Das Gericht sucht „nicht etwa die Schuld in der Bevölkerung, sondern wird, wie es im Gesetz heißt, von der Schuld angezogen“. Mit diesen Erläuterungen wird K., Hauptfigur aus Franz Kafkas Roman Der Prozess, die Daseinsberechtigung der Justiz offenbart. Sie wird die einzige sinnreiche Aufklärung bleiben, die man dem grundlos verhafteten Bankangestellten am Tage seines 30. Geburtstags zugesteht. Die restliche Dramaturgie fokussiert weitestgehend Entscheidung, Handeln und psychische Wandlung als Replik auf den skurrilen Umstand, amtlich in Gefangenschaft zu sein, selbst wenn ihm physisch jede Freiheit gewährt wird. Im Bestreben, die Motivation seiner Richter zu ergründen, wird K. sich selbst zum Richter, zum Henker. Je mehr er sich wehrt, umso tiefer stürzt er, ähnlich einem Versinkenden im Treibsand.
Thalia-Schauspieler Philipp Hochmair mimt K. in dieser zum „Lichtbildvortrag“ umgestalteten Auslegung von Kafkas Prozess. In Zusammenarbeit mit Andrea Gerk entwirft der 40-jährige, in Wien geborene Hochmair eine einstündige One-Man-Show, in der sein K. vom leicht hochnäsigen Bürger zum in Scham errötenden Schuldbeladenen verkommt. Hochmairs Kulisse beschränkt sich auf einen Holztisch, eine metallene Bürolampe, einen Diaprojektor, einen Tisch.
Die ausgewählten Textpassagen dokumentieren schleichend, wie sich K. sprachlich in seine universelle Schuld verstrickt und mit seinem unnachgiebigen Wunsch nach rechtsordentlicher Aufklärung zum Regisseur seines eigenen Prozesses wird. Die Kommentare der Justizbeamten spricht er selbst in ein verzerrtes Mikrofon, Zeichen seiner inneren Spaltung.
Hochmairs Interpretation distanziert sich anfangs nur in subtiler, ironischer Diktion von der sachlich technokratischen Sprache des Versicherungsbeamten Franz Kafka. Dem Ende hin passt er seine Körpersprache jedoch stärker jenem paranoid wirkenden Gehetzten an und lässt vergessen, wie sehr der Autor selbst doch bis zum Ende an der Sachlichkeit seiner Sprache und der damit einhergehenden Groteske zwischen Form und Inhalt festhält.
Die projizierten Fotografien zeigen Wohnungen, bürgerliche Geselligkeit, im Schnee umherspringende Hirsche, Verhandlungsräume. Mit diesen Illustrationen dokumentiert Hochmair K.’s Kontrollverlust vom bürgerlich etablierten Arbeitnehmer zum gehetzten Tier. Dass der Verhandlungsraum trotz mehrfachen Wegklickens einfach nicht verschwinden will, unterstreicht die Omnipräsenz und Intransparenz des Gesetzes, des Justizapparats, des Behördendschungels – ein Leitfaden der Wahrnehmung, dem Kafka mit dem Begriff kafkaesk seinen Stempel aufdrückte.
Akustisch wird in teils nervenaufreibender Unnachgiebigkeit der Ton einer nicht näher deutbaren, dröhnenden Maschine eingespielt, jedes Mal dann, wenn K. dazu ansetzt, seine Lage zu erläutern und den Justizirrtum zu betonen. Stellenweise erinnert dieses Tongebilde an eine Art Heavy-Metal-Gewitter, ganz so, als erlaubte Hochmair einen Vergleich mit der willkürlichen Folter durch CIA-Schergen an ihren Gefangenen.
Im Gegensatz zu seiner kürzlich im Kapuziner-Theater vorgestellten Interpretation von Goethes Die Leiden des jungen Werther, die er für manchen Zuschauer wohl zu frei und zu klamaukhaft vornahm, bleibt Hochmair hier sehr viel näher am Text. Konzept, Dramaturgie und Mimik wirken unterstützend, verleihen Kafkas Schrift Profil und Lebendigkeit, anstatt diese zu überladen und zu verfremden. Mag die Produktion dadurch erst im letzten Drittel an Fahrt gewinnen, so bleibt hier Kafka Kafka.