Am Rande des Außenministertreffens auf dem Kirchberg warb derbritische Außenminister David Miliband am Montag für Tony Blair als ersten ständiger Vorsitzenden des Europäischen Rats. Am selben Tag besuchte der französische Staatssekretär für Europaangelegenheiten, Pierre Lelouche, Premierminister Jean-Claude Juncker. Drei Tage vor dem Europäischen Gipfel ging dabei wohl auch die Rede von dem künftigen „europäischen Präsidenten“.
Jedenfalls verkündete Juncker gleich anderntags in einem Interview mit Le Monde: „Si un appel m’était lancé, je n’aurais pas de raisonde refuser de l’entendre.“
Ob sich die französische Regierung nach einem neuen Kandidaten umsehen muss, seit sich eine breite Front von Kerneuropäern, Kleinstaaten, Pazifisten und Labour-Gegnern gegen Tony Blair zu bilden begann, entschied sich vielleicht am Mittwoch bei einem vertraulichen Gespräch zwischen Präsident Nicolas Sarkozy und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Blair war lange Sarkozys Favorit, und noch scheint die britische Regierung darauf zuvertrauen, dass sich Frankreichs und Deutschlands Zustimmung miteinigen anderen wichtigen europäischen Posten kaufen lässt.
Die Luxemburger Regierung trug jedenfalls seit Wochen wie kaum eine andere dazu bei, den Widerstand gegen Blair zu organisieren. Am Tag nach dem irischen Referendum veröffentlichte sie ein gemeinsam mit der belgischen und der niederländischen Regierung verfasstes Memorandum gegen den ehemaligen britischen Premier.Vor zwei Wochen hatte Juncker nach einer Kabinettsitzung öffentlich angedroht, alles in seiner Macht Stehende zu tun, damit „eine bestimmte Person es nicht wird“. Während AußenministerJean Asselborn in der Süddeutschen Zeitung urteilte: „Tony Blair hat weder in Fragen der Europäischen Union noch in den großen Fragender Weltpolitik das erforderliche Format. Er hat öfter gespalten als zusammengeführt.“ Und Junckers ehemaliger LSAP-Wirtschaftsminister Robert Goebbels sammelt unterdessen im Europaparlament zusammen mit deutschen Christdemokraten fleißig Unterschriften gegen den einst bewunderten New-Labour-Politiker – obwohl das Europaparlament nichts mit der Ernennungsprozedur zu tun hat.
Ist der manchen Staaten gefährliche Favorit Blair aber erst einmal verheizt, heißt es für die Staats- und Regierungschefserfahrungsgemäß, sich auf einen Ersatzkandidaten zu einigen. Unddann schlug in der Vergangenheit zur späten Stunde in stickigen Tagungssälen die Stunde der für alle Beteiligten ungefährlichen Luxemburger Kompromisskandidaten.
Umso mehr sorgte Junckers Vorstoß selbst bei Partei- und Regierungskollegen für Überraschung. Denn anders als seine Vorgänger, empfiehlt Juncker sich nicht mit seiner Unscheinbarkeitals Kompromisskandidat, sondern als Vollkandidat mit eigenen Werten und Vorstellungen.
Doch seit er sich nun offen zum Widersacher Blairs erklärte, dürfte die Rolle des Kompromisskandidaten einem anderen zufallen. Gar nicht zu reden davon, dass die luxemburgische Kampagne gegen Blair ein Veto der britischen Regierung gegen eine Kandidatur Junckers zu provozieren scheint.
In Erinnerung an die Entschuldigung von Vorgänger Jacques Santers, „Ech war net Kandidat“, hatte Juncker sich bisher immer an die eigene Maxime gehalten, dass man sich nicht vorlaut melden darf. Manche seiner Ministerkollegen, die seit Jahren aus unterschiedlichen Interessen seine Absetzbewegungen RichtungBrüssel verfolgen, fragten sich deshalb, was in den Premier gefahrenwar, sich derart weit vorzuwagen und so die letzten seiner innerhalb von zwei Jahren rapide gegen null gesunkenen Chancen zu verscherzen.
Die Meinungen gehen auseinander, ob die Absprachen zwischen den Staats- und Regierungschefs vielleicht weiter gediehen sind, als in der Öffentlichkeit bekannt ist. Oder ob die Interviews in Le Monde und danach in mehreren anderen Presseorganen die Verzweiflungstat eines so gut wie chancenlos gewordenen Kandidaten ist. Vielleicht machte Juncker auch nur seine Drohung wahr, und wollte sich mit seiner Kandidatur als Anti-Blair selbst in die Luft sprengen, um Blair zu verhindern – auf eigene Rechnung oder in fremdem Auftrag.
Ob Juncker mit solchen Manövern sein Amt als Regierungschef Luxemburgs beschädigen kann, ist eine andere Frage. Aber das wirre Rätselraten hat eine tiefere Ursache: In derVergangenheit beruhte Jean-Claude Junckers internationale Laufbahn immer darauf, dass er der Dauerkandidat der deutschen christdemokratischen Kanzler war. Als solcher konnte er es als Vermittler und Übersetzer zwischen Deutschland und Frankreich sogar bis zum Helden von Dublin bringen.
Doch die gemeinsame Offensive von Frankreich und Deutschland gegen die Steueroasen, durch die das von Mister Euro regierte Großherzogtum vorübergehend auf eine infame graue Liste der OECD kam, zeigt, dass diese Zeiten zu Ende gehen. Die neue Generation an der Spitze der Nachbarländer könnte auch ohne Helmut Kohls „Junior“ auskommen. Es war jedenfalls kein gutes Omen, dass die Ausgabe von Le Monde mit seinem Interviewauf der Titelseite wegen eines Streiks bei der Vertreibergesellschaftgar nicht mehr in den Handel kam.