Leicht macht er es einem nicht. Und wer erbauliches Wortgeklingel lesen will, ist hier ohnehin falsch (aber wo wäre er nicht falsch?). Das überfliegt man nicht eben mal, während man auf einen Zug wartet, da blättert man nicht einfach so durch und sortiert en passant Themen und Formen schon grob in ein paar hermeneutische Schubladen ein. Die Gedichte von Jean Krier sperren sich aller oberflächlichen Behandlung. Sie sind rauh, sie sind widerständig, sie sind völlig kompromisslos. Dabei souverän und alles andere als gleichgültig. Sie sind, was man von Gedichten eigentlich immer hoffen können sollte: sehr dicht.
Also nichts zuviel. Keine Füllwörter, keine einzige unbedachte oder austauschbare Redewendung. Sogar überflüssige Buchstaben werden herausgekürzt („u“ statt „und“). So ergibt sich aus dem konsequenten Gebrauch der Ellipse ein reiner, glasklarer und harter Stil, der jedes Wort an seinem Platz und unentbehrlich weiß. Das sind Texte, wie sie von Anbiederung und Gefälligkeiten nicht weiter entfernt sein könnten; in die man sich ganz hineinknien, die man wieder und wieder lesen muss, wenn man sich ernsthaft (und es geht nicht anders) mit ihnen befassen will (was man sollte).
Auch wenn der Titel des Buches dazu verführen könnte, das Gegenteil zu vermuten, ist Herzens Lust Spiele vielleicht Jean Kriers schwärzester Gedichtband. Wer den Dichter noch nicht von seinen früheren Werken her kennt und noch nicht weiß, dass er bei Krier ohnehin nie mit romantischer Verklärung und Gefühlsduselei zu rechnen braucht, wird durch den ersten Teil des Buches, „Von der Gewalt und vom Tod“, auf den Tonfall eingestimmt, in dem hier das Herz thematisiert werden wird: „Ich lebe doch“ – beginnt der erste Vers, und nimmt dieser Aussage gleich alle mutmaßliche Selbstverständlichkeit. Wo so gehäuft von Wunden und Narben, von „Kanülen und Schläuchen“ die Rede ist, wo eine wesentliche Konjunktion „Apparate“ und „Tod“ miteinander verknüpft, liegt der Schluss nahe, dass der zweite Teil des Buches, „Vom Herzen“, nicht metaphorisch vom Sitz der Gefühle handeln wird, sondern zunächst ganz körperlich von einem kranken Organ, einer lädierten Blutpumpe, der man mit medizinischen Mitteln beikommen muss, „diesem zarten Pflänzchen im Busen“.
Von derart sarkastischen Euphemismen zu einer bitter bis lustigen vanitas-Motivik ist es dann nicht mehr weit: „[...] die Toten sagen: Il buvait, il mangeait et il fumait n’importe quoi.“ Und auch in Herzens Lust Spiele gilt Ambivalenz als poetologisches Prinzip. Mit dem für die Sprache Jean Kriers so typischen Bedachtsein auf Gleichklänge, auf Zusammenhänge also, wo sie in Wahrheit am unwahrscheinlichsten sind, wird so aus „j’en passe“ der herbe Kalauer „Jean passe“: „[...] in der Hitze der Lichter/ dahinten flimmert er. Nichts wird er; im Januar sechzig.“
Die Gefühle, die man ihm traditionell zuschreibt (die Liebe natürlich, und die Hoffnung), beherbergt dieses Herz allerdings trotzdem. Gerade bei einem Dichter, der so sparsam mit diesen Dingen umgeht, der der Drastik soviel mehr an Wahrhaftigkeit zutraut als dem Pathos, hat ein Liebesgedicht wie Alte Liebe, revisited den nötigen Resonanzraum. Das gilt insgesamt für die Gedichte des dritten und letzten Teil des Bandes, „Vom Reisen“, die zwar etwas leichter zugänglich sind als die der ersten beiden Teile, vor deren Hintergrund aber nicht an Dringlichkeit und Substanz verlieren.
Herzens Lust Spiele ist bereits der vierte Gedichtband, den Jean Krier, neben etlichen Publikationen in wichtigen (deutschen) Literaturzeitschriften, veröffentlicht hat. Er ist der einzige luxemburgische Schriftsteller, der in Feuilletons deutscher Zeitungen nicht nur besprochen, sondern auch wirklich ernstgenommen und gewürdigt wird. Sähen sich die betreffenden Rezensenten die Liste der Preisträger von Luxemburger Literaturpreisen an, des Prix Servais zum Beispiel, würden sie erstaunt feststellen, dass der Name „Jean Krier“ auf dieser Liste nicht zu finden ist. Was muss das für eine grandiose kleine Literaturwelt sein, würden sie entzückt ausrufen, die es sich leisten kann, einen Jean Krier eben mal zu übersehen! Sie hätten freilich keine Vergleichsbasis.