Seit September ist der Schulcampus Wobrécken in Esch von Kinderschritten und Matheaufgaben erfüllt. Ein großer Bau mit Flachdach und dunkelroter Außenfassade. Die Innenräume sind mit hellem Holz verkleidet. Drei Stockwerke öffnen sich zu einem Atrium mit verglastem Dach, das viel Licht einlässt. Vormittags lernen und lärmen hier bis zu 340 Schüler/innen der Primärschule, am Nachmittag wird das Gebäude zur Maison Relais. Im Park treffen Kinder auf die Senioren vom Pflegeheim nebenan.
Das Gebäude wurde vom Echternacher Architektenbüro Witry & Witry entworfen. Darin stecken acht Jahre Arbeit. 2015 hatte die Stadt Esch das Projekt ausgeschrieben. Kaum ein öffentliches Gebäude in Luxemburg ist so nachhaltig wie die Schule Wobrécken. Vorab haben die Architekten die Schule in ihrem ganzen Lebenszyklus betrachtet, den Energieverbrauch über Jahrzehnte im Voraus geplant und die Pläne dahingehend verfeinert, ihn so niedrig wie möglich zu halten. In den kommenden Jahren wird die Schule mehr Energie erzeugen, als sie verbraucht.
Der optimierte Lebenszyklus und die ideale Betriebsenergie würden in der Regel getrennt betrachtet, sagt Pit Kuffer, Architekt der Schule. Bei diesem Projekt haben Witry & Witry beide Überlegungen zusammengelegt. „Heutzutage findet man dazu reichlich Informationen, aber als wir 2016 mit der Planung begannen, mussten wir danach suchen. Wir haben uns im Ausland informiert und Fortbildungen besucht.“ Mittlerweile gebe es auch in Luxemburg Architekturbüros, die sich theoretisch damit auseinandersetzen. „Aber es ist schade, dass es nur so wenig umgesetzt wird.“ Nicht alles, was Architekten wollen, können sie umsetzen. Wichtig ist, dass die Auftraggeber die Ideen unterstützen, denn sie müssen die Projekte annehmen und bezahlen.
Pit Kuffer leitet gemeinsam mit seiner LebenspartnerinAnabel Witry das Familienunternehmen Witry & Witry. Seit 2008 ist er Teil des Unternehmens. Das letzte Jahrzehnt war vom Generationswandel geprägt. Die beiden Gründer Ursula und René Witry sind weiterhin im Büro tätig, haben die Geschäftsleitung aber der Folgegeneration übergeben. Pit Kuffer erklärt: „Als Anabel und ich angefangen haben, wussten wir, dass wir Gebäude anders planen und bauen müssen als bisher. Das Denken in Lebenszyklen kam ins Spiel. Wir haben uns das Thema angeeignet, und die Mitarbeiter haben die Thematik mitgetragen.“ Das heißt: Ein Gebäude ab dem Moment zu betrachten, in dem die Rohstoffe für das Baumaterial wachsen, bis zum Recycling der Komponenten am Lebensende des Baus. Wo wird wie viel Energie verbraucht? Welche Auswirkungen hat die Nutzung der Materialien auf die Umwelt? Wie können sie am besten weiterverwendet werden? Diese Fragen stehen am Beginn von Hochrechnungen und Plänen. „Wir mussten viel recherchieren, um diese Prinzipien zu verstehen und verständlich aufzubereiten“, sagt Kuffer. „Einen großen Teil dieser Recherchearbeit haben wir unentgeltlich geleistet, aber das fließt in künftige Projekte mit rein.“ Kenntnisse, die einmal da sind, können sich in der Zukunft auszahlen. Nachhaltigkeit durch Lernen.
Etwa 50 Jahre lang sollte ein Gebäude seinen Zweck erfüllen. Auch wenn einige Gebäude länger, andere kürzer nutzbar sind, dient diese Zeitspanne Architekten als Berechnungsgrundlage für die Effizienz. Konsens in der Branche ist nach aktuellen Standards, dass ein Gebäude innerhalb seiner Lebendauer die Energie einsparen soll, die beim Bau verwendet wird. Stahlbeton oder Ziegelsteine werden stundenlang bei bis zu 1 000 Grad Celsius gebrannt, ein Energieaufwand, der sich kaum wettmachen lässt. Pit Kuffer hat sich auf Holzbau spezialisiert. Holz ist nachhaltiger. Aber es ist auch „ein Material, das sich gut anfühlt“. Kuffer spricht von Baukultur, einem Begriff, der Witry & Witry wichtig sei. Was die Architekten damit meinen, ist für Kuffer schwer in Worte zu fassen. Es gehe um Farben, Formen, um Tradition und Menschen. Die Architekten möchten nicht einfach ein Gebäude aufstellen, das ihrem eigenen Stil entspricht, sondern in Auseinandersetzung mit dem Ort etwas erschaffen, das der lokalen Gesellschaft entspricht, ihre Werte, Geschichte und Identität widerspiegelt. „Die Nutzer müssen Gebäude akzeptieren. Vandalismus ist oft die Folge von Ablehnung. Es gibt Gebäude, die sind auch nach Jahren in einem super Zustand, weil sie in von den Benutzern geschätzt werden.“
Der politische Wille
Auf einem Diagramm zeigt Kuffer, wie viel weniger CO2 Holzbau generiert. Es gelingt damit, den anfänglichen Energieverbrauch so zu mindern, dass der Verbrauch des gesamten Gebäudes über seinen Lebenszyklus hinweg sogar negativ wird. Zwei Tricks sind dazu nötig: Zum einen bezieht Kuffer die CO2-Menge mit ein, die das Holz in seiner Zeit als Baum aus der Luft gefiltert hat und in verbauter Form weiterhin speichert. Zum anderen musste der Energieverbrauch der Schule Wobrécken tatsächlich so stark gesenkt werden, dass sie schließlich mehr Energie erzeugt als sie verbraucht.
Die Berechnung scheint einleuchtend und weitblickend. Doch steht sie auf wackligen Beinen – denen der Politik. Eine Lebensdauer von 50 Jahren setzt voraus, dass die nötigen Wartungsarbeiten unternommen werden, dass Material gut behandelt wird und defekte Komponenten ausgetauscht werden. Von Anfang an sind dieser Aufwand und damit verbundene Kosten und Energieaufwand eingeplant. Doch 50 Jahre sind mehr als acht kommunale Legislaturperioden. Was ein Schöffenrat heute bestimmt, kann ein nächster über den Haufen werfen. Das wäre es dann mit der Nachhaltigkeit. Für die Stadt Esch stellt sich die Frage nicht. Die Schule sei „kein nice to have-Gebäude, wie zum Beispiel eine öffentliche Badeanstalt, sondern eine für die Escher Bevölkerung essenzielle Infrastruktur“, erklärt die Stadtverwaltung dem Land. Also müssten Wartungsarbeiten auch in Zukunft gemacht werden und das Gebäude müsse bestehen bleiben. „Die Kosten, ebenso wie die CO2-Bilanz, lassen sich am besten dadurch im Rahmen halten, dass man die Gebäude so lange wie möglich nutzt“, so die Stadtverwaltung.
Heutzutage sind Abriss und Neubau häufig noch günstiger als Renovierungen. Regulierungen und gestiegene Rohstoffpreise könnten das in Zukunft ändern. Zu häufig würden Gebäude abgerissen, statt sie umzubauen und zu renovieren, meint Pit Kuffer. 2023 hat die Gemeinde Rosport-Mompach in Folge des Hochwassers die ertränkte Mehrzweckhalle in Born an der Sauer abgerissen. Die Halle war erst neun Jahre zuvor komplett saniert, erweitert und energietechnisch auf den neusten Stand gebracht worden. Dass dieser Umbau von Witry & Witry gestaltet wurde, tut dabei besonders weh. Er sei selbst nach dem Hochwasser dort gewesen, um den Zustand des Gebäudes zu prüfen, sagt Kuffer, und ist überzeugt, dass es zu retten gewesen wäre – günstiger und nachhaltiger als Abriss und Neubau.
Die Überlegungen der Gemeinde Rosport-Mampach waren andere. Witry & Witry sei das einzige Büro gewesen, das gegen den Abriss stimmte, sagt Bürgermeisterin Stéphanie Weydert (CSV). „Der vorherige Bau hatte immer die Füße im Wasser.“ Die gesamte Gebäudetechnik sei im Keller untergebracht gewesen, der auch bei jedem kleinen Hochwasser überschwemmt wurde. „Ist das nachhaltig, wenn wir jedes Mal Gemeindearbeiter dorthin schicken und Pumpen in Betrieb nehmen müssen?“, fragt Weydert. „Wir können es uns nicht erlauben, dass der Sportunterricht immer wieder ausfällt.“ Anhand von Gutachten und mit Zustimmung des Innenministeriums entschied der Schöffenrat sich für den Abriss. „Manchmal ist es einfacher, tabula rasa zu machen und neu anzufangen“, meint Stéphanie Weydert.
Für Pit Kuffer ist das kaum zu verstehen. Abriss ist nach der Philosophie der Architekten fast nie eine gute Idee. Wenn das Gebäude nicht gerade von Asbest durchsetzt ist oder alle Materialien mit Giftstoffen belastet sind, könne man Gebäude zurückbauen und die Materialien weiterverwenden – auch nach 50 und mehr Jahren. Nachhaltigkeit heißt für Kuffer auch, das Bauerbe zu erhalten. Die Gemeinde habe zwar versucht, die Materialien zu verkaufen, so Weydert, doch abgesehen von einigen Fenstern hat nichts Abnehmer gefunden. So wurde schließlich doch das meiste verschrottet. Der Neubau des Centre Polyvalent samt Sporthalle, Maison Relais und Musikschule beginnt nächstes Jahr und kostet 56,5 Millionen Euro. Der Bau wird 70 Zentimeter höher liegen als der höchste Punkt, den das verheerende Hochwasser von 2021 erreicht hat.
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