Die am 6. Dezember vergangenen Jahres vom Parlament verabschiedete Reform der Gemeindefinanzen schreibt vor, das von den 1,6 Milliarden Euro, die der Staat dieses Jahr über den Fonds de dotation globale des communes an die Gemeinden verteilt, ein Zehntel oder 159 Millionen Euro nach sozioökonomischen Kriterien gewichtet werden. Dieses Kriterium soll dafür sorgen, dass Gemeinden mit sozialen Problemen etwas mehr Geld bekommen.
Um diese Verteilung politisch unanfechtbar zu machen, wollte Innenminister Dan Kersch sie verwissenschaftlichen, das heißt, er ließ einen sozioökonomischen Index als Verteilungsschlüssel ausarbeiten. Zuerst sollte das Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) mit dieser Aufgabe betreut werden, da es bereits 2013 als Ceps einen Bericht La cohésion territoriale au Luxembourg: quels enjeux ? mit Daten aus dem Jahr 2008 veröffentlicht hatte. Doch dann wandte man sich lieber an das Statec, das über solideres Datenmaterial verfüge, so der Innenminister am Dienstag gegenüber der Presse.
Also erstellte das Statec einen Index, der sich von den modischen Wohlfühlindizes unterscheidet: Seine Grundlage sind der Medianlohn und die Arbeitslosenrate nach Angaben der Generalinspektion der sozialen Sicherheit, der Anteil der RMG-Bezieher nach Angaben des Service national d’action sociale (Sns), sowie der Anteil der Alleinerziehenden und der in niederen Isco-Berufen Beschäftigten nach der Volkszählung von 2011. Der Medianlohn teilt die Einwohner in zwei gleichgroße Gruppen: Es ist der Lohn, den eine Hälfte der Gemeindeeinwohner höchstens und die andere mindestens verdient. Der mittlere Lohn gibt aber kein Bild der Einkommensverhältnisse, weil er Vermögen und Einkommen aus Vermögen ignoriert. Die Alleinerziehenden werden als besonders armutsgefährdet angesehen. Das Garantierte Mindesteinkommen, der Revenu minimum garanti (RMG), ist ein Einkommenszusatz oder ein Ersatzeinkommen für Arme. Die niederen Isco-Berufe stellen in der International Standard Classification of Occupations (Isco/CITP) die beiden Kategorien der gering qualifizierten Arbeiter dar, die montieren, Maschinen und Fahrzeuge bedienen oder Hilfsarbeiten erledigen.
Der Index besteht schließlich aus dem Durchschnitt der fünf standardisierten Variablen je Gemeinde. Ursprünglich sollten zwei weitere Werte berücksichtigt werden, der Anteil der Gemeindeeinwohner unter drei Jahren und über 65 Jahren. Weil demografische Kriterien aber schon zu 82 Prozent den Ausschlag für die Verteilung der Mittel aus dem Fonds de dotation globale des communes geben, wurde darauf verzichtet. Das Ceps hatte 2013 ähnliche Merkmale für seinen Index ausgewählt, aber statt des Medianeinkommens den Anteil der Gemeindeeinwohner am obersten und untersten Viertel der nationalen Lohnhierarchie zurückbehalten. Das Statec seinerseits hatte bereits für seinen Rapport Travail et cohésion sociale im Oktober vergangenen Jahres einen ähnlichen Index errechnet, der auch die höheren Isco-Berufe und die Wohnfläche pro Person berücksichtigte.
Durch die Berücksichtigung des Index erhalten dieses Jahr Gemeinden wie Wiltz 661 683,22 Euro, Esch-Alzette 883 404,07 Euro, Differdingen 2 072 952,93, Ettelbrück 860 132,22 Euro und Echternach 447 840,57 mehr aus dem Fonds de dotation globale des communes. Doch kommunale Sozialpolitik kann kaum etwas an den niedrigen Einkommen der gering qualifizierten Arbeiter, an der Arbeitslosigkeit und der Armut ändern, die nun einmal den sozioökonomischen Index bestimmen. Deshalb mag der Echternacher CSV-Bürgermeister Yves Wengler nicht so undankbar sein, wie der Innenminister behauptet, wenn er die mit dem sozioökonomischen Index verteilten Mittel „einen Tropfen auf den heißen Stein“ nennt. rh.
Vielleicht ist es kein Zufall, vielleicht kommt das davon, wenn durch eine Verstrickung unvorhersehbarer Umstände ein Mann vom linken Flügel der LSAP Innenminister wird: Drei Monate vor den Gemeindewahlen veröffentlichten das Statec und das Innenministerium einen sozioökonomischen Index zur Gewichtung der staatlichen Transfers an die Gemeinden. Die nüchterne Tabelle könnte dazu beitragen, dass der Gemeindewahlkampf nicht bloß von Fahrradwegen und sauberen Dorfkernen handeln wird.
Denn aus dem Index geht hervor, wie die gesellschaftlichen Unterschiede im Land sich überdeutlich auf Gemeindeebene widerspiegeln, wie Reichtum und Armut lokal konzentriert sind: In den reichsten Gemeinden verdienen die Leute doppelt so viel wie in den ärmsten Gemeinden. Der Anteil der Arbeitslosen ist in den ärmsten Gemeinden sieben Mal, der Anteil der RMG-Bezieher 17 Mal höher als in den reichsten Gemeinden. Die Reichen wohnen und wählen vor allem in den Schlafgemeinden rund um die Hauptstadt, die Armen in den Arbeiterstädten des Südens und in den Landstädtchen des Öslings. Wobei in den zehn Prozent reichsten Gemeinden acht Prozent der Landesbevölkerung leben, in den zehn Prozent ärmsten Gemeinden aber 20 Prozent der Bevölkerung.
„Ces phénomènes semblent même s’accentuer depuis quelques années, et plus particulièrement depuis la crise de 2008“, meint das Statec in seiner Schrift Indice socio-économique par commune (S. 4). „Une spirale défavorable est à l’œuvre en matière de développement spatial, qui tend à accentuer les processus ségrégatifs.“
Der Index zeigt deutlich, dass die Reicheren in den Gemeinden rund um die Hauptstadt mit ihrem Finanz-, Verwaltungs- und Europazentrum wohnen, bis nach Garnich im Westen und einem Teil des Kantons Grevenmacher im Osten. Wobei die hohen Grundstücks- und Mietpreise in diesen Gemeinden die soziale Ausgrenzung verstärken. Die Ärmeren wohnen dagegen in den Arbeiterstädten des Südens, in Wiltz, Ettelbrück sowie entlang der deutschen Grenze zwischen Echternach und Vianden. Auch außerhalb des Minettegebiets leben sie oft in industrialisierten oder deindustrialisierten Landstädtchen.
Der sozioökonomische Index ist vor allem von der Verbreitung der wenig qualifizierten Arbeiter bestimmt. Weiler zum Turm, wo die wenigsten von ihnen leben, ist nicht zufällig Spitzenreiter des Index. Und die gering qualifizierten Arbeiter sind auch jene, die den niedrigsten Lohn beziehen, am meisten von Arbeitslosigkeit bedroht oder als Working poor RMG-berechtigt sind. Damit beeinflusst ihre Verbreitung direkt die Verbreitung anderer Variablen des Index. So taucht im sozioökonomischen Index der Gemeinden plötzlich die Arbeiterklasse wieder auf, die vor einem Jahrzehnt mit der Einführung des arbeitsrechtlichen Einheitsstatuts offiziell abgeschafft worden war.
Die meisten gering qualifizierten Arbeiter wohnen in den Arbeiterstädten des Südens sowie in den Gemeinden an der Grenze zwischen Ösling und Gutland, aber auch in industrialisierten oder deindustrialisierten Landstädtchen wie Wiltz, Echternach und Fels. Die wenigsten leben in den Schlafgemeinden rund um die Hauptstadt. Ihr Anteil reicht von 6,4 Prozent in Weiler zum Turm bis 31,6 Prozent in Vianden, bei einem nationalen Durchschnitt von 17,2 Prozent.
In direktem Zusammenhang mit der Verbreitung der wenig qualifizierten Arbeiter steht der mittlere Lohn. „Pour un petit territoire de 2 586 km2, le Luxembourg offre de fortes différences régionales en termes de salaire médian“, findet das Statec (S. 24). Er reicht von 2 592 Euro in Reisdorf bis beinahe zum Doppelten, 4 821 Euro in Niederanven. Wobei die höchsten Löhne in den Gemeinden rund um die Hauptstadt bezogen werden, die niedrigsten in den Arbeiterstädten des Südens, am Unterlauf der weißen Ernz, in Wiltz und an der Nordspitze des Landes.
Zwischen Bech mit 2,6 Prozent und Esch-Alzette mit 13,2 Prozent variiert die Arbeitslosenrate um das Fünffache. Am meisten Leute ohne Arbeit wohnen in den Arbeiterstädten des Südens sowie im Ösling. „[L]’axe entre les villes d’Echternach et de Wiltz, en passant par la Nordstad, se distingue par des résultats très élevés“ (S. 22).
Die Unterschiede zwischen dem Anteil der RMG-Bezieher sind von Gemeinde zu Gemeinde erheblich. Der Anteil reicht von 0,5 Prozent in Heffingen bis zum Siebzehnfachen, 8,5 Prozent in Wiltz bei einem landesweiten Durchschnitt von 3,6 Prozent. Die meisten Arme leben in Arbeiterstädten des Südens, im Ösling, aber auch in Echternach und Remich, die wenigsten in den Schlafgemeinden rund um die Hauptstadt.
Der Anteil der Alleinerziehenden reicht von 4,1 Prozent in Saeul bis 10,5 Prozent in Heffingen, bei einem nationalen Durchschnitt von 8,0 Prozent. Wobei die Gemeinden mit dem höchsten Anteil bemerkenswerterweise auf eine Achse beinahe an der Grenze zwischen Ösling und Gutland liegen. Viele Alleinerziehende leben aber auch in den Arbeiterstädten des Südens, im Ösling, am unteren Teil der Mosel.
In seinem Rapport Travail et cohésion sociale hatte das Statec bereits im Oktober vergangenen Jahres anhand der Volkszählungen seit 1981 einen ähnlichen sozioökonomischen Index aufgestellt und festgestellt, dass „les difficultés sociales sont plus accentuées de nos jours qu’il y a une trentaine d’années“, der Unterschied zwischen den reichsten und den ärmsten Gemeinden habe deutlich zugenommen (S. 179). Das stellt auch eine ernüchternde Bilanz von 30 Jahren Struktur- oder Nichtstrukturpolitk dar.
In 33 Gemeinden, vor allem im Ösling und an der Mosel, hätten die sozialen Probleme deutlich zugenommen, am meisten in Colmar-Berg, Remich und Kiischpelt, wo sich alle Werte, vom Arbeitsmarkt über die Wohnfläche bis zum Anteil der Alleinerziehenden, verschlechtert hätten. In 28 Gemeinden außerhalb der Arbeiterstädte des Südens hätten sich die sozialen Probleme verringert, am meisten in Bövingen an der Attert, Lenningen und Hobscheid, dort habe der Anteil der gering qualifizierten Arbeiter abgenommen.
Das Innenministerium und das Statec hüten sich, drei Monate vor den Kommunalwahlen eine Wechselbeziehung zwischen den gesellschaftlichen Unterschieden in den Gemeinden und den Wahlergebnissen von 2011 der einzelnen Parteien herzustellen. Tut man das, stellt man keine relevante Korrelation fest zwischen dem sozioökonomischen Index und dem Wahlergebnis der CSV oder der Grünen. Die CSV scheint landesweit ihre Rolle als alle gesellschaftlichen Widersprüche verkleisternde Volkspartei zu erfüllen, die Grünen scheinen überall ihre „postmaterialistische“ Wahlklientel gefunden zu haben.
Eine schwache Korrelation besteht dagegen zwischen der LSAP und dem sozioökonomischen Index (R=0,24). Die LSAP schneidet leicht besser ab in ärmeren Gemeinden, was wohl mit der historischen Verbindung der Sozialisten mit den Arbeiterstädten von Rümelingen bis Wiltz zu tun hat. Umgekehrt verhält es sich mit der DP als traditionelle Partei der Selbstständigen und besser gestellten Mittelschichten: Sie bekommt leicht weniger Stimmen, wo die Leute weniger verdienen (R=-0,26). Der ADR gelang es nicht, sich als Partei der „Modernisierungsverlierer“ zu profilieren, denn sie bekam, wie die DP, dort weniger Stimmen, wo es den Leuten schlechter ging (R=-0,28). Allerdings hat die ADR kaum kommunalpolitische Wurzeln, so dass die Verbreitung ihrer zehn Kandidatenlisten etwas aleatorisch war.
Als eindeutigste Klassenpartei erscheint dagegen die KPL, die in einem halben Dutzend Arbeiterstädten des Südens und in der Hauptstadt kandidierte. Sie bekam dort am meisten Stimmen, wo die meisten gering qualifizierten Arbeiter wohnten, das Medianeinkommen am niedrigsten war, die meisten Leute mit niedriger Schulbildung und die meisten Arbeitslose lebten (R=0,70). Ähnlich verhält es sich mit der teilweise von den Kommunisten abgespaltenen Déi Lénk. Ihre Wahlergebnisse haben ebenfalls einen starken Zusammenhang mit dem Sozialindex (R=54).