„Heute ist ein schlechter Tag für viele Familien und ihre Kinder in diesem Land.“ Mit diesen drastischen Worten begann Laurent Mosar, Abgeordneter der CSV und Mitglied des parlamentarischen Justizausschusses, am vergangenen Donnerstag seine Rede im Parlament. Thema: das neue Scheidungsrecht, das die DP-LSAP-Grüne-Regierung an diesem Tag mit ihren und den Stimmen von déi Lénk verabschieden sollte.
Mosars Intervention vorausgegangen war ein Schlagabtausch zwischen CSV-Abgeordneten auf der einen und Mitgliedern der Koalition auf der anderen Seite, der sich schon länger abgezeichnet hatte: Monatelang war über die Scheidungsreform im zuständigen Ausschuss teils heftig gerungen worden. In den Spalten der meisten Zeitungen war über die Kontroverse nicht viel zu lesen gewesen, aber Anfang Juni hatten die Anwälte Mosar und Gilles Roth, beide von der CSV, im Luxemburger Wort gemeinsam unter dem Titel „Pragmatismus statt Ideologie“ die geplante Reform des Scheidungsrechts in einem ganzseitigen Artikel scharf kritisiert. Größter Stein des Anstoßes: die Abschaffung des geltenden Schuldprinzips und die antizipierten Folgen.
Jahrelanger Richtungsstreit
Insofern waren die mitunter hitzigen Wortwechsel zwischen Oppositions- und Regierungsbank sowie Mitgliedern der Mehrheitsparteien am Donnerstag nicht überraschend. Dabei war es ursprünglich ein CSV-Justizminister gewesen, der als erster einen Entwurf für die Abkehr vom Schuldprinzip hin zum Zerrüttungsprinzip formuliert und den Entwurf im Parlament hinterlegt hatte. Friedens Vorschlag verschwand jedoch rasch wieder in der Schublade, weil er zu viele Fragen aufwarf, aber auch weil sich die Konservativen innerhalb seiner Partei mit dem Paradigmenwechsel nicht anfreunden wollten. Der Richtungsstreit sollte sich weitere 15 Jahre hinziehen – und ist für die Christlich-Sozialen, das zeigte sich vergangene Woche, noch immer nicht vorbei.
Obwohl man prinzipiell für das Zerrüttungsprinzip sei, sei die „Gambia-Scheidung“ nichts anderes als „Zynismus pur“, schimpfte Gilles Roth in der Chamber. Künftig gibt es nur noch zwei Formen der Scheidung: die im Einvernehmen, wenn sich beide Ehepartner gütlich trennen – und die, wenn ein Zusammenleben nicht mehr möglich ist, weil das Verhältnis zwischen beiden Ehepartnern als zerrüttet gilt. Ob der Bruch entstanden ist, weil sich eine/r neu verliebt hat, oder aus welchen Gründen auch immer, ist unerheblich. Es genügt, dass ein Partner nicht mehr mit dem anderen zusammen sein will. Komplett verschwunden aus der Scheidungsprozedur ist die Figur des fehlerhaften Verhaltens gleichwohl nicht: Gewalt, Missbrauch und andere Straftaten gegen den Partner haben Auswirkungen auf das Verfahren: Ein Ehemann der Frau oder Kinder belästigt oder schlägt, verwirkt sein Anrecht auf Unterhalt und andere Versorgungsleistungen. Allerdings, und das ist ein Problem, auf das CSV-Mann Gilles Roth zu Recht hinwies: Die Tatbestände müssen in (langwierigen) Verfahren vom Strafgericht festgestellt sein. Bis dahin bleibt die Unterhaltsfrage ungeklärt, Pech für das Opfer.
Die CSV hatte sich für die Beibehaltung des Schuldprinzips bei schwerem Fehlverhalten eingesetzt: Insbesondere bei eigenem Vermögen und Schenkungen sei es nicht zumutbar, dass der Partner, der diese in die Ehe eingebracht habe, sie im Zuge einer Scheidung teilen müsse. Doch weil die CSV zugleich an der „Wahlmöglichkeit“ zwischen dann zwei Formen der nicht-einvernehmlichen Scheidung festhält, bedeutet das am Ende nichts anderes als den Erhalt des Schuldprinzips und dass das Ziel der Reform, das Scheidungsverfahren zu befrieden, konterkariert wird: Das Schuldprinzip hatte in der Vergangenheit oft dazu geführt, dass ein Partner dem anderen fehlerhaftes Tun nachweisen wollte und so die Trennung erst recht konfliktträchtig wurde. Ein Schuldspruch hatte tendenziell für Ehefrauen gravierendere Folgen als für den Mann, weil für sie damit oft der Entzug der finanziellen Lebensgrundlage verbunden war.
Geteiltes Sorgerecht wird zur Norm
Die CSV wetterte auch massiv gegen die Stärkung des Mitspracherechts sogenannter Scheidungskinder. Sie müssen bei Fragen, die das Sorge- oder das Aufenthaltsrecht betreffen, vom Gericht gehört werden. Das Sorgerecht regelt Rechte und Pflichten der Eltern, für ihr minderjähriges Kind zu sorgen. Das Aufenthaltsrecht kann davon unabhängig erteilt werden und regelt, wo das Kind nach der Scheidung lebt. Der neue Text sieht neben dem geteilten Sorgerecht für Eltern, egal ob verheiratet oder nicht, auch die Möglichkeit eines geteilten Aufenthaltsrechts vor: Demnach kann ein Kind sowohl bei dem einen als auch beim anderen Elternteil wohnen, etwa wenn es allwöchentlich zwischen den Wohnorten beider Eltern hin- und herwechselt. Solche Arrangements gibt es bereits, meistens wenn sich die Erwachsenen im Guten getrennt haben und ein guter Kontakt zwischen ihnen besteht: Der doppelte Wohnort, der Wechsel zwischen zwei Zuhause will organisiert sein und erfordert, dass beide Eltern sich das leisten können.
Es war Mosar, der mit seiner Initiative von 2006 Bewegung in die Sorgerechtsmisere bringen wollte: Obwohl das Verfassungsgericht bereits 1999 festgestellt hatte, die Praxis, das Sorgerecht bei unverheirateten Paaren allein der Mutter zuzusprechen, sei nicht mit dem Grundsatz des Schutzes der Familie vereinbar und daher verfassungswidrig, wurde die Ungerechtigkeit weder unter Schwarz-Blau noch unter Schwarz-Rot behoben.
Nun kommt das geteilte Sorgerecht für beide Eltern, das nicht absolut ist: Ist es für das Kindeswohl geboten, dass ein Elternteil des alleinige Sorgerecht hat, kann ein Gericht das Recht in Ausnahmefällen einer Seite zusprechen. Das ist vor allem bei konfliktträchtigen Trennungen der Fall, bei einem gewalttätigen Partner oder wenn das Kind aus anderen Gründen besser bei einem Elternteil aufgehoben ist. Mit der Reform stärkt der Gesetzgeber das übergeordnete Kindeswohl als Leitmotiv im Verfahren: Das Leben des Kindes soll trotz Scheidung so sicher wie möglich gestaltet werden, bei Divergenzen soll es das mit der Reform ebenfalls neu geschaffene Familiengericht direkt anrufen können; die Eltern werden darüber informiert, können es aber nicht verhindern.
Wenn Kinder klagen
Dass Kinder im Rahmen von Scheidungsverfahren Stellung nehmen, ist nicht neu: Das geht auch nach geltendem Recht, wo es im Ermessen des Richters liegt, ob ein Kinderanwalt hinzugezogen wird oder nicht. „Wir werden dann gerufen, wenn die Situation zwischen den Erwachsenen sehr verfahren ist und wenn sich der Richter ein Bild über die Lage des Kindes bilden will“, beschreibt Deidre Du Bois, Spezialistin im Familienrecht und Kinderanwältin, ihre Rolle. „Der Kinderanwalt soll die Interessen des Kindes herausfinden und vertreten, und dem Gericht helfen, im Sinne des Kindeswohls zu urteilen.“ In der Praxis scheint sich der gesetzliche Vertreter für Kinder bewährt zu haben; eine unabhängige Auswertung fehlt jedoch und das Ombudskomitee fir d’Rechter vum Kand (ORK) weiß auch von Beschwerden über Kinderanwälte: „Mal wird dem Wort des Kindes trotzdem wenig Gewicht beigemessen. Auch kommt es vor, dass Kinder sich beschweren, ihr Anwalt tausche sich zu viel mit einem Elternteil aus“, erzählt ORK-Leiter René Schlechter. Die Mission des Kindesanwalts ist nicht immer eindeutig: Einerseits soll er oder sie die Interessen des Kindes vertreten, andererseits dem Gericht helfen, das übergeordnete Kindeswohl zu erkennen.
„Ich erkläre Kindern den Unterschied so: Sie können mir sagen, dass sie nicht mehr zur Schule gehen wollen. Das werde ich dem Gericht eins zu eins mitteilen. Gleichzeitig werde ich selbstverständlich nicht empfehlen, dass sie nicht mehr in die Schule gehen, schließlich ist Bildung wichtig für ihr weiteres Leben“, sagt Deidre Du Bois. Die Balance zu halten, Sprachrohr für die Bedürfnisse, Interessen und Wünsche des Kindes zu sein einerseits und das übergeordnete Wohl des Kindes im Blick zu haben andererseits, sei nicht einfach, verlange „Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl“ – und ist unter Juristen zudem umstritten. Klassisch vertritt der Rechtsanwalt die Interessen seines Mandaten und hat darüberhinaus kein übergeordnetes Ziel. Auch hinsichtlich des Berufsgeheimnisses stellt das Kindeswohl eine Gratwanderung dar: Um es zu ermitteln, sind nicht selten Gespräche mit Protagonisten aus dem Lebensumfeld des Kindes notwendig, etwa der Klassenlehrerin oder der Psychologin.
Kindeswillen ungleich Kindeswohl
„Es wäre gut, wenn der Richter vorab klären würde, ob der Kinderanwalt in erster Linie die Interessen des Kindes verteidigen oder das Wohl ermitteln helfen soll“, findet René Schlechter. Das ORK fordert einen Berufskodex, der Leitprinzipien festhält, wie das Gespräch auf Augenhöhe. Immerhin hat die Rechtsanwaltskammer die Weiterbildungen für Kinderanwälte nicht nur professionalisiert, sondern zu einem regelmäßigen Angebot in ihrem Weiterbildungsprogramm aufgebaut.
Das Ministerkomitee des Europarats hatte auf seiner Sitzung am 17. November 2010 Leitlinien für eine kindgerechte Justiz beschlossen. In Anlehnung an die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, wonach Kinder das Recht haben, in Angelegenheiten, die sie betreffen, ihre Meinung zu äußern und gehört zu werden, heißt es dort: „Kinder sollten als vollwertige Rechtsträger angesehen werden und wie solche behandelt werden. Sie sollten befugt sein, alle ihre Rechte auf eine Weise auszuüben, die ihre Fähigkeit berücksichtigt, sich eine eigene Meinung zu bilden.“ Und weiter: „Als Rechtsträger sollten Kinder Rechtsmittel einlegen können, um ihre Rechte wirksam ausüben oder auf eine Verletzung ihrer Rechte reagieren zu können.“
Für die CSV ist diese Aufwertung der Kinder im Scheidungsrecht gleichwohl ein absolutes No-Go und ein Garant dafür, dass Konflikte innerhalb vonFamilien und zwischen Ehepartnern nicht abnehmen, sondern sich noch zuspitzen. So würden Kinder mehr als bisher der „Gefahr der Manipulation“ ausgesetzt, warnte Mosar eindringlich, der sich auf ein Gutachten des Conseil de l’ordre des avocats du barreu du Luxembourg berief. Die Anwälte hatten davor gewarnt, so würden Kinder Partei im Scheidungsverfahren ergreifen. Auch mancher Kinderanwalt macht sich Sorgen, Eltern könnten versuchen, Kinder zu beeinflussen. „Bisher habe ich den Kindern immer gesagt: Es ist nicht Deine Verantwortung, es ist ein Streit zwischen den Erwachsenen.“ Mit der Möglichkeit, selbst klagen zu können, würden die Minderjährigen „zum Akteur“, so Du Bois, die auf die Schwierigkeit hinweist, zu bestimmen, wann Kinder urteilsfähig sind. „Ich hatte Kinder, die hatten mit acht eine erstaunliche Reife und Einsicht in das Geschehen um sie herum. Andere sind auch im Teenageralter komplett überfordert.“ Das neue Scheidungsrecht sieht keine Altersangabe vor, im Zweifelsfall entscheidet das Gericht.
Es sei wichtig, „que l’avis du mineur compte et que ses doléances sont prises au serieux“, hatte das ORK in seinem Gutachten zur Reform geschrieben. Aber zugleich gewarnt: „Mais il faut aussi éviter le risque de pression ou manipulation exercées sur l’enfant pour qu’il aborde dans le sens de l’un ou de l’autre de ses parents. L’enfant en ayant la posibilité de saisir un juge, n’est pas à l’abri du risque de devenir une partie et d’être exposé a plus de pression encore“. Fabienne Gillen, Rechtsberaterin des ORK, sieht die neue Regelung positiv: „Das ist eine neue Qualität der Partizipation, die es bisher so nicht gab“, so die Juristin, für die die Möglichkeit für Kinder, das Gericht direkt anzurufen, „logische Konsequenz“ der UN-Kinderrechtskonvention sei, das Mitspracherecht von Kindern zu fördern.
Gefordert hatten das Recht, das Gericht direkt anzurufen, aber weder der ORK noch die Kinderanwälte: Die Initiative ging offenbar von der Arbeitsgruppe „Séparation et divorce au Luxembourg“ aus, ein Zusammenschluss von Professionellen, die Familien bei Scheidungen beraten, darunter Richter, Anwälte, Sozialpädagogen, Vertreter der Gerichtshilfe sowie Mediatoren, der ein eigenes Gutachten zur Reform vorgelegt hatte. Das ORK war eigenen Aussagen zufolge nur zu Beginn in der Arbeitsgruppe dabei, führende Kinderanwälte fehlten. Böse Zungen behaupten, die Gruppe sei im Wesentlichen vom Justizministerium gesteuert gewesen.
Im Widerspruch
Dass der Gesetzgeber die Position des Kindes im Scheidungsverfahren stärken will, bestätigte Justizminister Félix Braz bei seiner Rede – jedoch ausdrücklich nicht gegen die Eltern, sondern „für ihre Rechte“: Es gehe darum, dass Kinder „aus der Passivität herauskommen und Akteure werden“ in Sachen, die sie persönlich betreffen, so Braz. Das sei „definitiv“ bei Scheidungsverfahren gegeben. Kinder bekämen die „Möglichkeit für ihre Rechte vorzugehen“. Im Mittelpunkt stehe stets das übergeordnete Interesse des Kindes.
Auch Mosar hatte behauptet, so stand es im Wort-Artikel, „das Kind muss immer an erster Stelle stehen.“ Es war eine CSV-LSAP-Regierung und eine christlich-soziale Familienministerin, unter deren Führung das ORK ins Leben gerufen wurde. Es sind langjährige CSV-Mitglieder, die sich seit Jahren dafür einsetzen, die Rechte von Eltern und Familien zu stärken. So wie es mit der Verfassungsrevision geschehen soll, die in Artikel 38 die Stärkung des Kindesinteresses ausdrücklich vorsieht und den Staat als Wächter darüber einsetzt, dass Kinder ihre Meinung gemäß ihres Alters und Urteilsvermögens äußern können. Die Vorarbeiten und den entsprechenden Abschlussbericht hatte die CSV unterstützt. Er gebe ihnen jetzt die Gelegenheit, den Grundsatz konkret in einem Gesetz umzusetzen, sagte Braz dem Parlament.
Davon will die CSV indes nichts mehr wissen. Das Scheidungsgesetz werde eines des ersten sein, das eine neue Regierung abändern werde, drohte Laurent Mosar am Donnerstag empört. Seine Partei werde dem nie und nimmer zustimmen. Womöglich geht es dem No-Go wie anderen roten Linien: Wenn es dienlich ist, werden sie irgendwann doch der Parteiräson geopfert. Schon am Mittwoch sagte Spitzenkandidat Claude Wiseler in einem Interview mit Radio 100,7 über politische Erbschaften, die Regierung reiche „heiße Kartoffeln weiter“. Gemeint war das Abkommen mit der Staatsbeamtengewerkschaft CGFP, das Innenminister Dan Kersch (LSAP) am Vortag überraschend unterzeichnet hatte und das vorsieht, die Anfangsgehälter im Staatsdienst anzuheben und den Stage von drei auf zwei Jahre zu verkürzen. Obwohl sie es war, die die Sparmaßnahmen durchgesetzt hatte, ist die CSV bereit, den Salto rückwärts mitzutragen: Eine Regierung werde „diese Vereinbarung von der heutigen erben und wird diese Erbe respektieren“, versprach Wiseler. Aber da geht es auch um wichtige Wählerstimmen. Und nicht um die Stimmen von Kindern und Jugendlichen, die eh nicht wählen.
Kommentar: Paternalistische Logik
Die CSV kann nicht raus aus ihrer Haut. Dass sie keine komplette Abkehr vom Schuldprinzip will, ist insofern konsequent, als die Christlich-Sozialen die Ehe immer schon als eine mehr oder weniger heilige Gemeinschaft gesehen haben, die auf christlich-katholischen Werte wie der Treue und der Familie beruhe. Wer verheiratet ist, aber nicht gemäß den moralischen Vorstellungen lebt, ist im Fehler. Entsprechend verwirkt er oder sie Rechte, die mit der Ehe verbunden sind. Im Meinungsbeitrag im Wort gaben die CSV-Abgeordneten Laurent Mosar und Gilles Roth ehrlich zu: Die Ehe dürfe nicht „zur leeren Hülse degradiert werden“. Dass das Schuldprinzip zu schweren, oft traumatischen Zerwürfnissen zwischen ehemaligen Lebenspartnern führt, dass es Frauen, die nicht oder nur Teilzeit erwerbstätig sind, finanziell benachteiligt und dass Kinder unter dem Gezänk der Erwachsenen besonders leiden, die statt Anstand und Respekt zu zeigen plötzlich alles daran legen, dem Partner einen Fehler nachzuweisen und dabei schon mal das gemeinsame Kind als Geisel nehmen, ist zweitrangig. Erwachsene sollen laut CSV weiterhin die Wahl haben, dem Ex-Partner öffentlich vor Gericht die Trennung zur Hölle zu machen.
In derselben paternalistischen Logik steht die Ablehnung der CSV, Kinderrechte im Scheidungsverfahren zu stärken. Dass ein Kind gegen seine eigenen Eltern gerichtlich vorgehen kann, wenn eine Regelung nicht in seinem Interesse ist, lehnen die Christlich-Sozialen kategorisch ab und malen Horrorszenarien an die Wand: Kinder von acht oder zehn Jahren könnten Vater oder Mutter verklagen, weil sie quasi aus einer Nörgellaune heraus beim anderen Elternteil wohnen oder lieber Urlaub in Disney-Land machen wollen, statt im Ösling, polemisierte Laurent Mosar in seiner Rede. Und vergaß zu erwähnen, dass nur urteilsfähige Kinder klagen dürfen und dass es immer noch das Gericht ist, das am Ende eines Verfahrens darüber entscheidet, was wirklich im Interesse des Kindes ist. Entscheidend ist eben nicht der geäußerte Wille, sondern das kindliche Wohlergehen.
Dass Kinder von ihren Eltern manipuliert werden, ist heute schon der Fall, wie das ORK alljährlich zu berichten weiß. Leider sind Traumata bei Kindern als Kollateralschäden on Scheidungen auch in Zukunft nicht ausgeschlossen. Die Stärkung des Grundsatzes des Kindeswohls, dass Kinder unter einer Trennung so wenig wie möglich leiden und ihr bisheriges Leben weitgehend gesichert weiterführen können, wird nicht verhindern, dass streitsüchtige Erwachsene den Kampf um Aufenthalts- und Sorgerechtsrecht rücksichtslos versuchen auszutragen. Das Gericht kann diese egoistischen Rosenkriege künftig aber deutlich abkürzen.
Verständlich sind manche Sorgen schon: Bei der Wohnungsnot ist der Ausblick, mit der Trennung das Dach überm Kopf zu verlieren, wahrlich angsteinflößend. So gesehen, ist eine wirksame Wohnungspolitik ein wichtiges Mittel, um Familien, wo die Eltern auseinandergehen, zu unterstützen. Das würde vielleicht auch den Druck nehmen aus vielen heftigen Streits um Unterhaltszahlungen: Bisher bewegten sich diese Leistungen oft zwischen 300 und 500 Euro monatlich pro Kind. Dabei wird von durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für ein minderjähriges Kind von um die 800 Euro ausgegangen, abzüglich der Familienzulagen. Dass das hinten und vorne nicht reicht, um die Ausgaben für die Tochter oder den Sohn zu decken, beweist das hohe Armutsrisiko, das insbesondere Kinder von Müttern tragen, die nach Scheidung oder Trennung allein mit dem Nachwuchs leben und sich maßgeblich um deren Erziehung kümmern.
Eine Leitlinie mit regelmäßig aktualisierten Richtwerten zur Berechnung von Unterhaltszahlungen an minder- und volljährige Kinder, wie sie das ORK gefordert hatte, sieht das neue Gesetz zwar nicht vor. Aber neben Ehedauer fließen Beschäftigung, Gehalt, Vermögen, Alter des Kindes, Kredite und anderes künftig in die Berechnung ein. Das Gericht erhält also mehr Spielraum, um finanzielle Werte einer Gütergemeinschaft gerecht aufzuteilen und ökonomische Härten für beide Seiten, vor allem aber für das schutzbedürftige Kind, abzufedern. ik