Kunstmarkt

Picasso für ’n Euro

d'Lëtzebuerger Land vom 03.01.2020

Bäcker oder Metzger müssen die Herkunft ihrer Ware lückenlos nachweisen können. Kunsthandel dagegen ist traditionell diskret: Da wird ein Bild schon mal „auf dem Dachboden gefunden“ und unter der Hand verkauft, eine Statue vage aus „Afrika, ca. 19. Jahrhundert“ angeboten. Die hemdsärmeligen Zeiten gehen allerdings auch in vornehmen Verkaufsräumen zu Ende: Skandale um NS-Raubkunst sensibilisieren Kunden für Provenienzfragen, Steuerfahnder werden lästig, und Tech-Firmen versprechen neue Lösungen für Vertrauens-, Überwachungs- und überhaupt alle Probleme.

Bis zum 10. Januar 2020 müssen in der ganzen EU verschärfte Vorschriften gegen Geldwäsche in nationale Gesetze umgesetzt werden, die auch den Handel mit Kulturgütern betreffen. Gestohlene Gemälde ein paar Jahre in einem Freilager verstecken und dann ganz legal verkaufen – dergleichen soll in Zukunft nicht mehr so leicht möglich sein. Entsprechend nimmt der Dokumentationsaufwand zu.

Gleichzeitig wenden sich junge Sammler-Generationen von alten Bräuchen ab. Die Kunst-Versicherung Hiscox schätzt, dass von den mehr als 65 Milliarden US-Dollar, die 2018 weltweit mit Kunst umgesetzt wurden, bereits über 4,6 Milliarden auf Online-Handel entfielen. Angst vor Fälschungen behindere jedoch eine Ausweitung der Geschäfte im Internet. Wer mit Computern oder Bitcoins reich geworden ist, möchte oft für Kunst-Investitionen genaue Daten haben – etwa zu Vorbesitzern, Echtheit oder Preisen ähnlicher Werke. Um Kunst als Finanzanlage oder Sicherheit für Kredite nutzen zu können, braucht es vertrauenswürdige und liquide Kunstmärkte.

Hasso Plattner zum Beispiel, einer der Gründer des Softwarekonzerns SAP, fand es befremdlich, dass es Kataster für Grundstücke gibt, nicht aber für teure Werke von Picasso, Giacometti & Co. Zusammen mit Nanne Dekking, dem Chef der Kunstmesse Tefaf in Maastricht und New York, hat er deshalb ein öffentliches Register gegründet: Artory erfasst bereits Informationen zu mehr als 22 Millionen Kunstwerken, die von Händlern, Sammlern oder Museen gemeldet und überprüft wurden. Die Daten zu Herkunft und Besitzerwechsel werden auf Blockchain gespeichert; die Eigentümer werden ihren Objekten zugeordnet, bleiben dabei aber anonym. Eine ähnliche Datenbank baut die Londoner Firma Codex Protocol auf, die von der Investmentbankerin und Kunsthändlerin Jess Houlgrave gegründet wurde. Dort kann allerdings im Prinzip jedermann Einträge verfassen – ein Kunst-Register à la Wikipedia.

Blockchain ist die Technologie, mit der weltweit rund zwei Dutzend Start-Up-Firmen den Kunsthandel revolutionieren wollen: Digitale Register, dezentral und praktisch fälschungssicher, können nicht nur Kryptowährungen wie Bitcoin aufbewahren, sondern beliebige Daten. Also auch Urkunden, Gutachten, Versicherungsscheine, Auktionslisten, Ausstellungsberichte – oder gleich die Kunstwerke selbst, etwa Fotos, Videos oder Virtual-Reality-Installationen.

Initiativen mit Namen wie ArtByte, ArtChain oder Arteia verheißen eine neue Ära der Transparenz. Sogar für die Künstler soll dabei etwas abfallen: Wenn sich der Weg von Kunstwerken genau verfolgen lässt, können Lizenzgebühren oder Anteile von Wiederverkäufen kassiert werden. Das verspricht zum Beispiel das israelische Unternehmen Niio, das „schwarze Löcher an den Wänden“ beseitigen will: Digitale Werke von bereits rund 4 000 Künstlern werden im Abo an Hotelketten, Flughäfen und andere Bildschirm-Besitzer verleast.

Digitale Kunst werde dank Blockchain überhaupt erst marktfähig, findet Leonardo Lüpertz, ein Sohn des Künstlers Markus Lüpertz und Mitbegründer des Berliner Start-Ups Yair. Kein Mensch würde Geld ausgeben für Dinge, die beliebig kopiert und verbreitet werden können. Bei traditioneller Kunst, Grafiken und Fotos etwa, werde Knappheit künstlich hergestellt durch Editionen und begrenzte Auflagen. Nun könne Blockchain digitale Werke sichern – und gleichzeitig weltweit zugänglich machen.

Bei der diesjährigen Ars Electronica präsentierte Yair eine App, die Anteile an Kunst in Form von digitalen „Münzen“ handelbar machen soll: ein Asset-Token für einen Euro, aufzubewahren in einem Konto für Kryptowährungen. Damit könne die Beteiligung an Kunstwerken so einfach werden wie Aktienhandel, das System aber zum Beispiel auch zum Crowdfunding von Kunstprojekten genutzt werden. Die Technik dafür liefert Aeternity aus Liechtenstein, eines von rund 800 Unternehmen, die im „Crypto Valley“ von Zürich bis Vaduz an Blockchain-Anwendungen tüfteln.

„Demokratisierung“ verspricht auch das Start-Up Maecenas, das von zwei Argentiniern in Singapur gegründet wurde: „Du musst nicht mehr superreich sein, um berühmte Gemälde zu kaufen.“ Ein „offener und fairer Blockchain-Marktplatz“ soll im Kunsthandel die Gebühren, die bislang schon mal 50 Prozent des Verkaufspreises ausmachen, auf bis zu ein Prozent senken. Bei einer ersten Testauktion im August 2018 hat Maecenas Andy Warhols Bildserie 14 Small Electric Chairs versteigert: 100 Bieter erwarben für 1,7 Millionen US-Dollar einen Anteil von einem Drittel. Das Kunstwerk ist jetzt eine eigenständige „Zweckgesellschaft“; Erträge aus Vermietung oder Verkauf sollen an die Eigentümer ausgeschüttet werden. Ein ähnliches Geschäftsmodell hat Feral Horses, von Italienern in London gegründet: Kunst-Anteile ab zehn britischen Pfund. Bisher wurde zum Beispiel ein Druck von Banksy für 24 000 Pfund an 199 Co-Eigentümer verkauft.

Bleibt eine Schwierigkeit: Wie lassen sich handgreifliche Objekte eindeutig mit Blockchain-Daten verknüpfen? Beispielsweise kann ein Zertifikat durchaus echt, das dazugehörende Kunstwerk aber während des Transports durch eine Fälschung ersetzt worden sein. An Lösungen dafür arbeitet 4ARTechnologies in Zug. Diese „Katalogisierungs- und Transaktionsplattform“ wurde von Niko Kipouros, einem Investmentbanker und Kunstsammler aus Düsseldorf, und Rolf Maier aus Tuttlingen, einem der größten deutschen Versicherungsmakler, gegründet. Sie ist auch Mitglied im Gründerzentrum Luxembourg House of Financial Technology.

Die Firma Atlantic Zeiser, die unter anderem Sicherheitsmerkmale für Banknoten entwickelt, steuert zu 4ARTechnologies eine neue App bei: Merkmale eines Kunstwerks, wie Struktur, Material, Oberfläche und Farbspektrum, werden erfasst und als digitaler „Fingerabdruck“ auf Blockchain gespeichert. Dabei fallen kleinste Beschädigungen auf, aber auch Fälschungen. Bislang müssen zum Beispiel bei Leihgaben das abgebende Museum, das empfangende Museum und vielleicht auch noch die Spedition jeweils von Gutachtern teure Zustandsberichte verfassen lassen – in Zukunft soll es reichen, mit einem gewöhnlichen Smartphone ein Foto zu machen. Die App wird derzeit getestet und soll ab Frühjahr erhältlich sein. Im Internet ist die Konkurrenz allerdings immer nur einen Mausklick entfernt: Das Start-Up Startbahn aus Tokio kündigt ebenfalls für das kommende Frühjahr eine App für das so genannten Orakel-Problem an.

Ehrwürdige Galerien und Auktionshäuser sind aufgeschreckt. Auf Konferenzen, etwa „Digitalisierung und Kunstmarkt“ in Zürich, bangen Kunsthändler, ob ihre Branche genauso bedroht wird wie Banken, Notare oder andere Vermittler. Manche experimentieren allerdings selbst mit Blockchain: Douwes Fine Art, schon seit 1770 in Amsterdam, ließ unlängst eine Radierung von Rembrandt „validieren“, das heißt Fotos davon zusammen mit Angaben zu Material, Format und Werkgeschichte digitalisieren. Evert-Anthony Douwes, der Inhaber, will damit zur Bekämpfung von Betrug beitragen, aber auch verhindern, dass das gesammelte Wissen zum Beispiel bei einem Brand verloren geht.

Umstritten ist, wie leistungsfähig die neuen Technologien wirklich sind. Digitalisierung allein macht Menschen nicht besser; auch mit Blockchain lässt sich betrügen, fälschen, Geld waschen. Laien können digitale Register kaum selbst überprüfen – sie können allenfalls wählen, ob sie lieber herkömmlichen Kunsthändlern oder hippen Software-Entwicklern vertrauen wollen. Möglicherweise entwickelt sich die Blockchain-Welt wie das Internet: am Anfang großartige Versprechen von Freiheit und Dezentralisierung – am Ende eine Handvoll übermächtiger IT-Konzerne. Jedenfalls werden viele auf der Strecke bleiben, erwartet Yair-Gründer Leonardo Lüpertz in einem Interview für das Börsen-Magazin X-press: „Die kleinen Galerien sterben aus und nur die großen überleben.“

Martin Ebner
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