Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche

Moralische Pflicht

d'Lëtzebuerger Land vom 08.04.2010

Respekt verlangt die rasche und offensive Krisenkommunikation des Erzbistums im Umgang mit den Vorwürfen der sexuellen Gewalt und Misshandlungen durch Geistliche. Dies gilt um so mehr, als die katholische Kirche nicht gerade im Ruf steht, flink zu sein. Denn nach eigenen Angaben denkt sie bevorzugt in Jahrhunderten, wenn sie nicht gar ein Anrecht auf die Ewigkeit beansprucht. Bekannte Transportunternehmen und Finanzinstitute, die in der Vergangenheit ihre Krisen zuerst mit Totstellen und Aussitzen zu überwinden versucht hatten, können jedenfalls bei der Geistlichkeit in die Schule gehen. Statt sich von immer neuen Vorwürfen und Enthüllungen in die Defensive drängen zu lassen, wie es in anderen Ländern geschah, kündigte das Erzbistum präventiv eine eigene Kontaktstelle an, um selbst Vorwürfe und Enthüllungen zu sammeln. Dass sie einen kirchennahen CSV-Abgeordneten statt eine unabhängige Persönlichkeit mit ihrer Help­line beauftragte, mag ein taktischer Fehler sein, weil das erneut als Vertuschungsversuch angesehen werden könnte. Aber anders als der Papst ist das Erzbistum nicht unfehlbar.

Selbstverständlich geht es dem Erzbistum mit seiner Initiative darum, die äußerst rufschädigenden Vorgänge unter Kontrolle zu bringen und den Pafefrësserten, für die die sexuelle Gewalt und Misshandlungen durch Geistliche ein gefundenes Fressen sind, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das ist schließlich der Sinn von Krisenkommunikation. Auch scheint es, als ob die heutige Spitze des Erzbistums die Missbrauchsvorwürfe vor allem als Altlasten ihrer Vorgänger ansieht, und dafür nicht ewig den Kopf hinhalten will. Nikita Sergejewitsch ­Chruschtschow machte es auf dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 nicht anders. Und vielleicht geht es auch in der Lantergässel nicht zuletzt um die bevorstehende Nachfolge von Erzbischof Fer­nand Franck.

Beunruhigender könnte aber eine andere Überlegung sein. Denn wenn die Kirche aufruft, die bösen Priester in ihren eigenen Reihen zu denunzieren, stellt sie sich dadurch nicht nur auf die Seite der Opfer, sondern macht sich auch ein wenig selbst zum Opfer. Das heißt, sie stellt die Misshandlung von Kindern und Jugendlichen einseitig als persönliche Vergehen von praktisch als unkontrollierte Privatpersonen agierenden Priestern dar. Die Erziehungsberechtigten dieser Kinder und Jugendlichen hatten das aber sicher ganz anders verstanden. Und auch heute sind wohl die meisten Eltern, die ihre Kinder in den Religionsunterricht, eine konfessionelle Schule, in ein katholisches Internat, in den Kommunionsunterricht oder zu den Messdienern schicken, davon überzeugt, dass sie ihre Kinder nicht einzelnen Geistlichen, sondern kirchlichen Einrichtungen, der Kirche selbst anvertrauen.

Das sieht die ansonsten streng hierarchisierte Kirche aber offenbar ganz anders. Denn sie plant zwar, sich im Namen ihrer schwarzen Schafe einmal zu entschuldigen, erklärt sich aber erstaunlicherweise nicht für das leibliche und seelische Wohl der ihr anvertrauten Kinder verantwortlich. Obwohl sie für die meisten dieser erzieherischen Aktivitäten sogar staatliche Zuschüsse erhält und gesetzliche Sonderbestimmungen, wie Gewissensklauseln im Arbeitsrecht, genießt. Sich für die ihren Institutionen anvertrauten Kinder verantwortlich zu erklären, ist aber eine elementare moralische und wohl auch zivilrechtliche Pflicht. Auch wenn nachvollziehbar sein kann, dass sich das Erzbistum daran vorbeidrücken will. Denn im Fall von sexueller Gewalt und Misshandlungen könnte dies strafrechtliche Konsequenzen für Angehörige der Kirchenhierarchie haben, die ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkamen. Und Missbrauchs­opfer könnten gegen das Erzbistum kostspielige Entschädigungsansprüche geltend machen.

Romain Hilgert
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