Sportlich, jung und kreuzfidel – das sind die Heldinnen in Guy Rewenigs Witfraeclub sicher nicht. Kein Grund, sich in die Ecke stellen zu lassen oder sich dem Diktat einer bis ins hohe Rheuma- und Prothesenalter zu wahrenden Jugendlichkeit zu beugen. Die alten, teils kranken und meist grantigen Damen erzählen und kommentieren in Rewenigs Satiren die Widrigkeiten ihres Daseins mit einer unbändigen Redewut, die dem Leser auch aus dem geschriebenen Text entgegenschlägt: Ursprünglich waren die selten mehr als zwei Seiten langen Texte für den mündlichen Vortrag im Cabaret bestimmt. In drei kurzen Zyklen entwirft der selbst für eine gewisse Kratzbürstigkeit bekannte Schriftsteller Seniorinnen, die vom landläufigen Bild des gutmütigen Großmütterchens kaum weiter entfernt sein könnten.
Auch von einem emanzipierten, von der ehemaligen Vormachtstellung der Männer befreiten, „dritten Alter“ kann keine Rede sein. Der Dialog der beiden Witwen Elodie und Susanni aus dem mittleren Zyklus besteht zu großen Teilen in einer den verstorbenen Gatten nachgetragenen Verbitterung: Wenn Elodie die Geranien auf dem Grab ihres Max so großzügig düngt, dass sie bis nach Weihnachten blühen, geschieht das nicht vorrangig aus Liebe oder Sehnsucht. Max konnte, wie sie sagt, Geranien nicht ausstehen. Vielmehr handelt es sich um einen verspäteten Racheakt gegen den notorischen Trinker. Aus einer ähnlichen posthumen Auflehnung heraus beklebt Susanni die Urne ihres Mannes mit Nikotinpflastern und fährt sie im Auto spazieren, jetzt wo sie ihren Albert auf den Beifahrersitz verfrachten und sich selbst hinter das Lenkrad setzen darf. Das Aufbegehren der Witwen versandet schließlich in der Lächerlichkeit, als sich Elodie in einem Anflug von Rebellion einen Skorpion ins Dekolletee tätowieren lassen will und den Tätowierer mit einer Fleischfliege im Nacken verlässt.
Auch wenn Cabaret zur mehrdimensionalen Figurenzeichnung nicht verpflichtet, hält Rewenig seine Protagonistinnen auf einem schmalen Grat zwischen Charme und Garstigkeit, den sie mal in die eine, mal in die andere Richtung verlassen.
Die leicht in Rage zu bringende Geneviève beginnt ihre Eingaben stets mit dem empörten Satz: „Dat do geet awer elo e bësse wäit!“ Vielleicht hat Rewenig dieser Figur am meisten Raum zugestanden, weil der Leser ihr nicht mit uneingeschränkter Sympathie begegnen kann. Mit ihren platten Vorurteilen und ihrer so sturen wie wortreichen Widerborstigkeit erweist sich Geneviève in den meisten Situationen als wahre Schreckschraube. Die „Schnuddelesch“ beim Bäcker versteht nur Französisch: Was für eine Frechheit! Geneviève ist entsetzt, dass sie ihre „Boxemännercher“ und „Nonnefäscht“ nicht auf Luxemburgisch kaufen kann. Es geht schließlich um das Prinzip. Natürlich spricht sie die Sprache „aus dem Heckepays“ fließend, wie eine Kostprobe ihrer „polyvalenten“ Sprachkünste belegen soll: „Quatre petits bonhommes avec culotte et neuf trompettes cléricales.“ Trotz ihrer verbohrten Art wird Geneviève zur Sympathieträgerin, sobald sie als Babysitterin für ihren rettungslos verzogenen Enkel Kevin bemüht wird. Wo sie Kompromisse ansonsten kategorisch verweigert, gibt die Oma klein bei und lobt resigniert: „Déi domm Kanner späize laanscht.“
Die sympathischste Figur ist aber ohne Zweifel die von Herzen unangepasste Anita Müller-Zatz, die den Band eröffnet. Als bedingungslose Kettenraucherin hat sie es schwer, überhaupt zu ihrem neuen Liebhaber Emil, einem 86-jährigen Rentner, den sie im „Foyer“ kennengelernt hat, ins Bett zu finden. Da das Herz nicht mehr so recht mitmacht, kann sie die fünfzehn Treppenstufen nur noch mit Ach und Krach und etlichen Zigarettenpausen bewältigen. Abend für Abend liegt Emil bereits schnarchend in den Federn, wenn sie das Schlafzimmer erreicht.
Etwas aus der Mode gekommen wirken lediglich die gelegentlichen zeitkritischen Anmerkungen der Figuren. „[h]ei bass de jo schon händikapéiert, wann s de d’CSV net stëmms“, giftet beispielsweise Anita. Dass der CSV-Staat nicht in alle Ewigkeiten fortbestehen würde, war vor ein paar Jahren wohl nicht (oder jedenfalls nicht mit restloser Gewissheit) vorherzusehen. Erst in einem der letzten Texte des Bandes klingt das Ende der Ära Juncker an, wo Geneviève in einem Zustand semantischen Verwirrung („Ech si responsabel, awer net schëlleg“) den Briefkasten ihres verdutzten Nachbarn plattfährt. Indem die Cabaret-Texte mit dem Thema einer ehedem zementiert und zubetoniert wirkenden politischen Ordnung einen für das Bühnenpublikum aktuellen Bezug herstellen, verweisen sie auf ihr eigenes Alter und ihren Status als Dokumente einer – für den Leser freilich vergangenen – Zeit.