„Cloud Computing“ lautet das neue Buzz-Wort, und das beileibe nicht nur in Informatiker-Kreisen. Der „Wolke“, die unserer aller Zukunft verändern soll, werden quasi magische Fähigkeiten zugesprochen, auch wirtschaftlich. Die EU-Kommission beispielsweise rechnet damit, dass duch die verstärkte Nutzung von Cloud-Technologien in der EU das Bruttoinlandsprodukt der Union bis 2020 um 160 Milliarden jährlich steigern könnte. Zweieinhalb Millionen neue Jobs sollen in Verbindung mit Cloud-Computing entstehen.
Dabei ist Cloud-Computing, wenn auch sagenumwoben und mysteriös, weder neu, noch revolutionär. Viele Leute nutzen Cloud-Computing-Technologien seit Jahren, meist ohne sich dessen bewusst zu sein. Beispielsweise all jene, die sich bereits in den Neunzigern ein Webmail-Konto bei Hotmail oder Yahoo einrichteten, um E-Mails über den Web-Browser zu versenden oder zu lesen. Egal wo man ist, der Zugriff ist immer möglich, weil die Daten im Netz stehen.
Dass nun eine gewisse Goldgräberstimmung ums Cloud-Computing entsteht, obwohl das Modell nicht neu ist, hat auch mit dem technischen Fortschritt der vergangenen Jahre zu tun. „Ältere“ Nutzer haben den Klang des analogen Modems noch im Ohr, wenn es sich ins Netz einwählte. Regierung und Glasfaseranbieter in Luxemburg versprechen bis 2015 den Anschluss aller Haushalte ans Glasfasernetz und Übertragungsgeschwindigkeiten von 100 Megabit pro Sekunde. Weil immer schneller immer mehr Daten übertragen werden können, ergeben sich neue Anwendungen. Zu Zeiten, als das Laden einer E-Mail eine Minute dauerte, hätte man zum Herunterladen eines Videos Tage gebraucht. Von streamen – also dem Ansehen, ohne dass das Video auf den Rechner geladen wird – gar nicht zu sprechen.
Der Branchenverband Eurocloud Luxembourg hat vergangenes Jahr gemeinsam mit dem CRP Henri Tudor einen Aktionsplan ausgearbeitet, um zu identifizieren, was nötig ist, damit sich Luxemburg einerseits als Cloud-Computing-Standort etablieren kann und sich andererseits das Modell Cloud-Computing in Luxemburg durchsetzt. Die Grundlagen dafür sind eigentlich gelegt, stellen die Autoren fest. Gehörte Luxemburg bis vor wenigen Jahren noch zum Hinterland der Datenübertragung, haben öffentliche wie private Unternehmen Luxemburg über „Datenautobahnen“ mit den europäischen Internetknotenpunkten Amsterdam, Brüssel, Frankfurt, London, Paris und Straßburg verbunden. In acht Millisekunden reist eine Information beispielsweise zwischen London und Luxemburg, in 3,54 Millisekunden hat ein Websurfer in Brüssel Kontakt mit einem Server in Luxemburg.
Und davon gibt es in der Zwischenzeit viele. Luxemburg ist, der Statistik zufolge, die Tom Kettels vom Kommunikationsministerium vor zwei Wochen einer Branchenkonferenz vorlegte, das fünftgrößte „Datenzentrum“ in Europa, hinter London, Frankfurt, Paris und Amsterdam. Rund 40 750 Quadratmeter Fläche gibt es in Luxemburgs Datenzentren anzumieten. Weitere überraschende Statistik: Über zehn Prozent der weltweit als Tier IV ausgezeichneten Datenzentren – die höchste Qualitätsstufe – stehen in Luxemburg. „Tendenz steigend“ steht in der Präsentation, was wohl heißen soll, dass weitere hochklassige Datenzentren in Planung sind. Dass das nicht nur Schau ist, sondern die hiesigen Zentren wirklich allerbeste Güteklasse sind, bestätigte kürzlich das Fachblatt Soluxions, das testen ließ, wie zuverlässig und schnell der Zugriff von Internetnutzern aus Europa, aber auch aus Nord- und Südamerika beziehungsweise Asien und Ozeanien auf ausgewählte Luxemburger Datenzentren im Vergleich zu führenden Anbietern aus den USA und Europa ist. Das Ergebnis: Besonders die Datenzentren von EBRC, Telecom Luxembourg private operator und Telindus Telecom schnitten sehr gut ab, was heißt, dass sie allen Nutzern, ob nah oder fern, entweder exzellente oder mindestens zufriedenstellende Zugriffsbedingungen bieten.
Artikel wie der in Soluxions tragen sicher dazu bei, den Bekanntheitsgrad von Luxemburg als IT-Standort international zu steigern. Das ist, stellen Eurocloud und CRP in ihrem Aktionsplan fest, auch dringend notwendig, wenn Investoren und neue Kunden nach Luxemburg gelockt werden sollen. Deswegen ist Amal Choury, Chefin des Cloud-Anbieters E-Kenz und Präsidentin von Eurocloud Luxemburg, auch besonders stolz darauf, dass der Dachverband Eurocloud, dem 21 europäische Länder angehören, seit Anfang 2013 seinen Sitz in der Handelskammer in Luxemburg registriert hat. „Diese Initiative trägt zur globalen Strategie bei, die darauf zielt, Luxemburg als europäische Plattform für Unternehmen zu positionieren, die im Bereich Cloud-Computing aktiv sind“, sagt Choury. Eine weitere wichtige Hürde ist für die Branche der Gesetzentwurf zur Abänderung des Code du commerce, der eine Gesetzeslücke füllt für den Fall der Insolvenz von Dienstleistern, die für Dritte Daten speichern und verwalten. Um zu verhindern, dass in solchen Fällen der Insolvenzverwalter den Stecker im Datenzentrum herauszieht und die Server mit den Kundendaten verhökert, soll das neue Gesetz klarstellen, dass die Daten – wie materielle Güter, die bei Dritten gelagert werden auch – dem Kunden und nicht zur Insolvenzmasse gehören. „Dieses Gesetz“, hofft Choury, „wird die Attraktivität von Luxemburg als Investitionsstandort im Bereich Cloud Computing fördern, weil Luxemburg als erstes Land in Europa überhaupt einen solchen gesetzlichen Rahmen schafft.“
Auch die anderen Baustellen auf dem Weg zum Cloud-Paradies Luxemburg sind auf rechtlicher Ebene angesiedelt. Eurocloud Luxemburg und das CRP Henri Tudor stellen in ihrem Aktionsplan fest, dass die 2007 in Luxemburg eingeführten günstigen Besteuerungsbedingungen von Einkommen aus geistigem Eigentum, eigentlich die Entwicklung von Software in Luxemburg ankurbeln müssten. Eigentlich. Denn außerhalb von Luxemburg sei das Regime kaum bekannt, bedauern sie, deshalb locke es keine neuen Akteure an.
Überhaupt gibt es in puncto Besteuerung noch manches zu klären. Zum Beispiel, ob ein Server im Land A, auf den eine Firma aus dem Land B über ein Cloud-Angebot Daten lädt und Anwendungen laufen lässt, im steuerlichen Sinn als ständige Niederlassung zu betrachten ist? Dann nämlich könnten im Land A Steuern auf den Gewinnen fällig werden, die mit den Aktivitäten erwirtschaftet werden, die auf dem Server ablaufen – ohne dass die Firma sonst dort tätig ist. Luxemburg habe angesichts dieser Situation zwei Möglichkeiten, glauben die Autoren des Aktionsplans: Im Rahmen der Bemühungen der Regierung, die Firmensitze großer Unternehmen hierher zu locken, die Zentralisierung aller Cloud-Aktivitäten in Luxemburg anzubieten, um Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Oder Firmen, die ihren Steuersitz anderswo haben, eine Ausnahmeregelung zu gewähren und die Server nach dem Vorbild Großbritanniens nicht als ständige Niederlassung zu betrachten. Das würde die Nutzung von Luxemburger Servern für ausländische Firmen attraktiv machen.
Steuern sind auch ein zentrales Element wenn es darum geht, Cloud-Applikationen in Luxemburg an den Mann oder die Frau zu bringen. Eigentlich ist Luxemburg ideales Terrain für einen Siegeszug der Cloud. Die überwältigende Mehrheit aller Luxemburger Firmen, 95 Prozent, sind kleine und mittelständische Unternehmen. Ihnen stellen die Fürsprecher der Cloud viele Vorteile in Aussicht. Mindestens zehn Prozent der IT-Kosten könne eine Firma sparen, wenn sie ihre Informatik outsource, sagt Roland Bastin von Deloitte. „Wenn die Prozesse gut gemeistert sind.“ Die Cloud liefere eine höhere Kosten-Variabilität, sagt Choury, deren Firma E-Kenz Software als Dienstleistung für andere Firmen anbietet. Pay-per-use heißt die Zauberformel. Wer seine Firma über die in der Cloud gemietete Software laufen lässt, bezahlt immer nur den Zugang für so viele Mitarbeiter, wie tatsächlich Zugriff haben. Wer Daten speichert, zahlt nur die Miete für so viel Speicherkapazität, wie er tatsächlich belegt. Wer dagegen eigene Server für die Firma kauft, bestellt wahrscheinlich etwas mehr als er braucht, um Ausbaumöglichkeiten zu haben. In der Cloud? Kein Problem! – versprechen die Befürworter, da mietet man punktuell, so viel Kapazität wie man braucht. „Die Investitionskosten werden gedrückt“, weist Bastin auf die Umstellungen in der Firmenbilanz hin, die ein Wechsel zur Cloud für Firmen nach sich zieht, „stattdessen bezahlt man Miete.“ Das ist aber gleichzeitig ein Hemmschuh für die Cloud-Entwicklung auf nationaler Ebene. Denn Investitionen in die eigene IT-Entwicklung oder Infrastruktur können eventuell vom staatlicher Seite bezuschusst oder aber für Steuerkredite geltend gemacht werden. Wer stattdessen einen Dienstleistungsvertrag mit einem Cloud-Anbieter unterschreibt, kann diese Vorteile nicht nutzen. Deswegen besteht hier Handlungsbedarf beim Gesetzgeber, sagt Amal Choury. Die Auslagerung in die Cloud müsse steuerlich mit den internen IT-Investitionen gleichgestellt werden, fordert die Vorsitzende von Eurocloud Luxembourg.
Die Hauptkonsumenten von IT-Infrastrukturen in Luxemburg, die Finanzinstitute, stellt die Cloud noch vor ganz andere Herausforderungen. Sie unterliegen dem Bankgesetz und der Aufsicht durch die Commission de surveillance du secteur financier (CSSF), weshalb unter anderem ihre Daten nicht außerhalb von Luxemburg gespeichert werden dürfen und sie die Kontrolle über die IT-Vorgänge nicht in die Hände von unregulierten Subunternehmern geben dürfen. Weswegen auch Firmen aus dem IT-Bereich das Statut der Professionels du secteur financier de support erwerben und sich damit selbst unter die Aufsicht der CSSF stellen können. Der große Fokus der Luxemburger IT-Branche auf den Finanzsektor und damit auf die Datensicherheit und die Nachvollziehbarkeit der Informationsströme habe zu einer Sicherheitskultur geführt, die durchaus als Standortfaktor beworben werden sollte, meint Choury.
Dabei ist der Datenschutz auch für KMU und individuelle Cloud-Nutzer ein Thema. Oft ist es die Angst, wichtige Informationen und Firmengeheimnisse könnten in der Cloud verloren gehen oder seien nicht sicher, die Firmen davon abhält, auf Cloud-Anwendungen zurückzugreifen. Das haben auch Eurocloud Luxemburg und das CRP Henri Tudor in ihrem Aktionsplan festgestellt. Anderes Beispiel: Facebook. Wer sein Konto beim Sozialnetzwerk löscht, bleibt dennoch darin sichtbar. Darf Facebook das? Die Luxemburger EU-Kommissarin Viviane Reding meint: „Nein“. Sie hat einen Richtlinienvorschlag vorgelegt, mit dem sie einerseits den Datenschutz in der EU harmonisieren und andererseits sicherstellen will, dass wer in Europa aktiv werden will, sich an die europäischen Bestimmungen halten muss. Ihr Vorstoß, über den aktuell der EU-Ministerrat verhandelt, ist stark umstritten. Denn Regelungen, die Privatleuten viel Schutz bieten, stellen aus der Sicht der Wirtschaft oft Barrieren fürs Geschäft dar.
So, glaubt Roland Bastin von Deloitte, geht es in den aktuellen Verhandlungen für die Luxemburger weniger darum, auf die Harmonisierung binnen der EU zu achten – durch die Viviane Reding europäischen Firmen Einsparungen von 2,5 Milliarden Euro verspricht –, sondern darauf, wie sich die EU zu Drittstaaten positioniert, weil sich eher Probleme bei der Auslagerung von Daten aus der EU heraus als bei der Verlagerung binnen der EU stellten. „In einer zunehmend globalisierten Welt brauchen wir Lösungen, die dieser Entwicklung Rechnung tragen“, sagt Bastin. Wichtig wäre deshalb seiner Meinung nach, dass die EU bei ihren Handelspartnern sicherstellt, dass deren Datenschutzbestimmungen den eigenen Standards entsprechen. Ansonsten könnte für europäische Firmen, die weltweit tätig sind, schon das firmeninterne Mitarbeiterverzeichnis zur datenschützerischen Herausforderung werden, von Kundendaten gar nicht zu sprechen. Beispiel Arcelor-Mittal: Der Konzern hat sich von der Luxemburger Datenschutzkommission ein eigenes Modell zum Umgang mit privaten Daten absegnen lassen. Das Modell gibt Regeln für den Fall vor, dass Mitarbeiter-, Zulieferer- oder Kundendaten aus der EU heraus in Länder verlagert werden, in denen es kaum Datenschutzbestimmungen gibt – was in einem Konzern mit über 700 Filialen und Zweigstellen weltweit schon mal vorkommen kann.
Zu den fantastischen Vorhersagen über die Entwicklung der Cloud-Branche und die Wirkung auf die europäische Wirtschaft will sich der Firmenberater Bastin nicht äußern, meint aber: „Wenn der Rummel um die Cloud sich legt, bleibt immer noch Substanz übrig.“ Mit der Cloud sei es wie mit Flachbildschirmfernsehern vor zehn Jahren. Damals super-teuer, gehypt und dennoch kaum als Standard vorstellbar, stünden sie heute in jedermanns Wohnzimmer.
Cyril B.
Catégories: Internet
Édition: 22.03.2013