Fotografie

Ästhetik des Ungreifbaren

Ein Porträt des Fotografen Ezio d'Agostino
Foto: Boris Loder
d'Lëtzebuerger Land vom 29.03.2019

Fast könnte man meinen, das Display01 des Centre national de l’audiovisuel wäre dieser Tage geschlossen, würden einem nicht die beleuchteten Fotografien aus der Dunkelheit entgegenscheinen. Beim Betreten des Raums mit der aktuellen Ausstellung NEOs des italienischen Fotografen Ezio D’Agostino fällt es zunächst schwer, sich in der Schwärze räumlich zurechtzufinden. Umso klarer erscheinen dank der fokussierten Ausleuchtung die abstrakten geometrischen Motive auf den Fotografien. Was zunächst wie ein Inventar an Kreisen, Quadraten und Dreiecken wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als technisches Gerät, Innenräume und architektonische Details, die in ihrer größtenteils monochromen Umsetzung wie Fragmente aus einem futuristischen Film erscheinen.

Der einheimische Betrachter erkennt das ein oder andere Element, wie etwa die ikonischen Lampen, die in Esch-Belval auf die Betonstelen montiert sind. Feuerfeste Handschuhe und ein Hitzeschild geben weitere thematische Hinweise auf die Stahlindustrie, eine Konnotation, die jedoch durch die Fotografie einer Satellitenschüssel gebrochen wird.

Ansichten aus dem Freeport, Gerät zur Analyse seltener Metalle, die Fassade der Deutschen Bank – erst über die ausgelegten iPads erfährt der Besucher, was auf den einzelnen Bildern, allesamt Motive aus Luxemburg, zu sehen ist.

Die Ausstellung ist das Resultat einer Künstlerresidenz, die 2016 im Rahmen der letzten CNA Portfolio Days vergeben wurde. Der vierzigjährige D’Agostino stellte damals unter anderem ein Projekt vor, das Orte zeigte, an dem Vermisste zuletzt gesehen wurden. Er wurde auf Basis seines Portfolios ausgewählt, in Luxemburg ein Projekt auszuarbeiten und dieses anschließend in Form einer Ausstellung und einer Buchpublikation umzusetzen.

Er habe mangels Kenntnis über das Land zunächst keinerlei Vorstellung gehabt, welches Projekt er in Luxemburg realisieren könnte, so D’Agostino. Kurz vor der Portfolio-Schau jedoch verkündete Luxemburg den Start des Space-Resources-­Programms. Dies bildete D’Agostinos Startpunkt, sich mit der Geschichte Luxemburgs auseinanderzusetzen. „Ich habe mir die Frage gestellt, worüber wir reden, wenn wir von ‚Reichtum’ sprechen“, erklärt der Fotograf den Ausgangspunkt seines Konzepts. Luxemburgs Reichtum habe begonnen, als es möglich wurde, Phosphor von Eisen zu trennen. Im Gegensatz zu diesem greifbaren Prozess, in dem reale Rohstoffe weiterverarbeitet wurden, sei es zwischenzeitlich durch den Finanzplatz Luxemburg zu einer Dematerialisierung von Reichtum gekommen, so der Fotograf.

Gerade dieser Aspekt, die Sichtbarmachung des Virtuellen, wie Finanztransaktionen und Kommunikation, habe ihn besonders gereizt. Dabei gelingt es dem studierten Archäologen und Dokumentarfotografen, das Ungreifbare über den Weg der Dekonstruktion einzufangen. Von handfesten Rohstoffen, wie einem Goldnugget, über Banken, an denen virtueller Reichtum verwaltet wird, hin zu den Parabolantennen der SES als Symbole eines hypothetischen künftigen Kapitals in Form extraterrestrischer Ressourcen – NEOs ist eine sowohl umfassende als auch minimalistische Katalogisierung der wirtschafts- und technikhistorischen Facetten des Landes.

Mit dem Freeport ist auch die Verwaltung und Aufbewahrung hochwertiger Kunstgüter dokumentiert. Überrascht sei er gewesen über die Offenheit, die ihm an diesem Hochsicherheitsort und anderen augenscheinlich hermetischen Orten entgegengebracht wurde. D’Agostino erklärt, er habe eine Liste der wichtigsten Orte erstellt, die ihm mit Hilfe des CNA zugänglich gemacht wurden.

Auf die strikte Trennung von Fotografien und Erklärungen angesprochen, die sich auch in der sehr hochwertigen Publikation zweier ansprechend gestalteter Bücher – eines für Bilder, eines für Bildbeschreibungen – niedergeschlagen hat, erklärt D’Agostino, wie „vollkommen anders“ das Endresultat gegenüber seinem anfänglich rein dokumentarischen Ansatz geraten sei. Die außergewöhnliche Umsetzung der Ausstellung, die zusammen mit der CNA-Kuratorin Michèle Walerich konzipiert wurde, solle in dieser Distanz aus Text und Bild einen Interpretationsspielraum entstehen lassen, so D’Agostino.

Und tatsächlich ist es ohne Weiteres möglich, die ästhetisch überaus kohärente Serie nach rein visuellen Gesichtspunkten zu betrachten. Gerade auch die Abwesenheit anekdotischer Elemente, die nicht selten dokumentarische Werke einheimischer Künstler zu Nabelschauen geraten lassen, ist die Stärke dieser Außenperspektive D’Agostinos, der mit NEOs einen frischen und zeitgenössischen Blick auf das Land bietet.

Die Ausstellung NEOs von Ezio D’Agostino dauert noch bis zum 9. Juni im CNA in Düdelingen. Fotobuch NEOs, erschienen bei Skinnerboox, im CNA erhältlich (72 S., 35 Euro); cna.public.lu

Boris Loder
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