Ein Regenbogen sorgt für Zwist und Streit in der Europäischen Union. Nach dem Geplänkel um bunte Beleuchtungen von Fußballstadien während der am Sonntag zu Ende gegangenen Fußball-Europameisterschaft, setzt nun die politische Diskussion um Symbole und Gesetze ein. Mit weit weniger Aufmerksamkeit. Im Fokus steht dabei das ungarische Gesetz zur Einschränkung von Informationen über Homosexualität und Transsexualität, das im vergangenen Monat das Parlament in Budapest passierte. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte nun ein „entschiedenes Vorgehen“ gegen das Gesetz an. Das Gesetz diskriminiere Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und verstoße gegen fundamentale Werte der Europäischen Union. „Dieses ungarische Gesetz ist eine Schande“, so die Chefin der EU-Kommission weiter. In einem Schreiben an die ungarische Regierung wolle ihr Haus die rechtlichen Bedenken gegen das Gesetz erläutern.
Das Gesetz – genau genommen ist es eine Gesetzesänderung – wurde vom ungarischen Parlament Mitte Juni mit 154 Ja- und einer Nein-Stimme beschlossen. Zuvor hatte die große Mehrheit der linken Opposition angekündigt, die Abstimmung zu boykottieren. Die beschlossenen Gesetzesänderungen werden zusammengefasst als „Änderung von einigen Gesetzen zum strengen Vorgehen gegenüber pädophilen Kriminellen sowie im Interesse des Kinderschutzes“. Sie beinhalten auch strengere Strafbestimmungen für sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Im Einzelnen: Die Gesetzesänderung verbietet unter anderem den Zugang zu Inhalten, wenn dort „Änderungen des Geschlechts sowie Homosexualität vorkommen, popularisiert oder dargestellt werden“. Auch die Vermittlung von Inhalten zur „Popularisierung“ von Homosexualität oder Trans-Identitäten in der Schule ist künftig untersagt. Bestimmten Nichtregierungsorganisationen (NGO) ist es nun verwehrt, Kurse zur sexuellen Aufklärung oder Drogenprävention an Schulen zu halten.
Amnesty International und andere NGOs kritisierten in einem offenen Brief, dass das neue Gesetz „den wissenschaftlichen Dialog und die Aufklärungsarbeit über Homo- und Transsexualität“ unmöglich machen werden. Die ungarische Regierung lasse so „LGBTQI-Jugendliche im Stich“, die proportional häufiger Mobbing und Diskriminierung erleben denn Heranwachsende in heteronormativen Biografien. Darüber hinaus schütze die Regierung die betroffenen Jugendlichen nicht in dem Maße, wie es die Verfassung des Landes vorschreibe. Die Veranstalter der Budapest-Pride, die Ende des Monats in der ungarischen Hauptstadt stattfindet, organisierten eine Online-Petition, die in den ersten Tag 103 000 Unterstützer fand. Sie warnen davor, dass der ungarische Erlass stark an das russische „Propagandagesetz“ von 2013 erinnere, das das Engagement für die Rechte von Menschen mit nicht-heteronormativen Identitäten massiv einschränke.
Für die Kritiker der ungarischen Regierung sind die nun verabschiedeten Gesetzesänderungen ein weiterer Baustein in der Diskriminierung von Homosexualität und Trans-Identitäten. Seit Jahren würden sowohl die Fidesz-Partei von Viktor Orbán und deren kleiner Koalitionspartner KDNP (Christlich-Demokratische Volkspartei) die Rechte von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten einschränken. Bereits vor einem Jahr passierte ein Gesetz das ungarische Parlament, das es unmöglich macht, das Geschlecht, das bei der Geburt standesamtlich zuerkannt und eingetragen wurde, in offiziellen Dokumenten zu ändern. Seit Dezember letzten Jahres ist es nicht-heterosexuellen, trans- und intersexuellen Paaren unmöglich, Kinder zu adoptieren. Damals wurde in der Verfassung des Landes festgeschrieben, dass „die Mutter eine Frau und der Vater ein Mann ist“. Schon seit 2018 ist es Universitäten untersagt, Abschlüsse im Forschungsbereich Geschlechterstudien zu vergeben. Nun die Zusammenführung von Homosexualität und Trans-Identitäten mit dem Vorwurf der Pädophilie. Per Gesetzesrang. Doch die Ideologisierung der Gesellschaft wird auch über Gesetze hinaus verbreitet. So wurde etwa ein Märchenbuch für Kinder, das sexuelle und ethnische Minderheiten zeigte, von der Fidesz-Partei als „homosexuelle Propaganda“ bezeichnet. Filme wie Bridget Jones oder der Harry-Potter-Reihe, aber auch eine Fernsehserie wie Friends dürfen nach der neuen Gesetzgebung künftig nur zu später Uhrzeit und gekennzeichnet als Erwachsenen-Inhalt gezeigt werden.
Das Vorgehen von Viktor Orbán gegen die LGBTIQ-Community in seinem Land mag der Vorhang sein, hinter dem der ungarische Regierungschefs den Rechtsstaat weiter aushöhlt. Bislang sah die Europäische Union tatenlos zu. Doch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen möchte nun – auf Druck des EU-Parlaments – eine härtere Gangart gegenüber Budapest anschlagen. Dabei möchte sie auf das neue Instrument des sogenannten Rechtsstaatsmechanismus zurückgreifen, das ihr seit Anfang des Jahres zur Verfügung steht und Kürzungen von EU-Subventionen erlaubt.
Im konkreten Fall geht es um rund 7,2 Milliarden Euro, die Ungarn aus dem Corona-Fonds der EU erwarten kann. Doch Budapest braucht die Zustimmung von Brüssel, damit das Geld ausgezahlt wird. Die EU-Kommission äußerte jedoch Zweifel daran, dass sich Orbán an sämtliche rechtsstaatliche Standards hält, wenn er demnächst diese Hilfsgelder ausgibt. Und so bat Brüssel um Nachbesserungen. Die Regierung in Budapest muss nun nachweisen, dass die Auszahlung der Gelder korruptionsfrei vonstattengeht, die Geldflüsse transparent dargestellt werden können und dass sie zur Zusammenarbeit mit der europäischen Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf bereit ist. Dies kann Orbán treffen, der schon lange im Ruf steht, EU-Subventionen vor allem an loyale Gefolgsleute zu verteilen. Fraglich bleibt indes, ob so die Diskriminierungspolitik gegen über LGBTQI-Menschen beendet wird.