Gemeinde- und Kammerwahlen seien sehr wohl „zwei Paar Schuhe“. Aber die CSV „will nächstes Jahr mehr Schöffenräte, mehr Gemeinderäte aufweisen“ als heute. Denn es sei auch eine wichtige Botschaft, nach den Gemeindewahlen „gestärkt in die Kammerwahlen zu gehen“, hatte CSV-Präsident Marc Spautz Ende März auf dem Parteitag in der Ettelbrücker Deichhalle erklärt. Sein Vorgänger Michel Wolter hatte im September 2011, zu den vorigen Gemeindewahlen, noch betont, dass, anders als im Ausland, Gemeindewahlen hierzulade keine nationalen Testwahlen seien: Die Wähler pflegten nicht, Parteien lokal für ihre nationale Politik abzustrafen, wie es Marc Spautz diesmal erhofft.
Dass Gemeindewahlen rein lokale Ereignisse und gleichzeitig nationale Testwahlen sein sollen, ist alle sechs Jahre zu hören und hängt auch davon ab, ob eine Partei gerade zur Regierung oder zur Opposition zählt. Diesmal fällt den Gemeindewahlen aber eine größere Bedeutung zu, weil die bevorstehenden Kammerwahlen von besonderer Bedeutung sind: Nach dem Schiffbruch der Regierung 2013 geht es für die CSV nächstes Jahr um die Rückeroberung der Macht. Ein Erfolg bei den Gemeindewahlen könnte eine Etappe auf diesem Weg sein, so wie das Referendum von 2015. Für die CSV, die bei den vorigen Gemeindewahlen schlecht abschnitt und in kaum einer der großen Städte des Landes eine wichtige Rolle spielt, kommt es darauf an, ihre Stärke zu beweisen, um bei der nächsten Regierungsbildung unumgänglich zu erscheinen – anders als 2013.
Die Regierungsparteien hüten sich dagegen, einen Zusammenhang zwischen Gemeinde- und Parlamentswahlen herzustellen. Ihre kommunalen Kandidaten wollen die Wähler nicht auf die Idee bringen, ihnen am 8. Oktober einen Denkzettel für die Regierungspolitik zu verpassen.
Das politische Gewicht der Parteien lässt sich auch an der Zahl ihrer Bürgermeister in den Proporzgemeinden messen. Die CSV zählt 19, die LSAP 18 Bürgermeister in Gemeinden mit über 3 000 Einwohnern. Die DP kommt auf sieben, die Grünen kommen auf drei. Die Zahlen weichen manchmal voneinander ab, da einige Bürgermeister zwar Parteimitglieder sind, aber in ihren Gemeinden nicht auf Parteilisten kandidieren, weil sie offene Listen bevorzugen oder in einer Übergangsphase nach einer Fusion das Majorzysystem noch angewandt wird. Die LSAP ist in 28 Schöffenräten vertreten, die CSV regiert 27 Mal. Während die DP mehr Bürgermeister als die Grünen zählt, sind die Grünen an 14 Koalitionen beteiligt, die DP ist es an 12.
Doch die Parteien spielen unterschiedliche Rollen bei den Gemeindewahlen und haben entsprechend unterschiedlichen Erfolg. Wobei diese deutlichen Unterschiede zeigen, wie es über lokale und personelle Eigenarten hinaus sehr wohl landesweite Einflüsse bei den Gemeindewahlen gibt: Die LSAP und die Grünen erzielen bei Gemeindewahlen deutlich bessere Ergebnisse als bei den Kammerwahlen, die CSV bekommt dagegen bei Kammerwahlen mehr Stimmen als bei Gemeindewahlen.
Die Sozialisten träumten jahrzehntelang davon, „auf Augenhöhe“ mit der CSV zu stehen, die andere, gleichstarke „linke Volkspartei“ im Land zu sein. Nachdem sie einen Augenblick lang ihrem Ziel näher gekommen waren, nimmt der Abstand zur CSV auf nationaler Ebene inzwischen wieder zu. Seither wollen sie wenigstens ein kommunalpolitisches Gegengewicht zur bisher national dominierenden CSV bilden. Tatsächlich ist die LSAP in den Gemeinden die stärkste Partei, sie habe „2005 und 2011 historische Resultate erzielt“, wie sich Generalsekretär Yves Cruchten auf dem Parteitag Ende März in Moutfort erinnerte.
Die Sozialisten kandidieren, wie die CSV, in sämtlichen Proporzgemeinden, auch wenn sie in Kopstal und Lorentzweiler, seit diese von Majorz- zu Proporzgemeinden wurden, als für parteilose Kandidaten offene Listen unter den Namen Är Equipe beziehungsweise Är Leit antreten. Sie sind die einzige Partei, die in sechs Gemeinden mit absoluter Mehrheit regiert, in Düdelingen, Rümelingen, Monnerich, Wiltz, Diekirch und Lorentzweiler, die CSV nur in Hobscheid, die anderen Parteien in keiner.
Bei den Gemeindewahlen 2011 erzielte die LSAP mit Ausnahme von Frisingen, Grevenmacher, Hesperingen und Mersch in allen Gemeinden mehr Stimmen als bei den Landeswahlen 2013. Die LSAP erhielt in den Proporzgemeinden durchschnittlich 11,2 Prozentpunkte mehr Stimmen als bei den Kammerwahlen 2013. Bei keiner anderen Partei ist der Unterschied zwischen nationalem und kommunalem Erfolg so groß. Die Partei erklärt sich diesen Unterschied damit, dass ihre Politiker populärer sind als ihr Programm, dass die Wähler sozialistische Notabeln in der Gemeinde als jovial und fleißig empfinden, der nationalen Politik der Partei aber weniger vertrauen. Der große Loyalitätsunterschied zeigt, wie schwer es für die Wähler geworden ist, sich mit dem diffusen Programm der Partei zu identifizieren.
Die andere typische Kommunalpartei sind die Grünen. Die ehemalige kleine Kaderpartei ist inzwischen fast gleichstark wie die DP, der sie den Rang als drittstärkste Partei im Land streitig macht. Die Grünen kandierten 2011 in 33 Gemeinden gegenüber 38 für die DP. Überall, wo sie 2011 bei den Gemeindewahlen kandidierten, erhielten sie – mit Ausnahme von Monnerich – mehr Stimmen als bei den Kammerwahlen zwei Jahre später. Im Durchschnitt machte der Unterschied stattliche 7,2 Prozentpunkte aus.
Der kommunalpolitische Erfolg der Grünen hat sicher damit zu tun, dass große Teile ihres Programms lokalpolitische Fragen angehen, wie Straßenverkehr, Abfallbeseitigung oder Kinderbetreuung. Dass die Grünen eine nationale Kommunalpartei sind, drückt schon ihre alte Losung vom „global Denken, lokal Handeln“ aus.
Die CSV stellt das Gegenteil von LSAP und Grünen dar: Sie schnitt 2011 in den Proporzgemeinden 4,0 Prozentpunkten schlechter ab als bei den Kammerwahlen 2013 – und dabei erlitt sie 2013 eine Wahlniederlage, sonst wäre der Unterschied wohl noch größer. Nur in Hobscheid, Mamer, Sandweiler, Steinfort und Wintger erzielte sie nennenswert bessere Ergebnisse bei den Kommunal- als bei den Nationalwahlen.
Die CSV pflegt ihr enttäuschendes Ergebnis bei Gemeindewahlen damit zu erklären, dass sie als ständige Regierungspartei ihre bekanntesten Kandidaten für nationale Aufgaben abkommandieren musste. Deshalb seien sie, anders als beispielsweise LSAP- und DP-Politiker, nicht in der Lage, in der Gemeindepolitik populär zu werden. Von dieser Einschränkung ist die CSV als parlamentarische Oppositionspartei diesmal befreit, und Parteipräsident Marc Spautz hatte schon vor einem Jahr an alle Parteigrößen appelliert, sich für eine Kandidatur in ihrer Gemeinde nicht zu schade zu sein. Doch längst nicht alle waren seiner Aufforderung nachgekommen.
Bei den anderen Parteien ist der Unterschied zwischen Gemeinde- und Kammerwahlen geringer. Die DP, die in verschiedenen Gemeinden noch als dezent klientelistische Notabelnpartei fungiert, erzielte im Durchschnitt 2,2 Prozentpunkte bessere Ergebnisse bei den Kommunalwahlen – ohne den etwas außergewöhnlichen Wahlsieg nach der Regierungskrise 2013 wäre der Unterschied wohl größer. Zudem ist der Unterschied in einigen wenigen Gemeinden, wie in Bartringen, Differdingen, Grevenmacher und Mersch, besonders groß.
KPL und déi Lénk kandidieren nur in dem halben Dutzend größeren Gemeinden, wo ihre loyale Wahlklientel wohnt. Dadurch ist der Unterschied zwischen ihren lokalen und nationalen Wahlergebnissen gering. Die ADR konnte sich nie kommunalpolitisch etablieren. Als historische Einpunkt- und Protestpartei schnitt sie 2011 bei den Kommunalwahlen schlechter ab als 2013 bei den Parlamentswahlen. 1999 hatte die ADR noch in 18 Gemeinden kandidiert, 2005 nur noch in 13 und 2011 in zehn, während die Zahl der Proporzgemeinden bei jedem Wahlgang zugenommen hat. Für den 8. Oktober hat die ADR bisher lediglich eine Liste vorgelegt, in Sassenheim. Aber die Partei hat noch Zeit bis kommenden Freitag um 18 Uhr.