Freilich, der Kriminalfilm hat wohl von allen Genres das düsterste Menschen- und Gesellschaftsbild. Die Fernsehserie Capitani, die Ende 2019 auf RTL zu sehen war, legt als erste luxemburgische Krimiserie davon Zeugnis ab. Christophe Wagner, der für die Produktionsgesellschaft Samsa Film bereits den Polizeifilm Doudege Wénkel (2012) und das Nachkriegsdrama Eng Nei Zäit (2016) realisiert hat, übernahm auch hier die Regie. Die Idee für das Serienprojekt geht aber auf Thierry Faber zurück, der schon an der Entwicklung von Fernsehformaten wie Weemseesdet und Comeback mitwirkte. In Capitani schickt er den titelgebenden Kommissar (Luc Schiltz) in den Norden Luxemburgs, in das fiktive Dorf Manscheid. Als er dort vom Mord an der fünfzehnjährigen Jenny Engel (Jill Devresse) erfährt, will er alles daran setzen, den Fall zu lösen.
David Lynchs Fernsehserie Twin Peaks (1990-1991) muss für diese Krimigeschichte wohl Pate gestanden haben, so sehr ähneln sich beide Serien in ihrer Themenwelt, ihrem Figurenensemble und Handlungsorten. Der Fund eines toten Mädchens in einem entlegenen Dorf, die Implikation von Militär, Drogennetzwerken und eines Freudenhauses verweisen auf diese Kultserie des postmodernen Erzählens. Vor allem aber liegt der Bezug zu Lynch nahe, da er wie kaum ein anderer die brüchige Fassade des kleinbürgerlichen Lebens eingerissen hat.
Da wo Samsa Film mit Superjhemp retörns (2018) noch nach konservativer Werteordnung in „Luxusbuërg“ sucht und bei allem Sarkasmus für positive Leitbilder wirbt, will Capitani nur noch die Leere dieser Vorstellungswelten aufdecken. In diesem Manscheid, das vielen ironischen Klischees des Öslings entspricht, die in den Köpfen von Luxemburgern aus dem Gutland verankert sind, scheint es niemanden zu stören, dass man sich gegenseitig auszuspionieren und auszumerzen versucht, solange die Fassade gewahrt bleibt.
Die Kommunikationsprobleme zwischen den Generationen in der bürgerlichen Familie und der zunehmende Ausbruch der Gewalt ist eines der zentralen Motive in Capitani: Wenn etwa der Dorftrottel Usch Trierweiler (Luc Feit) zu Beginn meint, der Spiegel sei kaputt, dann will Serienschöpfer Thierry Faber wohl ins Herz der luxemburgischen Gutbürgerlichkeit treffen. Denn es dürfte kaum verwundern, dass so mancher Dorfbewohner die Sache eher vertuschen als verfolgen will. Ja, sogar die Grenze der eigenen Person wird überschritten und führt so wahrlich zu einem folgenschweren Identitätswirbel.
Kaum eine moralische Ankerfigur gibt es mehr in dieser Welt, nicht einmal der Kommissar ist mehr einzig und allein dem Gesetz verpflichtet, sondern auch sich selbst. Damit ist die Verunsicherung innerhalb der ohnehin schon verschlagenen Dorfgemeinschaft gleich gedoppelt: Der Ordnungshüter ist sich plötzlich selbst zum Problem geworden. Das ist freilich das filmisch stark überzeichnete Bild einer luxemburgischen Polizeibehörde und Dorfgesellschaft, die im Sinne der Fernsehunterhaltung,mehr Spannungsdramaturgie verfolgt, als dokumentarischen Impulsen verpflichtet ist. Insofern ist diese Gesellschaftskritik wiederum durchaus eine filmisch konstruierte, die mehr auf filmischen Mustern als auf luxemburgischen Alltagsbegebenheiten gründet. Nicht, dass das alles als Idee für einen Krimi überaus originell oder sonderlich neu wäre, so macht Capitani doch die Atmosphäre von Misstrauen dank vieler verzweigter Erzählstränge deutlich. Gemeindepolitik, Kirche, Schule, Militär präsentieren sich als zwielichtige Instanzen und so kommt der Ermittler einem Geflecht von Korruption, Erpressung und in letzter Konsequenz, Mord auf die Spur.
Von nun an greifen allerlei Verdächtigungen und unterdrückte Aggressionen in der Dorfgemeinschaft um sich, die auch die Suche nach dem Täter bestimmt. Man möchte fast an Thomas Hobbes und an den Wolf im Menschen denken – vielleicht erinnert Jill Devresse deshalb in dieser Waldlandschaft und mit ihrer roten Jacke irgendwie an das Rotkäppchen. Noch bevor aber ein Mörder gefasst wird, hat die Gesellschaft ihren eigenen Abgründe bereits aufgetan.
Vor allem ist in Capitani jedoch die Familie bedroht. Ob nun für die idealistische Polizistin oder die Engels mitsamt ihrer überaus katholischen Mutter, für alle erweist sich die Familie als die letzte große Täuschung, die kein Zufluchtsort mehr sein kann. Es entsteht innerhalb der Familie die bedrückende Stimmung der gegenseitigen Anschuldigungen und des Argwohns und macht so den Kontrast von äußerlicher idyllischer Schönheit und dem inneren emotionalen Grauen – hierin ist die Nähe zu Lynch offensichtlich – überaus deutlich.
Und da liegt auch die besondere Spannung: Dass es irgendwo einen Mörder geben muss, ist beinahe nur noch ein äußerer Aufhänger für die Erkenntnis eines Zustandes der völligen Entfremdung und der Unfähigkeit der Menschen, zueinander zu finden. Auch der Versuch eines Rückzugs auf konservative Werte muss scheitern an den eigenen, inneren Widersprüchen. Es mag bereits durchscheinen: Viel will Thierry Faber erzählen, doch eine stimmige Erzählzeit scheint ihm mit diesem zwölfteiligen Format nicht gänzlich zur Verfügung zu stehen. Und dabei ist gerade die spürbare Zusammensetzung aus fertigen Bausteinen jeglicher Krimimotive und -wendungen in Capitani – Thierry Faber arbeitet besonders in der Filmmontage – trotz oder gerade wegen der Serienlaufzeit von fünf Stunden und zwölf Minuten mitunter repetitiv.
Capitani löst die Geschehnisse zwar nach den Gesetzmäßigkeiten des Genres auf, eine etwas unentschlossene zwischen dem Kriminalistischen und dem Sozialkritischen schwankende Mischung ist doch fühlbar, die einige der Erzählstränge und Charaktere schlicht vergisst. Die Verunsicherung aber, die der Kommissar sowohl offengelegt, wie auch selbst angerichtet hat, bleibt am Ende bestehen. Und so ist die Frage auch nicht „Wer ist der Mörder?“, sondern eher: „Sind wir noch zu retten?“.