Wie soll die Krankenhauslandschaft in den nächsten Jahren beschaffen sein? Vor allem um diese Frage hatte sich vergangene Woche das Frühjahrstreffen der Krankenkassen-Quadripartite gedreht. Bis zum Jahresende will Gesundheits- und Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) einen neuen Plan hospitalier verabschieden lassen. So ein Spitalplan legt fest, welche Krankenhäuser es gibt und wie viele Betten. Er schreibt vor, welche medizinischen Klinikdienste angeboten werden dürfen und wie viele davon, und er weist jedem dieser Dienste eine maximale Zahl von Ärzten zu. Doch nach der Quadripartite verließ so mancher Teilnehmer unzufrieden den Tagungssaal im Thermalbad Mondorf. Gewerkschaftsvertreter zum Beispiel monierten, „nur ein Rohbau“ des neuen Plans sei präsentiert worden, nicht aber schon ein Vorentwurf. Dem Minister drohe die Zeit davonzulaufen, denn der aktuelle Spitalplan tritt zum Jahresende außer Kraft.
Aber Spitalpläne auszuarbeiten ist, obwohl das technisch klingt, oft eine heikle Übung. Manchmal wird sie sogar zum Politikum. Wie nach den Wahlen von 1999, als eine Koalition aus CSV und DP eine CSV-LSAP-Regierung ablöste und die DP bei den Koalitionsgesprächen ein „Moratorium“ des noch von der alten Regierung abgeschlossenen Spitalplans aushandelte. Der hatte nicht nur eine landesweite Bettenreduzierung verfügt, sondern auch den Neubau des nationalen Rehazenter in der LSAP-Hochburg Düdelingen. Das sollte die LSAP dafür entschädigen, dass sie Ja gesagt hatte zum Bau eines großen Kongregationsspitals auf dem Kirchberg, das eine „private“ Konkurrenz zu dem unter der sozialliberalen Koalition der Siebzigerjahre entstandenen öffentlichen CHL bilden sollte. Die schwarz-blaue Regierung entschied schließlich, das Rehazenter auf dem Kirchberg zu errichten und in Düdelingen stattdessen den Neubau des Staatslabo. Was unter anderem dazu führte, dass das neue Laboratoire national de Santé noch immer nicht ganz fertig ist und der Bau des Rehazenter auf dem Kirchberg wesentlich teurer zu stehen kam, als es für Düdelingen geplant war.
Um Infrastruktur-Deals geht es heute nicht, sondern um etwas Grundsätzlicheres. Dass es an Krankenhäusern nur geben kann, was staatlich geplant wurde, ist einerseits der wichtigste Grund, weshalb im Großherzogtum noch kein Klinikanbieter aus dem Ausland Fuß gefasst hat. Andererseits aber leistet Luxemburg sich innerhalb der staatlich geplanten Landschaft eine weitgehend schrankenlose Konkurrenz unter den Spitälern. Das soll aufhören – wenigstens zum Teil. „Nicht alles überall“ hieß die Losung, die Di Bartolomeo im vergangenen Dezember ausgab. In Zukunft würden „medizinische Leistungen in Konzentra-tionsfeldern gebündelt“.
Grund dafür sind einerseits die Kosten. Pro Kopf der Sozialversicherten – dabei sind Grenzpendler, die die Leistungen hierzulande nutzen können, inklusive – wies Luxemburg 2010 mit 3 607 Euro nach den Niederlanden (3 890 Euro) die zweithöchsten Gesundheitsausgaben der EU-27 auf. Gut die Hälfte davon waren Krankenhausausgaben. Ein anderer Grund besteht darin, dass am 25. Oktober die EU-Richtlinie zur „grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung“ wirksam wird. Durch sie erfahren die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten einen Liberalisierungsschub. Zwar können öffentliche Krankenkassen es auch weiterhin ablehnen, eine Krankenhausbehandlung im Ausland zu bezahlen, falls sie in „vergleichbarer Qualität“ und in einem „vertretbaren Zeitraum“ auch im Inland möglich wäre. Aber was vergleichbare Qualität sein soll, ist eine der spannenden Fragen, die die Richtlinie aufwirft. Ab Oktober müssen in sämtlichen EU-Staaten an so genannten „Kontaktpunkten“ Informationen darüber öffentlich verfügbar sein, welche Behandlungen im Gesundheitswesen daheim, aber auch in allen anderen Staaten in welcher Qualität und zu welchem Preis angeboten werden.
Luxemburg aber ist nicht nur weit davon entfernt, über seine Spitäler Qualitätsinformationen im selben Umfang liefern zu können, wie das in den Nachbarländern längst möglich ist. Die Datenlage hierzulande sei ungefähr auf dem Stand, wie er in Frankreich und Deutschland vor 20 Jahren herrschte, lautete einer der Befunde des Zürcher Beratungsunternehmens Lenz, das vom Gesundheitsministerium mit einem Bericht zum Spitalplan beauftragt worden war. Hinzu kommt: Wenn jeder „alles macht“, dann macht bei nur einer halben Million potenzieller Patienten, plus ein paar Grenzgängern, sicher nicht jeder alles gut. Klarheit aber gibt es darüber nicht. Eine der wenigen Einrichtungen, die einem ständigen internationalen Qualitätsvergleich nach anerkannten Standards unterliegt und ihre Resultate auch veröffentlicht, ist das Herzchirurgiezentrum INCCI in Luxemburg-Stadt. Auch das Escher Strahlentherapiezentrum François Baclesse hat sich schon an internationalen Benchmarks gemessen. Mit ihrer Konzentra-tion auf spezielle Aufgabenfelder und ihrer Qualitätsberichterstattung gelten INCCI und Centre Baclesse als „Kompetenzzentren“. Nun sollen auch andere Kompetenzen „gebündelt“ und Leistungen nach außen „sichtbar“ gemacht werden. Zumindest für Krebschirurgie, Neurochirurgie und die Schlaganfallbehandlung, lautet Di Bartolomeos Plan. Die Rede davon war schon vor drei Jahren während der Gesundheitsreformdebatten. Am Rande der Quadripartite bekräftigte der Minister ihn letzte Woche erneut.
Ob der Plan aufgeht? Dem Vernehmen nach könnte es vielleicht klappen, für Schlaganfallbehandlungen drei Stroke Units einzurichten. Eine zentrale in der Hauptstadt, am CHL, und je eine Antenne am Centre hospitalier du Nord im Norden und am Centre hospitalier Emile Mayrisch (CHEM) für den Süden hatte der Lenz-Bericht vorgeschlagen. Dieser Ansatz scheint derzeit nicht allzu umstritten. Von vornherein unumstritten war, die bestehenden Services nationaux für Fachrichtungen wie Infektionskrankheiten und Tropenmedizin oder für Allergische Erkrankungen am CHL zu belassen.
Für Neurochirurgie und Tumoroperationen könnte das schwieriger sein. Denn: Kompetenzzentren bilden zu wollen, ist auch hierzulande keine neue Idee. Sie trieb schon LSAP-Gesundheitsminister Johny Lahure in den Neunzigerjahren um. Auch der liberale Minister Carlo Wagner ließ sie weiterspinnen und Berichte über „Behandlungsketten“ schreiben, in denen Spitäler ihre besonders komplizierten Fälle an Kompetenzzentren weiterreichen würden. Die Behandlungsqualität sollte dabei natürlich steigen, die Kosten im Klinikwesen sollten sinken.
Eine große Frage aber war stets, wie man zu den Kompetenzzentren gelangen sollte: durch Erlass von oben oder im Wettbewerb, bei dem das jeweils beste Spital sich herausgestellt hätte. Zum freien Wettbewerb offiziell Ja zu sagen, hätte bedeutet, irgendwann die Krankenkassen zu überfordern und Zusatzversicherer nicht nur für Ein-Bett-Zimmer, sondern auch für medizinische Klinikleistungen ins System zu nehmen. Erlasse von oben her fielen jedoch ebenfalls schwer: Wie würde die Politik einer Klinik vorschreiben, etwas aufzugeben, wenn doch die beiden größten Parteien sich in den Neunzigerjahren in der Regierung darauf geeinigt hatten, dass ein „privater“ Sektor, den vor allem das neue Kirchberg-Klinikum verkörpern sollte, dem „öffentlichen“, also in erster Linie dem CHL, Konkurrenz machen dürfe?
Akut wurde diese Frage vor sechs Jahren, als die Neurochirurgie am CHL in eine Krise und ihre Behandlungsqualität in Verruf geriet. Obwohl das CHL in dieser Fachrichtung sogar den Service national inne hat, kam Di Bartolomeo nicht umhin, auch der Zithaklinik und dem Hôpital de Kirchberg Operationen am Schädel zu erlauben. Das Tun und Lassen der drei Spitäler sollte jedoch von einem „Wissenschaftsrat“ begleitet werden, versprach Di Bartolomeo damals, und ein Audit der Neurochirurgie werde folgen. Das suggerierte, es käme später vielleicht zu einer Reorganisation. Drei Jahre danach aber gab es den Wissenschaftsrat noch immer nicht, das Audit wurde bis heute nicht veröffentlicht, und wer genau was operiert, ist unklar: Am CHL geht man lediglich davon aus, rund 80 Prozent der Schädel-OPs vorzunehmen.
Auch die Gesundheitsreform von 2010 brach mit der Duldung von Konkurrenz, ohne gleichzeitig den freien Markt auszurufen, nicht wirklich. Deshalb sollen Kompetenzzentren nicht vom Minister verordnet werden, sondern nach dem Bottom-up-Prinzip „auf Vorschlag“ des Krankenhaus-Dachverbands Fédération des hôpitaux luxembourgeois (FHL) entstehen. Dass für die Spitäler nach der Reform ein gemeinsames gedeckeltes „Globalbudget“ der CNS gelten sollte, dessen Zuwachsrate alle zwei Jahre der Regierungsrat festlegt, sollte den Spitälern die Kooperation erleichtern. Die FHL aber hat sich bis heute auf keinen Vorschlag einigen können, wer sich künftig auf welche besonderen Kompetenzen festlegen und vor allem, wer was abgeben soll. Um so mehr, nachdem im Dezember das Kirchberg-Klinikum und die Zithaklinik bekanntgaben, bis Herbst dieses Jahres zu einem großen Kongregationskrankenhaus fusionieren zu wollen, und ganz offen erklärten, die Spezialisierung im Sektor sollte sich durch Konkurrenz ergeben. Da war für den Minister auch der Moment gekommen zu erklären, der Bericht der Berater von Lenz sei „nur ein technischer Bericht“ und nehme nicht etwa den Spitalplan vorweg. Der Lenz-Bericht hatte bei der komplexen Krebschirurgie die meisten Zuständigkeiten an CHL und CHEM zu übertragen geraten, weil dort die meisten Fälle operiert werden, und wollten nur einige Kompetenzen an Zithaklinik und CHK vergeben.
Weil die Lage zwischen den Spitälern so verzwickt ist, verstanden manche Teilnehmer der Quadripartite vergangene Woche es als eine Art Ablenkungsmanöver des Krankenhausverbands, als der auf der Versammlung eine lange Powerpoint-Diashow vorführte und dafür eintrat, das Krankenhauswesen müsse „ganzheitlich“ verstanden und „in der Tiefe“ studiert werden. Letzten Endes aber wies die FHL damit darauf hin, dass der Gang in eine neue Krankenhauswelt auch daran scheitern kann, dass in Luxemburg der Patient volle Wahlfreiheit seines Dienstleisters genießt und die Ärzteschaft Verschreibungs- und Therapiefreiheit besitzt. Kompetenzen zu bündeln, müsste auch darauf hinauslaufen, dem einen oder anderen Arzt sagen zu müssen, dass er an „seinem“ Spital nicht mehr operieren darf, was er bislang operiert hat, wozu er eigentlich qualifiziert ist und am Spital unter Vertrag steht. Dass die meisten Klinikärzte freiberufliche Belegärzte sind, macht das noch schwieriger: Dass sie auf medizinischer Ebene der Spitaldirektion nicht unterstellt sind, steht sogar im Krankenhausgesetz.
Wie zutreffend der Einwand der FHL ist, zeigt sich am noch nicht beendeten Konflikt um die „Roadmap“ zur Brustkrebsbehandlung, die der Gesundheitsminister eigentlich schon im vergangenen Jahr in Kraft setzen wollte, damit Luxemburg sich bis 2015 den Ruf erarbeite, bei Brustkrebsbehandlungen internationalen Standards zu genügen. Dass das Mitwirken an einem „Brustzentrum“ nur Gynäkologen und Radiologen möglich sein sollte, die eine jährliche Mindestfallzahl nachweisen können, machte der Ärzteverband AMMD vor einem Jahr auch zur juristisch prinzipiellen Auseinandersetzung um Statut und Vertragsverhältnis des „liberalen Mediziners“. Gelöst ist sie noch nicht, wenngleich manche Krankenhäuser dabei sind, sich intern mit ihren Ärzten auf die Anwendung internationaler Brust-Leitlinien zu verständigen. Man will ja nicht dumm dastehen, wenn in sechs Monaten der EU-Gesundheitsmarkt geöffnet wird.
Richtlinien, wie es weitergehen soll mit der Roadmap, gab es vom Ministerium allerdings keine mehr. Wie tragfähig die „kleinen Lösungen“ sein können, scheint da nicht so sicher. Und letzten Endes stellt sich die Frage, wie ein freier Klinikarzt, der laut Gesetz dem Spital medizinisch nicht untersteht, auf Ziele verpflichtet werden soll, die sich das Haus als Kompetenzzentrum gegeben hat.
So dass Di Bartolomeo, wenn er seinem Ziel näher kommen will, doch nicht umhin käme, von oben her vorzugehen. Der Ärzteverband AMMD meint, die Krankenhäuser und ihre Träger sollten veranlasst werden, für jedes gewünschte Kompetenzzentrum einen eigenen Träger mit gemischtem Verwaltungsrat zu bilden, wie das für INCCI und Centre Baclesse einst geschah. Der Verwaltungsrat könnte dann auch entscheiden, welcher Arzt am Kompetenzzentrum akkreditiert wird.
Doch ob die Krankenhäuser sich darauf einlassen – auch in der Kürze der noch verbleibenden Zeit –, bleibt im wahrsten Sinne des Wortes abzuwarten. Und: Daraus könnte eine neue, sehr politische Diskussion folgen. Denn bei Baclesse sind alle Ärzte fest angestellt, am INCCI sind sie Belegärzte. Sollte gefragt werden, welcher Ansatz der bessere sei, könnte daraus eine Grundsatzdebatte über die Klinikmedizin werden. Absolut nötig wäre sie – aber schon während der Gesundheitsreform vor drei Jahren war sie lieber vermieden worden.