Als die Prinzen Charles, Andrew und Prinzessin Anne angekündigt hatten, sich von ihren Ehepartnern scheiden zu lassen, und ein Brand den Nordost-Flügel von Schloss Windsor verwüstete, meinte die britische Königin Elisabeth II. im November 1992 rückblickend, ein „Annus horribilis“ durchlebt zu haben. Das hätte im November 2009 auch der Chef der Luxemburger Außenpolitik mit Fug und Recht sagen können, und seine Vorgängerin, Lydie Polfer (DP), nannte es am Mittwoch ein „außergewöhnlich schwieriges Jahr“.
Aber Außenminister Jean Asselborn hatte sich in seiner anderthalbstündigen Erklärung zur Außenpolitik am Dienstag vor dem Parlament diplomatisch zurückgehalten, um nicht einzugestehen, dass sein und das außenpolitische Bemühen von Premier Jean-Claude Juncker eines der größten diplomatischen Desaster der letzten Jahrzehnte nicht verhindern konnten oder gar mitverschuldeten. Um sich an ein Debakel vergleichbarer Größenordnung erinnern zu können, muss man bis in die frühen Achtzigerjahre zurückgehen, als der nationale Aufstand gegen das französische Atomkraftwerk von Cattenom scheiterte, die französische und die deutsche Regierung gemeinsam gegen den amerikanisch-luxemburgischen Coronet-Satelliten kämpften und der belgische Premierminister Wilfried Martens seinen luxemburgischen Kollegen Pierre Werner bei der Abwertung der gemeinsamen Währung verriet.
Das hatte angefangen in der Finanz- und Wirtschaftskrise Ende letzten Jahres, als Jean-Claude Juncker zwischen den beiden großen Nachbarn aufgerieben wurde: Bundeskanzlerin Angela Merkel verlangte von Juncker als Sprecher der Euro-Gruppe, dass er sich aus der Krisenbekämpfung heraushalte, weil die deutsche Regierung eine europäische Krisenpolitik ablehnte, um nicht für ärmere EU-Staaten zahlen zu müssen. Gleichzeitig wollte Präsident Nicolas Sarkozy den französischen Ratsvorsitz nutzen, um sich als Retter der Welt aufzuspielen, drückte Juncker an die Wand und wirft ihm bis heute vor, auf dem Höhepunkt der Krise tatenlos gewesen zu sein.
Als sich dann im Februar die Finanzminister Frankreichs, Deutschlands, Großbritanniens und Italiens mit vier Kollegen aus Übersee zum G-8 trafen, um über die Krise zu beraten, spielte nicht nur Mister Euro, sondern auch die Europäische Union keine Rolle mehr. Und als die vier Regierungen im April an der Versammlung der G-20 teilnahmen, um den Steueroasen die Schuld an der Finanzkrise zu geben, hatte die Luxemburger Regierung an ein Gentlemen’s agreement geglaubt, laut dem alle EU-Staaten beim G-20 solidarisch verhindern würden, dass ein EU-Staat auf der von der OECD vorbereiteten grauen Liste der Steueroasen auftauchen würde. Doch die Regierung wurde von ihren Partnern im Regen stehen gelassen.
Deshalb hoffte Jean Asselborn am Dienstag: „Ich will bloß noch einmal unterstreichen, wie wichtig es ist, dass die Europäische Union geschlossen im G-20 auftritt mit einem klar definierten Mandat des Europäischen Rats für die Vertreter der Europäischen Union – auch wenn uns das nicht gewährleistet, dass nicht trotzdem Beschlüsse gefasst werden, die uns nicht gefallen werden. Wir haben diese Erfahrung ja im April gemacht.“ Lydie Polfer fragte sich aber, ob es nicht die Schuld der Regierung war, dass Luxemburg bei der Verteidigung seines Bankgeheimnisses „so isoliert wurde“, weil sie zu lange auf einer unhaltbaren Position abgewartet habe und die OECD-Konferenz über Steueroasen im Oktober letzten Jahres sogar boykottiert hatte. Fernand Karheiser (ADR) warf der Regierung sogar vor, „armselig schwach“ gewesen zu sein, statt nach dem Vorbild der Schweiz auf die Mittel des energischen diplomatischen Protestes zurückgegriffen zu haben.
Doch Asselborn hatte schon am Vortag kleinlaut geschätzt, die Vorschläge des Laroisière-Berichtes „werden auch hier in Luxemburg zu Umstellungen bei der Überwachung und der Kontrolle der Banken und Versicherungen führen“, und gewarnt: „Es wäre allerdings ein Illusion zu glauben, dass unser Land alleine in diesen schwierigen Diskussionen und den Steuerakten den anderen seinen Willen aufzwingen könnte.“
Als kurz vor der Veröffentlichung der ruchlosen grauen Liste auch noch der deutsche Finanzminister und der SPD-Vorsitzende Luxemburg im Februar mit der „Kavallerie“ und deutschen „Soldaten“ drohten, zeigte sich, dass die persönlichen Seilschaften gerissen waren, an denen die Luxemburger Minister mangels anderer Einflussmittel unentwegt und bis hin zu Preisverleihungen und Kochsendungen verzweifelt knüpfen.
Oberstes Ziel der Luxemburger Außenpolitik ist es wahrscheinlich, „unseren Einfluss in der Europäischen Union so groß wie möglich zu halten,“, wie Jean Asselborn sich ausdrückte. Um so größer war dieses Jahr der Rückschlag. Dass Luxemburg zudem ein Opfer von Kommissionspräsident José Manuel Barroso wurde, der die großen EU-Staaten bei ihren Alleingängen wider den Geist der EU nicht zur Ordnung rief, heißt, dass „die Kommission ihre Rolle nicht gespielt“ habe, so Lydie Polfer. Als amtierender Außenminister kritisierte Jean Asselborn den Vorgang diplomatischer: „Die Kommission, von der ich hoffe, dass sie im Januar oder Februar nächsten Jahres aufgestellt ist, muss weiterhin der Motor und das Zentralorgan des europäischen Integrationsprozesses bleiben. Nur eine dynamische und starke Kommission kann die Initiativen schaffen und durchsetzen, welche die Union weiterbringt, auch gegen egoistische Interessen.“
Zwar zeigten sich Regierung und Parlament diese Woche einmütig erleichtert darüber, dass der Vertrag von Lissabon nun ratifiziert ist. Aber Jean Asselborn hörte sich so an, also ob er sich am wenigsten Illusionen über das Abkommen mache. Denn er kommentierte die Ratifizierung mit der Bemerkung: „Erst danach wird sich herausstellen, ob der Vertrag von Lissabon der Union das bringt, was sie benötigt, heute mehr denn je, nämlich ein solidarisches Europa, in dem alle Länder, ob groß oder klein, ein Wort mitzureden haben, eine Europäische Union, in der strategische Entscheidungen nicht als Geisel des einen oder anderen so genannten großen Partners genommen werden, um nationale Interessen durchzusetzen.“
Denn „grundsätzlich liefert der Vertrag von Lissabon allein keine endgültige Antwort auf die Frage nach der Essenz der Union“, meinte Asselborn. Er habe nichts „an der Grundproblematik geändert, nämlich der Gegenüberstellung zwischen denen, die bei einem losen Staatenbund bleiben wollen, und jenen, die, im Gegenteil, bereit sind, einen größeren Anteil ihrer bislang nationalen Hoheitsrechte zusammenzulegen und gemeinsam zu verwalten. Das macht es so schwer, das starke Europa aufzubauen und weiterzuentwickeln, das wir als Luxemburger benötigen.“
Lydie Polfer, die als eine der wenigen Abgeordneten das außenpolitische Desaster des zurückliegenden Jahrs zu erwähnen sich traute, bedauerte, dass nicht zuletzt das internationale Ansehen des Landes „stark gelitten“ habe. Tatsächlich machte die Kampagne gegen die Steueroasen und Luxemburgs vorübergehende Platzierung auf der grauen Liste der OECD vielleicht binnen Wochen Millionen-Investitionen in die Entwicklungshilfe und die Armee zunichte, mit denen das Großherzogtum international beweisen will, dass es ein verantwortungsvoller und gleichberechtigter Partnerstaat ist.
Zum Trost erinnerte Asselbron deshalb daran, dass Luxemburg 2001 seine Kandidatur gestellt habe, „um Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in den Jahren 2013 und 2014 zu werden. Es wäre dann an uns zu beweisen, dass auch ein kleines Land auf dem höchsten Niveau der weltweiten Regierungsführung seinen Betrag leisten kann.“