In einem dunklen Kinosaal in Esch hatte die Privatinitiative 5vir12 am Dienstag zu ihrem großen Zukunftstisch geladen. Mit 120 Schülern aus dem Athenäum, dem Lycée Aline Mayrisch, dem Lycée de garçons de Luxembourg, dem Lycée du Nord, dem Lycée des Arts et Métiers und der École privée St. Anne hatten die Mitglieder von 5vir12 schon im Mai vergangenen Jahres Kontakt aufgenommen. Sie hatten von der Initiative Fragebögen erhalten und in Workshops unter der Leitung der 5vir12-Mitwirkenden die Themenbereiche Arbeitsmarkt, generationenübergreifende Solidarität und Ausländer vorbereitet. Diese Woche wurde im Plenum Bilanz gezogen. Die anwesenden jungen Leute, so Françoise Folmer einleitend, seien alle Wähler. Was sie denken, sei wichtig. 5vir12 habe ihnen eine Plattform geben wollen, um sich auszudrücken. Und: Natürlich sei es wichtig gewesen, sie nicht zu beeinflussen.
Keine unwichtigen Worte, denn ein bisschen mutete das Ganze durchaus wie eine blau-grüne Wahlveranstaltung an. Nicht nur wegen Françoise Folmer, die als Kandidatin von Dei Gréng bei den Gemeindewahlen in der Hauptstadt antrat. Nicht nur, weil sich eine ganze Reihe von Parteifreunden unters Publikum gemischt hatten. Sondern auch, weil für Demokraten und Grüne mit Xavier Bettel und François Bausch Spitzenleute für die eine oder andere Diskussionsrunde aufs Podium stiegen, während LSAP und CSV, mit Franz Fayot, Georges Engel und Serge Wilmes, eher die zweite Garde ins Rennen schickten. Das, so die Mitglieder von 5vir12, war keine Absicht und lag nicht etwa daran, dass man sich bei der Koalition nicht um hochkarätiges Podiumspersonal bemüht hatte – sogar OGBL-Präsident Jean-Claude Reding war angekündigt, sagte aber kurzfristig ab. Woraus man schlussfolgern kann, dass die Regierungsparteien es vorziehen, ihre Politik auf anderen Bühnen als der einer Privatinitiative mit wirtschaftlich liberalem Einschlag wie 5vir12 zu verteidigen.
Arbeitsmarkt Zu verteidigen gab es viel. Denn die Schüler sparten beispielsweise nicht mit Kritik am Schulsystem. Ein System, in dem sie über Fachrichtungen entscheiden müssten, noch bevor sie überhaupt eine Idee davon hätten, welche Berufsmöglichkeiten es gibt. Davon, in welchen Bereichen es künftig Jobs geben wird, ganz zu schweigen. Die Orientierung würde nicht funktionieren. Was für einen Sinn habe es, ein Fach zu studieren oder eine Ausbildung zu absolvieren, wenn in den Fachbereichen keine Arbeitsplätze entstehen würden? „Jeder fünfte Jugendliche ist ohne Arbeit“, die Statistik, eine Anklage. Die Schule sei „realitätsfern“, so eine Feststellung, die Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft funktioniere nicht, eine andere, der die Unternehmer im Saal wohlwollend zustimmten. Die Adem orientiere Jugendliche in ausweglose Beschäftigungsinitiativen. Die Unternehmer würden nicht genug Praktikumsplätze anbieten. Die Jugendlichen machten viele Schuldige aus: die Regierung, die Unternehmen, die Adem – alle „in der Verantwortung“. Indem die adrett gekleideten Jugendlichen quasi nach einer Gebrauchsanweisung für den sicheren Einstieg in den Arbeitsmarkt und einen unbefristeten Arbeitsvertrag verlangten, offenbarten sie gegen ihren Willen, dass sie viel mehr Zukunftsangst als Zukunftsvisionen haben. Ganz so glaubwürdig war es da nicht, dass nicht einmal eine Handvoll Schüler zugeben wollte, er oder sie strebe eine Laufbahn im Staatsdienst an. So sah sich Corinne Cahen, ehemalige Journalistin und Geschäftsfrau, genötigt einzugreifen. Man solle das studieren, woran man Spaß habe. Dann stünden die Chancen am Besten, darin wirklich gut zu werden – die Voraussetzung dafür, eine Anstellung zu finden. Auch eine Lehrerin erhob Einspruch: „Die Schule soll natürlich auf den Arbeitsmarkt vorbereiten. Aber die Schule muss auch einfach noch ein bisschen Bildung vermitteln.“ Die Schüler plädierten indes dafür, den öffentlichen Dienst weniger attraktiv zu machen, damit auch Jobs im Privatsektor wieder attraktiver würden. Über die Wirkung solcher Maßnahmen und anderer Reformen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes auf die von ihnen angestrebten Arbeitsbedingungen wurde nicht diskutiert. Obwohl LCGB-Präsident Patrick Dury und Serge Wilmes den Versuch starteten, RMG und Mindestlohn zu verteidigen. „RMG, Mindestlohn – was das ist, versteh’ ich in zehn Jahren“, so ein Schüler im Publikum. Hatte er an einem anderen Workshop teilgenommen oder war seine ehrliche Aussage ein Hinweis darauf, dass die Thematik doch ein wenig komplex war?
Generationenübergreifende Solidarität Denn wenn die Jugendlichen zum Thema Schule und Zukunftsangst engagiert und anhand der eigenen Erfahrungen und Erwartungen diskutieren konnten, nahm die Runde zur generationenübergreifenden Solidarität mitunter groteske Züge an. Bill Wirtz, eloquenter und publikumssicherer Jung-Liberaler – in seiner Funktion als Schüler anwesend – forderte die Abschaffung des Renten-Ajustement. Nachdem das junge Publikum entdeckte, das erst kürzlich eine Rentenreform verabschiedet wurde, wollte es wissen, warum sie nicht weit genug ginge. Überhaupt wollte niemand der jungen Leute einsehen, warum sie die Pensionen ihrer Eltern bezahlen sollen. Als François Bausch versuchte zu erklären, dass das System aus Bismarcks Zeiten stamme, eigentlich gar nicht so schlecht wäre und wiederum ihre Kinder ihre Renten bezahlen würden, dass das Problem darin liege, dass das Modell auf einer Fehleinschätzung der künftig zu erwartenden Wirtschaftsentwicklung beruhe, schalteten viele Schüler ihr Gehirn aus und das Telefon ein. „Sorry, aber hier nehmen echt viele das Smartphone raus und fangen an, zu zocken“, berichtete einer aus den hinteren Reihen des Kinosaals. Auf die Frage des Moderators, was seine Meinung zum Thema sei, meinte ein anderer:„Renten? Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich denke nicht viel. Was war noch mal die Frage?“ So endete die Diskussionsrunde damit, dass Wirtz dem LSAP-Vertreter Georges Engel mit einer guten Portion Aggressivität wegen der geplanten Ajustement-Auszahlung und der unzureichenden Reform „Populismus und Wahlgeschenke“ vor den Kammerwahlen 2014 vorwarf. Da hatte der Moderator den Jugendlichen zwar gesagt, das aktuelle System würde zur Staatspleite führen. Unternehmer Xavier Buck hatte den Teufelskreis beschrieben, in dem jedes Jahr mehr Renten bezahlt werden müssen, weswegen die Rentenversicherungsbeiträge für die Arbeitgeber ansteigen müssten, wodurch die Unternehmer an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen würden und deshalb weniger junge Leute einstellen könnten. Den Unterschied zwischen Umlage- und Kapitaldeckungsvefahren, und wozu es eigentlich das Ajustement gibt, hatte da noch niemand erklärt.
Ausländer Integration finde vor allem in der Schule statt, weshalb die Schüler für ein Beibehalten des aktuellen Sprachensystems plädierten, allerdings eine individuelle Sprachförderung für diejenigen forderten, die damit kämpfen. Zudem sollten dabei die verbale Kompetenzen im Vordergrund stehen, „das ist wichtiger, als die ganze Zeit nur Literatur zu lesen“. Separate Sprachbranchen seien keine Lösung, weil dies zu Segregation im Schulbetrieb führen würde. Außerdem hätten die Schüler einer deutschen Branche, also die Luxemburger, schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt, wo das Französische eine wichtigere Rolle spiele. Da musste Xavier Bettel (DP) feststellen, dass die Segregation ohnehin schon eine Realität sei, weil im Classique die Luxemburger überproportional repräsentiert seien, während es im Technique genau umgekehrt sei und das System nicht allen Kindern die Möglichkeit gebe, sich nach ihrem Potenzial zu entwickeln. Vielleicht gingen die Meinungen ganz einfach deshalb auseinander, weil im Saal anscheinend überwiegend Luxemburger, beziehungsweise Classique-Schüler im Besitz eines Smartphones, anwesend waren. Eine Population, die in der glücklichen Lage ist, weder Probleme mit der deutschsprachigen Alphabetisierung zu haben, noch die sozialen Nöte zu kennen, von denen Serge Kollwelter von der Asti sprach. Er meinte, die wirkliche Herausforderung im schulischen Kontext bestehe darin, ein Mittel zu finden, die sozialen Ungleichheiten auszubalancieren.
Eine einheitliche Position zum Ausländerwahlrecht hatte die Arbeitsgruppe „Ausländer“ im Vorfeld nicht finden können. Ein Teil der Schüler plädierte dafür, volljährigen Ausländern über eine Residenzklausel das aktive Wahlrecht zu geben, „damit sie mitbestimmen können, was mit dem Reichtum passiert, den sie miterwirtschaften“. Aber nur ein wenig, denn das passive Wahlrecht soll nach Meinung auch dieser Schüler ein Privileg Luxemburger Staatsbürger bleiben. Die anderen Schüler fanden ganz einfach, wer wählen wolle, könne die Luxemburger Staatsbürgerschaft beantragen. Als jemand aus den hinteren Reihen seinen Kommentar mit „Ech si jo kee Rassist, mee...“ begann, konnte Xavier Bettel trotz seines Einwurfs, dieser Einleitung folge oft ein bedenkliches „Aber“, nicht verhindern, dass eine grenzwertige Tirade über die Marginalisierung der Luxemburger Sprache und Kultur folgte. Für die Grenzpendler wünschen sich die Schüler im Übrigen ein öffentliches Transportsystem, das ihnen erlaubt, nicht um Punkt 17 Uhr in den Bus nach Hause steigen zu müssen, damit sie auch nach der Arbeit, soziale Kontakte knüpfen können, „unsere Kultur kennen lernen können, zum Kegeln gehen können“.
Neben der Frage, warum 18-Jährigen zum Thema Luxemburger Kultur und Identität nach der Sprache als erstes ausgerechnet Kegeln in den Sinn kommt, bleibt die, was eine solche Veranstaltung bringt? Nimmt man Jugendlichen die Zukunftsängste und gibt ihnen Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten, indem man ihnen erklärt, die Rentner seien daran Schuld, dass sie keine Jobs finden? Rüttelt eine solche Übung junge Leute wach? Wozu? Die Schülerauswahl von vergangenem Dienstag schien zu bestätigen, dass es trotz 5vir12-Workshops über die Jahre eine Konstante gibt: Eine ganz kleine Minorität von Teenagern ist wirtschaftlich informiert oder politisiert. Der Rest interessiert sich für Dinge, die Teenager eben beschäftigen. Dazu gehört die zukünftige Rente nicht. Aufgrund des Debattenverlaufs kann man durchaus hinterfragen, ob es 5vir12 darum ging, das junge Publikum für bestimmte Themenbereiche zu sensibilisieren oder eher doch darum, Wahlkampfbotschaften in Bezug auf diese Themenbereiche loszuwerden.
Deswegen sollte man, wenn man von Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft spricht, zwei Dinge nicht verwechseln: Die Vorstellung von Berufsbildern in der Schule, beziehungsweise das Entwickeln von Lehrplänen in der Berufsausbildung, ist etwas anderes, als wenn ein Privatverein wie 5vir12, dessen Mitglieder sich zusammengetan haben, weil sie mit der Regierungspolitik nicht zufrieden sind und wie sie selbst sagen, einen Mentalitätswechsel in Bevölkerung herbeiführen wollen, in öffentlichen Lehranstalten Schülerdebatten veranstalten. Auch wenn der Verein betont, er wolle die jungen Wähler nicht beeinflussen.