mit nur einem Mitarbeiter funktionieren, beschäftigen sie mittlerweile so viele Mitarbeiter wie die Versicherungsbranche: sieben Prozent der Angestellten am Finanzstandort. Dazu, welche Folgen Luxleaks und die Verhandlungen um die gerechte Besteuerung von Unternehmen in der EU und in der OECD auf die Beschäftigung in den Soparfis haben könnte, äußern sich die Statec-Mitarbeiter nicht. Aber immerhin haben sie damit zumindest einen Teil der Risikogruppe identifiziert, deren Arbeitsplätze je nach Ausgang dieser Verhandlungen auf dem Spiel stehen könnten. Dass es eine solche Risikogruppe gibt, wollte Finanzminister Pierre Gramegna bisher nicht eingestehen. Nach seiner Luxleaks- und Beps-Folgenabschätzung gefragt, sagte Gramegna noch bei der Vorstellung des Stabilitätsprogramms Ende April: „Die Kundeneinlagen der Banken sind stabil und der Fondsbranche geht es gut.“