Griechenland, Flüchtlingsproblematik, russisch-ukrainischer Krieg, Krieg in Arabien und Nordafrika, weiter steigende Arbeitslosenzahlen in Frankreich, Aufstieg populistischer Parteien, Energieunion, Freihandelsabkommen, Digitale Agenda, Zukunft der Eurozone, EU-Referendum in Großbritannien: Es gibt viel zu tun in Europa, aber wer packt’s an?
In der Griechenlandkrise hat sich eine neue, eine informelle Troika installiert, die in den nächsten Jahren die EU auch über die griechische Krise hinaus bestimmen könnte. Angela Merkel, François Hollande und Jean-Claude Juncker scheinen den verlorenen Sohn (oder die verlorene Tochter?) Griechenland alleine retten zu wollen. Ob und wie andere Mitgliedstaaten hinter den Kulissen tätig werden, wird nicht ersichtlich. Die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident fremdelten lange. Dass sie jetzt so einträchtig zusammenarbeiten und nicht einmal den Anschein aufrechterhalten, dass die anderen EU-Staaten auch eine Rolle spielen, überrascht zunächst.
Die Zusammenarbeit ist der Not geschuldet. Merkel und Hollande haben zudem schon manche Schlacht gemeinsam geschlagen, man denke zum Beispiel an die Verhandlungen zu Minsk II. Not und gemeinsamer Kampf verbinden. Angesichts der äußeren Krisen muss die EU im Inneren einig sein, will sie handlungsfähig bleiben. Bei so Aufgaben scheinen sich Deutschland und Frankreich endlich aufgerafft zu haben.
Noch in diesem Monat soll der Europäische Rat über ein gemeinsames deutsch-französisches Papier diskutieren, dass die Eurozone stabilisieren soll, ohne die europäischen Verträge zu ändern. Es ist im Wesentlichen die Wiedervorlage einer gemeinsamen Position, die schon am 30. Mai 2013 veröffentlicht worden ist. Der Kern sind vier Bereiche, in denen die Eurozone ihre Integration verstärken soll. In der Wirtschaftspolitik wollen beide Länder zukünftig im europäischen Semester keine konkreten Maßnahmen von der EU-Kommission mehr vorgesetzt bekommen, die Kommission soll sich mit Zielbeschreibungen begnügen. Das wäre ein integrationspolitischer Rückschritt. Bei sieben Politikfeldern soll die wirtschaftliche Konvergenz gefördert werden: 1. Binnenmarkt, 2. Energieunion, 3. Digitale Agenda, 4. Energie- und Klimapolitik, 5. Bankenunion, 6. Kapitalmarktunion und 7. Konvergenz der Körperschaftssteuer. Gelingt das Gesamtpaket, wäre das ein klarer Integrationsfortschritt.
Am Wichtigsten erscheint das, was das Papier die Stärkung der „Governance“ der Eurozone nennt. Die Institutionalisierung soll voran gebracht werden. Dazu gehören regelmäßige Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone, Eurogruppenratstreffen über Finanzministertreffen hinaus sowie die Schaffung eines Eurozonenparlaments innerhalb des Europäischen Parlaments. Das zu beschließende Programm soll für alle Euroländer verpflichtend sein, Eurokandidaten dürfen mitdiskutieren.
Wie ernst es Deutschland und Frankreich meinen, zeigt diese lakonische Feststellung: „Deutschland und Frankreich werden ihrerseits die notwendigen Entscheidungen für die Erreichung der Ziele treffen, indem sie ihre Wirtschaftspolitik abstimmen und annähern und Kooperationen in den Bereichen Industrie und Dienstleistungen fördern.“ Lassen die Politiker ihren großspurigen Worten tatsächlich Taten folgen, kann kein Euroland abseits stehen. Der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron definierte vergangenen Samstag klare Ziele: „L’avant-garde de la zone euro doit, elle, aller vers plus de solidarité et d’intégration: un budget commun, une capacité d’endettement commune et une convergance fiscale.“
Interessant ist die Wortwahl ‚Avantgarde der Eurozone‘. Der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hatte zeitgleich in der Bild-Zeitung über die Notwendigkeit eines Europas der zwei oder mehr Geschwindigkeiten gesprochen. Es sieht ganz danach aus, als wollten die beiden Schwergewichte Deutschland und Frankreich der Eurozone und der EU wieder einmal den Kurs diktieren.
Wird das gelingen? An der Frage der Umverteilung von 40 000 Migranten aus Griechenland und Italien kann sich das zeigen. Die Fronten verlaufen quer zwischen großen und kleinen Mitgliedstaaten. Gemessen an den Wortmeldungen, ist das Vorhaben eine Totgeburt. Bleibt es aber eine einmalige Aktion und vermeidet die EU-Kommission das böse Wort Quote, dann kann es trotz viel Gezeters zu einem Kompromiss kommen. An Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Polen würde das Paket dann wahrscheinlich nicht scheitern. Juncker benötigt für „sein Baby“ im Rat eine qualifizierte Mehrheit, ein Vetorecht gibt es nicht.
Würden Deutschland und Frankreich tatsächlich in eine stärkere bilaterale Integration einsteigen, würde sich die innere Machtverteilung der EU für lange Zeit ändern. Das vereinigte Potenzial beider Länder wäre wohl stark genug, so etwas wie eine politische Hegemonie herzustellen. Gut gehen könnte das auf Dauer allerdings nur, wenn die anderen Eurostaaten überzeugt und nicht nur, wie es im Positionspapier heißt, verpflichtet werden.