Ist das eine Provokation oder eine Einladung zum Dialog? Nord- und Südkorea sind im Kriegszustand und seit 1953 strikt voneinander getrennt; ihre 250 Kilometer lange „Waffenstillstandslinie“ aus Stacheldraht und Panzersperren wird symbolisch von fünf Soldaten aus der Schweiz überwacht. Das Kunstmuseum Bern aber schert sich nicht um die Abschottung: Es präsentiert jetzt Kunst aus beiden Teilen der koreanischen Halbinsel – und zwar nicht nach Staaten gesondert, sondern nach übergreifenden Themen, wie „Landschaften“, „Historienbilder“ oder „Theaterstaat“. Riesige Propagandaschinken aus dem kommunistischen Norden prallen auf ironische Installa-
tionen aus dem kapitalistischen Süden.
Zu sehen sind 75 Werke von koreanischen und chinesischen Künstlern, alle aus der Sammlung von Uli und Rita Sigg. Ab 1980 hatte Uli Sigg als Vertreter der Aufzugfirma Schindler das allererste westlich-chinesische Jointventure ausgehandelt und auch Nordkorea bereist. Von 1995 bis 1998 war er der Botschafter der Schweiz in China, der Mongolei und Nordkorea. Berühmt ist Sigg vor allem für die größte Sammlung chinesischer Gegenwartskunst, die unter anderem den Künstler Ai Weiwei weltweit bekannt machte. Diese Kollektion, die bereits früher in Bern vorgestellt wurde, ist nun der Grundstock für das neue Museum M+ in Hongkong, das dieses Jahr in einem Gebäude der Schweizer Architekten Herzog und de Meuron eröffnet werden soll.
In Nordkorea ist westliche oder gar südkoreanische Kunst verboten. Genaugenommen ist dort überhaupt jede Kunst verboten, die nicht von den beiden staatlichen Kunst-Organisationen Mansudae und Paekho fabriziert wurde. An der nordkoreanischen Variante des „sozialistischen Realismus“ fasziniert Sigg besonders, dass sie noch emotionaler, noch melodramatischer ist als ihre chinesischen und sowjetischen Vorbilder. Porträts der Machthaber sind in Nordkorea an und in jedem öffentlichen Gebäude, dürfen aber eigentlich nicht ins Ausland. Dank Diplomatie und Hartnäckigkeit konnte Sigg einige monumentale Darstellungen der Diktatoren erwerben: Kim Il-sung mit Raketen, Kim Jong-il mit Soldaten, Kim Jong-un mit glücklichen Untertanen. Das Originalgemälde zum Staatsbegräbnis von Kim Il-sung ist 82 Meter lang – eine handgemalte Kopie nimmt nun im Berner Kunstmuseum immerhin zehn Meter ein.
Das Regime in Pjöngjang ist mittlerweile selbst in den Augen seiner nördlichen Nachbarn bizarr. Der chinesische Filmemacher Wang Guofeng durfte offiziell die Paraden und Massenaufmärsche aufnehmen. Bei der Gelegenheit hat er auch heimlich seine Aufpasser vom Geheimdienst dokumentiert. Das chinesische Künstlerkollektiv Utopia Group, das selbst nie vor Ort war, hat ein ganzes fiktives nordkoreanisches Filmfestival inszeniert, inklusive Drehbüchern, Plakaten und Preisverleihung in der absurden Regimesprache. Still und melancholisch sind dagegen die Schwarzweiß-Bilder, die der chinesische Fotograf Shen Xuezhe von den Grenzen Nordkoreas gemacht hat: Grenzzäune und gesprengte Brücken erinnern an den „Eisernen Vorhang“, der während des Kalten Kriegs Europa teilte.
In Südkorea werden Künstler weniger gegängelt. Wer aber wie Sea Hyun Lee große Ansichten des Grenzgebiets in der verpönten „kommunistischen“ Farbe Rot malt, bekommt auch dort Ärger. Anders als für China wollte Sigg für Südkorea kein repräsentatives Museum der Gegenwartskunst zusammenstellen: Er hat dort ausschließlich Werke erworben, die sich mit der Teilung des Landes befassen. Während die Staatskunst im Norden vor allem sowjetisch-europäisch geprägt ist, greifen Künstler im Süden auch asiatische Traditionen auf: Keramik, Kalligraphie, Tuschebilder. Yee Sookyung zum Beispiel verklebt antike Porzellanscherben mit Gold zu holprigen Kugeln. Kyungah Ham ließ über chinesische Mittelsmänner Bildvorlagen nach Nordkorea schmuggeln und großformatige Stickereien zu Themen anfertigen, die dort tabu sind, etwa Luxusprodukte oder Kriegszerstörungen.
In einem eigenen Raum werden Plakate gezeigt, die von der Schweizer Entwicklungshelferin Katharina Zellweger in Nordkorea während der Hungersnöte der 1990er Jahre gesammelt wurden. Die fröhlich-bunten Poster dienen auch als Vorlagen für Briefmarken und Postkarten. Meist ermahnen sie die Untertanen zur Arbeit: „Lasst uns mehr Akazienbäume pflanzen!“ Oder: „Lasst uns die vitale Kraft der revolutionären Strategie der Partei für den Kartoffelanbau weiter forcieren!“ Manchmal erinnern sie aber auch an die schönen Seiten des Lebens: „Mit Kreiseln zu spielen macht Spaß!“
Ob Nordkoreas Führer Kim Jong-un die Ausstellung zur Kenntnis nimmt, ist unbekannt. Immerhin war er in Bern auf die Schule Liebefeld-Steinhölzli gegangen und soll leidlich Bärndütsch sprechen. Bisher hat die nordkoreanische Botschaft lediglich gegen ein Aquarell protestiert, das den Diktator beim Betrachten von Haifischen zeigt. Der südkoreanische Botschafter fand noch keine Zeit für einen Besuch, hat sich aber bereits beschwert, dass der Kauf nordkoreanischer Kunst gegen internationale Sanktionen verstoße. Wahrscheinlich wissen die Diplomaten beider Seiten noch nicht so recht, was sie von der Schau halten und wie sehr sie empört sein sollen. Kunst kann grenzüberschreitend aufregen.
Geniale Herrscher, frohe Arbeiter, blühende Landschaften: Kunstwerke der Stilrichtung „sozialistischer Realismus“ zeigen die Welt, wie sie nach dem Willen von Diktatoren aussehen soll. Westliche Kritiker sehen darin meist nichts als verlogenen Kitsch und Propaganda. Stalin und Mao sind zwar schon lange tot, Drittwelt-Potentaten aber mögen immer noch überlebensgroße Darstellungen, vor allem von sich selbst. Der Export von großen Skulpturen und Gemälden ist eine wichtige Devisenquelle für das kommunistische Nordkorea, das ansonsten vom Welthandel weitgehend isoliert ist.
Nicht nur Kambodscha, Malaysia und Syrien, sondern auch afrikanische Staaten decken sich in Nordkorea mit Monumentalkunst ein, vom riesigen anti-israelischen Kriegspanorama in Kairo über Standbilder kongolesischer Machthaber bis zum Triumphbogen in Namibia. Für Senegals Hauptstadt Dakar musste allerdings die erste Version des „Monuments der Afrikanischen Renaissance“ überarbeitet werden, denn die Köpfe waren zunächst eher koreanisch als afrikanisch geraten. Das für rund 27 Millionen US-Dollar gebaute, im Jahr 2010 eingeweihte Denkmal ist mit einer Höhe von 50 Metern die bislang größte Statue Afrikas – und vier Meter höher als die Freiheitsstatue in New York.
Produziert werden die Bronzegiganten in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang im staatlichen Mansudae-Kunststudio. Wobei „Kunstfabrik“ wohl richtiger wäre: Auf einer Fläche von 120 000 Quadratmetern werken 4 000 Angestellte. Davon sind 1 000 ausgebildete Künstler, mehr als die Hälfte aller in Nordkorea zugelassenen Kunstschaffenden. Zu dem Atelier-Kombinat gehören auch eine eigene Klinik, ein Kindergarten und ein Fußballstadium. Das Mansudae-Studio hat das Monopol auf offizielle Darstellungen der Kim-Herrscherdynastie. In der chinesischen Hauptstadt Peking unterhält Mansudae eine Verkaufsfiliale, die auch kleinere Kopien der riesigen Artefakte vertreibt.
Aus dem Westen bekam das Mansudae-Kunststudio bislang nur einen einzigen Auftrag: neue Bronzefiguren für den Märchenbrunnen in Frankfurt am Main. Die Jugendstil-Statuen vor dem Schauspielhaus waren im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen worden. Das Mansudae-Kollektiv, handwerklich perfekt und preisgünstig, hat sie im Winter 2005/06 nach alten Fotografien rekonstruiert. Die Hoffnung, Nordkorea damit zur Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse bewegen zu können, erfüllte sich allerdings nicht. Der Export nordkoreanischer Literatur, beziehungsweise der Staatsideologie Juche („Eigenständigkeit“) scheint nicht geplant zu sein.