„Wir werden keinen Zwang zur weiteren Liberalisierung oder Privatisierung akzeptieren. Wir werden keine Sozialstandards absenken und auch keine Umwelt- und Verbraucherschutzstandards.“ Das waren markige Worte des deutschen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel im März dieses Jahres gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit. Er nannte gleich auch Bedingungen für den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA und legte Standards fest: „Die Parlamente werden nicht ausgehebelt. Und wir werden, da bin ich absolut sicher, auch keine Privatisierung der Schiedsgerichtsbarkeit erleben.“ Und damit nicht genug an Selbstverpflichtung und an Versprechungen an die Genossinnen und Genossen in seiner Partei: „Was die SPD nicht will, wird auch nicht kommen.“
Dabei sind es gerade diese Schiedsgerichte, die Gabriel nun in ein Dilemma stürzen. Diese Gerichte sollen Unternehmen im politisch gewollten transatlantischen Freihandel Sicherheit gewährleisten. Sie führen die Tradition der bilateralen Investitionsschutzabkommen fort, die es etwa deutschen Unternehmen erlauben gegen Staaten zu klagen, wenn diese durch eine Gesetzesänderung das Geschäftsmodell des Unternehmens aushebeln, nachdem ein Unternehmen Geld in dem betroffenen Staat investiert hat. Was in beiden Richtungen funktioniert. Auch Deutschland kann verklagt werden: Ein bekanntes Beispiel ist die Klage des staatlichen schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen die Bundesregierung im Zuge des Atomausstiegs. Die Schweden verlangen Schadensersatz von der Bundesregierung wegen der Stilllegung der Atomkraftwerke.
Im Rahmen der laufenden Verhandlungen um die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) zwischen der EU und den USA sowie dem bereits ausgehandelten „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (Ceta) zwischen der EU und Kanada soll eine Schiedsgerichtsbarkeit etabliert werden, die diese Gerichtsbarkeit fortführen möchte. Doch nicht nur Direktinvestitionen eines Unternehmens im jeweils anderen Land werden – so ist es der Plan – geschützt, sondern die gesamte Palette von Finanzdienstleistungen, was eine deutliche Erweiterung der Zuständigkeit ist. Fürsprecher solcher Gerichte sehen darin ein bewährtes Instrument, um Investitionsrisiken im Ausland zu minimieren und diese somit überhaupt zu ermöglichen. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen benötigten diesen Schutz gegenüber übermächtigen Staaten, argumentieren Vertreter von CDU und CSU. Gegner der Schiedsgerichte sehen in diesen eine Gefahr für die Demokratie, bemängeln fehlende Transparenz und eine zweifelhafte Legitimation der Gerichte. Österreichs sozialdemokratischer Bundeskanzler Werner Faymann spricht sogar von Schattengerichten. In Deutschland sind es vor allen Dingen die Linke und Grünen, die diese Sonderjustiz ablehnen, aber auch in der SPD stößt sie auf Widerstand: Auf einem Parteikonvent im September letzten Jahres sprach sich die Partei eindeutig gegen diese Schiedsgerichte aus und brachte so den Wirtschaftsminister und Parteichef in die Bredouille.
Es lässt sich in der Tat wenig über die Zusammensetzung, die Legitimation und die Haftung der Schiedsgerichte recherchieren. Nur eines lässt sich aus ihrer Festschreibung im Ceta-Abkommen feststellen: Die Schiedsgerichte verstoßen gegen geltendes EU- und so manches nationales Recht. So beschränkt beispielsweise der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Zulässigkeit von Gerichten, die außerhalb der europäischen Gerichtshierarchie stehen. Sie dürfen nur dann eingesetzt werden, wenn sie verpflichtet sind, strittige Fragen dem EuGH als höhere Instanz vorzulegen. Oder anders ausgedrückt: Solche Gerichte müssen den Luxemburger Richtern untergeordnet bleiben. Sollten die Schiedsgerichte wie geplant realisiert werden, setzt dies eine Änderung der EU-Verträge voraus.
Darüber hinaus lässt sich im Vertragsentwurf zu TTIP kaum nachvollziehen, wie sich diese Gerichte zusammensetzen und wie genau sie wirken werden, etwa ob nun jede Verfahrenspartei eigene Richter entsenden darf oder ob diese gemeinsam ausgewählt werden müssen, oder ob es eine Revisionsinstanz gibt. Momentan wird seitens der Europäer an einem Konsens gearbeitet, der Washington alsbald vorgelegt werden soll. Politiker sehen in der TTIP-Gerichtsbarkeit eine Beschneidung ihres Wirkungsbereichs, indem diese Schiedsgerichte angerufen werden, um demokratische legitimierte Entscheidungen und Gesetze anzufechten oder aufheben zu lassen.
Gabriel laviert derweil. Von dem Beschluss des Parteikonvents möchte der SPD-Vorsitzende nichts mehr wissen. Erst nachdem die Grünen im Bundestag wiederholt nachfragten, ob es gelungen sei, die Schiedsgerichte aus dem Ceta-Abkommen – das als Blaupause für TTIP gilt – streichen zu lassen, antwortete Gabriel: „Ihre Frage war, ob wir das komplett herausbekommen. Meine Antwort ist Nein.“ Und das werde er auch seiner Partei sagen, die in Teilen eine andere Auffassung habe, so Gabriel weiter.