Ganz gleich, wie das Referendum ausgehen wird, eines scheint sicher: Am Abend des 7. Juni will niemand Konsequenzen daraus ziehen, wenn er von den Wählern desavouiert wurde. Die Regierung und die Mehrheitsparteien erklärten sich zwar bereit, die von den Wählern getroffenen Mehrheitsbeschlüsse bedingungslos auszuführen, aber sie fühlen sich nicht zuständig, wenn das Volk sie desavouiert. Die CSV und die ADR sind nicht einmal bedingungslos bereit, die Mehrheitsbeschlüsse der Wähler auszuführen, wenn sie von den Wählern desavouiert werden; sie verlangen aber ihrerseits von der Regierung, Konsequenzen aus dem Wahlausgang zu ziehen.
Das überrascht wenig. Denn eine der unschönen Seiten der lokalen Politik ist, dass, ganz gleich, was passiert, niemand Verantwortung übernimmt. Der ehemalige CSV-Premier Jean-Claude Juncker erklärte sich zwar 2013 für seinen Geheimdienst verantwortlich, aber er weigerte sich, Konsequenzen aus dieser Verantwortung zu ziehen. Auch als die CSV daraufhin die Wahlen verlor, wollte niemand dafür die Verantwortung übernehmen; Parteipräsident Michel Wolter gab sein Amt eher aus Überdruss auf, als dass er die Verantwortung für die Niederlage übernommen hätte, die er sogar leugnete.
Im Fall des Referendums ist schon vorgesorgt. Denn als durch die Verfassungsrevision von 1919 in Artikel 51, heute 52, die Möglichkeit festgeschrieben wurde, dass die Wähler aufgerufen werden, „à se prononcer par la voie du référendum“, ließ der Gesetzgeber es sicherheitshalb im Unklaren, was das Urteil der Wähler wert sein wird, ob ihre Meinung bindend ist und ob die Regierung, das Parlament oder sonst irgendjemand sich an den Wählerentscheid halten muss. Man war eben vorsichtig.
Nun sind Referenden nicht besonders demokratisch. Sie sind die extreme Form des Mehrheitswahlrechts, wo 50 Prozent plus eine Stimme die andere Hälfte der Wähler unterbuttert. Sie können auch ein Instrument sein, um eine gesellschaftliche Entwicklung zu verhindern, wie dasjenige zur Rettung der Monarchie 1919, oder gar demokratiefeindliche Ziele verfolgen, wie das Referendum zur Legitimierung des Maulkorbgesetzes 1937 und die Befragung zur Legitimierung der Annexion 1941.
Das entscheidende Risiko von Volksbefragungen aber ist, dass sie meist anders ausgehen, als von ihren Initiatoren geplant. Deshalb ist es manchmal vorsichtiger, überhaupt keine Referenden zu organisieren, etwa über die Aufgabe der immerwährenden Neutralität, die Defizitbremse oder die Trennung von Kirche und Staat. Andernfalls kann es nämlich zu Peinlichkeiten wie 1919 kommen, als das Volk ein Wirtschaftsbündnis mit Frankreich wollte, aber nur Belgien zu einem Bündnis bereit war. Oder 1937, als die Regierung die für sie enttäuschenden Wahlergebnisse über ihr Maulkorbgesetz gar nicht mehr im Detail veröffentlichte. Oder 1941, als die Nazi-Besatzer die zusammen mit der Personenstandsaufnahme durchgeführte Zusatzbefragung über die Volkszugehörigkeit abbrachen, weil sich nicht das erwartetet Ergebnis abzeichnete.
Hält man trotzdem die Organisation von Referenden für angebracht, erklärt man sie kurzerhand für bloß „beratend“, auch wenn dies nirgends ausdrücklich steht. Somit kann die Regierung nach der Veranstaltung eines Referendums entscheiden, ob das Volk Recht hatte oder in einem höheren Interesse der Bündnispolitik, der Wettbewerbsfähigkeit oder von Thron und Altar beschlossen werden muss, dass es sich geirrt hatte.
Aus diesem Grund sind sich fast alle Parteien, ihr Staatsrat und ihre Juristen einig, dass Referenden zwar als Ausdruck direkter Demokratie wie die höchste Form der Demokratie aussehen – aber eben nur so aussehen und in Wirklichkeit bloß beratend sind. Und nur wenige Kritiker, wie der Verfassungsrechtler Luc Heuschling, halten dagegen, dass Referenden bindend sein müssen, weil beispielsweise Artikel eins der Verfassung bestimmt, dass Luxemburg ein demokratischer Staat sei. Am Ende hat somit der ADR-Abgeordnete Gast Gibéryen wieder Recht, der Referenden hierzulande kostspielige Meinungsumfragen mit einer sehr großen Stichprobe nennt.
Wenn trotzdem eine Regierung Konsequenzen aus einem Referendum zieht, dann weniger aus Ehrgefühl oder Respekt vor demokratischen Prinzipien, als unter öffentlichem Druck. So 1937, als Premier Joseph Bech den Rücktritt seiner Regierung aus Rechtspartei und Liberalen einreichte, nachdem ihr Maulkorbgesetz gescheitert war. Oder 2005, als CSV-Premier Jean-Claude Juncker angesichts einer drohenden Ablehnung des Europäischen Verfassungsvertrags seinen Rücktritt in die Waagschale warf.
Davon sind DP, LSAP und Grüne aber weit entfernt. Auch wenn die Wähler auf eine, zwei oder drei der gestellten Fragen mit Nein antworten, will Xavier Bettel nicht als Premierminister zurücktreten, obwohl er von den Wählern desavouiert wurde. Auch wenn die Wähler auf eine, zwei oder drei der gestellten Fragen mit Ja antworten, will CSV-Präsident Jean Spautz nicht für die entsprechenden Verfassungsänderungen stimmen. Vielleicht will Jean Asseborn nicht einmal als Außenminister zurücktreten, wenn die Wähler die Mandatsbegrenzung beschlossen – dann aber selbstverständlich nur wegen der Présidence.