„Er steht mit dem Rücken zur Wand und versucht zu tun, was er kann“, sagte ABBL-Direktor Jean-Jacques Rommes diese Woche in einem Rundfunkinterview über Finanzminister Luc Frieden (CSV). Zu beneiden war Frieden dieser Tage wirklich nicht. Erst vor wenigen Wochen hatte er den Umbau bei Luxembourg for Finance angekündigt, personell und finanziell, im eigenen Haus eine neue Pressebeauftragte eingestellt. Zeichen einer neuen, von ihm gesteuerten Kommunikationsinitiative, durch die der Finanzplatz Luxemburg auf allen Ebenen – ausländische Regierungen, Investoren und Kunden – ins rechte Licht gerückt werden soll. Nach der Zypernrettung und der durch den neuen Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem angefachten Polemik über das richtige Verhältnis zwischen Bankbilanzen und Bruttoinlandsprodukt eines Landes hatte sich diese neue Kommunikationsoffensive in einer ersten Pressemitteilung offenbart, mit der die Regierung versuchte zu widerlegen, dass der Finanzplatz eine Nummer zu groß sei für das Luxemburger Land.
Und dann so etwas. Vergangenen Sonntag erschien in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) ein Interview Friedens mit dem Titel „Bankgeheimnis lockern“. Die jüngsten Enthüllungen über Steuerhinterzieher weltweit brächten auch Luxemburg unter Druck, so der Journalist. Andere EU-Länder forderten, die Steueroase auszutrocknen. Ein Interview, indessen Verlauf Frieden erklärt, anders als früher lehne Luxemburg den automatischen Informationsaustausch nicht mehr ab. Daraus schlussfolgerten Finanzpolitiker und Medien europaweit: Durch die Recherchen des International consortium of investigative journalists (ICIJ) über Off-shore-Konten auf den Britischen Jungferninseln, die am Donnerstag publik wurden, sei der Druck auf „Steueroasen“ wie Luxemburg so groß geworden, dass man das Bankgeheimnis abschaffe. Dabei hatte Frieden das verhängnisvolle Interview bereits am Dienstag gegeben. Da wusste er von Offshore leaks noch nichts.
Dann herrschte erst einmal Funkstille. Obwohl nationale und internationale Journalisten die Telefondrähte im Finanzministerium heißlaufen ließen, um eine Erklärung zu bekommen, hatte Frieden Anfang der Woche nicht mehr zu bieten als ein „No comment“. Auch das war nicht wirklich seine Schuld. Sondern die von Staatsminister Jean-Claude Juncker (CSV), dessen Erklärung zu wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Lage der Nation ganz Luxemburg mit Spannung erwartete. Dass sich die anderen Regierungsmitglieder in den Tagen davor gefälligst klein zu halten haben, um ihm nicht die Show zu stehlen, zeigt auch das Beispiel des sonst sehr gesprächigen Wirtschaftsministers Etienne Schneider, der bis Mittwoch und in Erwartung der Lage der Nation keine Details über sein 21-Seiten-Wirtschaftsreformprogramm verriet. So musste auch Frieden stillhalten, obwohl sich die Ereignisse überschlugen und Tatsachen geschaffen wurden. Denn obschon EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta am Montag Österreich – letzter Verbündeter Luxemburgs in Sachen Bankgeheimnis – dazu aufforderte, Luxemburgs Beispiel zu folgen, wollte Finanzministerin Maria Fekter noch „wie eine Löwin“ um das Bankgeheimnis kämpfen. Bereits am Dienstag zeigte sich ihr Kanzler Werner Faymann „gesprächsbereit“ (siehe Seite 8).
Weil sozusagen Redeverbot herrschte, konnte sich Frieden auch nicht gegen Angriffe im Inland wehren. Beispielsweise von den Liberalen, die fragten, wie er dazu komme, mit einer Ankündigung von dieser Tragweite ganz Europa und die Luxemburger Finanzbranche zu überraschen. Noch dazu in der ausländischen Presse und ohne Absprache mit dem Parlament. Oder von den Piraten, die sonst für Transparenz eintreten, aber nun die bürgerliche Privatsphäre in Gefahr sahen. Oder sich gegen die Glückwünsche der Grünen wehren, deren Fraktionsvorsitzender François Bausch twitterte: „Luc Frieden: Lëtzebuerg lehnt automateschen Informatiounsaustausch am Bankesecteur net méi of: richteg Décisioun, ennerstëtzen dat!“ So blieb es Jean-Claude Juncker überlassen, am Mittwoch offiziell anzukündigen, Luxemburg werde ab dem 1. Januar 2015 den automatischen Informationsaustausch für Zinserträge von EU-Ansässigen mit Konten in Luxemburg einführen. Denn dass sich Luxemburg auf Dauer dem automatischen Informationsaustausch wie er in der Zinsbesteuerungsdirektive vorgesehen ist, nicht entziehen könnte, hatte die Regierung durchaus besprochen. Dass der Zeitpunkt der Offenbarung von der FAS bestimmt würde, eher nicht. So versuchen Juncker und Frieden nun zu erklären, dass ihre Einlenken rein chronologisch auf Zypern-Polemik und Offshore leaks folgt, aber nicht etwa kausal damit zusammenhängt.
„Wa mer lo eis Position änneren, da geschitt dat net ënner dem Drock europäeschem Drock, deen et selbstverständlech gëtt well bis elo 25 resolut fir den automatesch Informatiounsaustausch antrieden. Wa mer eis Positioun änneren, da geschitt dat well d’Amerikaner eis keen anere Choix losseen“, sagte Juncker am Mittwoch am Rednerpult im Parlament. „Fatca“ heißt die amerikanische Zauberformel – das steht für Foreign account tax compliance act. Nicht nur für Luxemburger Banker ist Fatca ein Panikwort, eine Initiative, vor deren weitreichenden Folgen sie seit geraumer Zeit warnen. Dass die Öffentlichkeit das nicht wahrnimmt, liegt daran, dass sogar ausgewiesene Steuerexperten beim Versuch, Fatca und die Folgen einer Nichtanwendung zu erklären, eine Grafik aufs Flipchart malen müssen, um nicht durcheinander zu geraten. Grob vereinfacht läuft Fatca auf Folgendes hinaus: Die USA besteuern nach dem Nationalitäts- statt nach dem Residenzprinzip, machen dabei die Banken weltweit zum verlängerten Arm des amerikanischen Fiskus. Wer nicht mitmacht, riskiert seine USA-Aktivitäten einstellen zu müssen. Weil sich das niemand leisten kann, ringen sich außer Luxemburg auch viele andere Länder zur Einsicht durch, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als ein Fatca-Abkommen zu unterzeichnen.
Weil dadurch die Banken verpflichtet werden, automatisch die Daten amerikanischer Kunden an die amerikanischen Steuerbehörden zu übermitteln, reden Frieden und Juncker von einer Trendwende bei den internationalen Standards. Als 2009 Luxemburg auf die graue Liste der Steuerparadiese geriet, wurde als Standard – im OECD-Modell für Nicht-Doppelbesteuerungsabkommen verankert – der Austausch von Steuerdaten auf Anfrage anerkannt. Den automatischen Austausch gab es zwar innerhalb der EU, ansonsten war er aber wenig verbreitet. Das ändert sich durch Fatca. Zudem haben Luxemburg und Österreich durch das Scheitern des so genannten Rubik-Abkommens zwischen Deutschland und der Schweiz ein gewichtiges Argument verloren. Rubik sah vor, dass die Schweizer Banken auf nicht-deklarierten Konten deutscher Steuerpflichtiger eine Abgabe abführen und nach Berlin überweisen würden. Damit, so die österreichisch-luxemburgische Verteidigungsfront, hätte Deutschland die Quellensteuer prinzipiell und als effizientes Mittel anerkannt, das man den EU-Partnern schwerlich hätte verbieten können. „Wenn Fatca nicht gewesen wäre und Rubik ein Erfolg geworden wäre, hätte ich Rubik europäisch durchgesetzt“, sagte Luc Frieden am Mittwoch. Doch Anfang Februar lehnte der von SPD und Grünen dominierte Bundesrat das vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble verhandelte Abkommen endgültig ab.
Danach galt es, Schadensbegrenzung zu betreiben und mit den USA ins Geschäft zu kommen. Denn die Luxemburger Fondsbranche profitiert anders als das Private-banking-Segment nicht vom Bankgeheimnis, ist aber für die Luxemburger Wirtschaft der wichtigere Faktor. Der neuesten verfügbaren Deloitte-Studie über den Stellenwert der Luxemburg Finanzbranche zufolge, beschäftigte die Investmentfondsbranche 2010 direkt und indirekt fast 14 000 Mitarbeiter, was vier Prozent der Beschäftigten in der Luxemburger Wirtschaft entsprach, und leistete mit rund 836 Millionen Euro neun Prozent der Steuereinnahmen in besagten Jahr. Die Fondsbranche ist damit auf allen Ebenen gewichtiger als Private-banking-Branche. Weil der Anteil der Investoren in Luxemburger Investmentfonds mit Luxemburger Bankkonto äußerst gering sei, werde der automatische Informationsausstausch kaum Folgen für die Branche haben, erklärt Alfi-Präsident Marc Saluzzi.
Deswegen, und weil sich Luxemburg durch seine Blockade-Haltung in Sachen Bankgeheimnis auch in anderen Dossiers – Beispiel: Finanztransaktionssteuer – in eine schlechte Verhandlungsposition versetzte, wird nun darüber diskutiert, welche Folgen die Aufgabe des Bankgeheimnisses für die Banken hat. Außerdem hatte sich Luxemburg kaum gegen die Diskriminierung seitens anderer EU-Länder wehren können. Beispielsweise durch Frankreich, das den Inhabern von Auslandskonten Extra-Deklarationen abverlangt, die für französische Konten nicht gelten oder durch Italien, das Luxemburg auf einer schwarzen Mehrwertsteuerliste hat, was italienischen Firmen den Handel mit Luxemburg erschwert. Der Wechsel könne ohne größeren Schaden erfolgen, so Jean-Claude Juncker am Mittwoch. An künftige Job-Verluste augrund der Einführung des automatischen Informationsaustauschs, will Luc Frieden nicht glauben.
Das sieht man bei der ABBL freilich etwas anders. „Nicht angenehm, aber keine Überraschung“, ist die Ankündigung für Jean-Jacques Rommes, der berichtet, es seien bereits viele Kleinkunden abgewandert seit die Branche offiziell eine Weißgeldstrategie verfolge. Die Banken forderten ihre Kunden zunehmend auf, sich zu regularisieren (siehe nebenstehenden Artikel). „Diesen Übergang haben verschiedene Häuser schon vorgenommen, manche sind dabei, und die anderen werden stark bluten müssen“, so der Direktor des Bankenverbandes, der sich weitere Mittelabzüge kleinerer Kunden erwartet. 40 Prozent der Guthaben, das die Privatbanken verwalten, gehören EU-ansässigen Kunden. „Den direkten Schaden werden wir in den kommenden Tagen und Wochen spüren“, sagt er. „Mit der Situation danach werden wir umgehen können.“ Wie viele Millionen Euro es sein werden, weiß er nicht einzuschätzen. Doch dass die Kunden seit Luc Friedens Interview massiv an den Schaltern vorstellig werden, haben ihm die ABBL-Mitglieder bestätigt. So dass seiner Ansicht nach der gesamtwirtschaftliche Schaden für Luxemburg eher früher als später zu spüren sein wird, also 2013 und 2014, nicht erst 2015, wenn der Austausch beginnt. Auch für die Beschäftigung in den Banken sagt er schwerwiegende Folgen voraus. Ob der Verlust des Bankgeheimnisses, wie eine nicht veröffentlichte Studie im Auftrag der Private-Banking-Group 2009 ermittelt hatte, den Verlust von bis 6 000 Stellen nach sich ziehen würde, will er nicht bestätigen. Aber kleinere Häuser, die noch keine Anstrengungen in Richtung „Weißgeld“ unternommen hätten, könnten durchaus in Schwierigkeiten geraten. Deswegen „wird es viel Bewegung und großen Strukturveränderungen geben. Das bleibt nicht ohne Schaden.“ Bewegungen und Schäden, die seiner Einschätzung nach „Tausende von Leuten betreffen werden“.