„Kinder sind entspannter. Für sie ist das Ergebnis nicht so wichtig, es zählt der Spaß“, sagt Claire Royer und die blonde Frau zeigt auf ein Regal in ihrem Licht durchfluteten Atelier. Darauf aufgereiht stehen mehrere leicht schiefe Tassen. Bei genauem Hinsehen ist zu erkennen, dass ungelenke Kinderhände Katzengesichter in den beigen Ton geritzt haben: Schnurrhaare und kleine Schnauzen. Die Hobby-Künstlerinnen und -Künstler hatten an einem der Töpfer-Schnupperkurse für Kinder teilgenommen, die Royer seit September dienstags und donnerstrags anbietet. Denn die Französin ist Töpferin.
Der Ton, mit dem Claire Royer arbeite oder arbeiten lässt, ist in Zehn-Kilo-Tüten verpackt, hellbeige und leicht verformbar. Mit etwas kräftigeren Händen lassen sich daraus ganze Stücke abbrechen oder mit einem Messer Scheiben abschneiden, die dann mit einer Walze bearbeitet werden. Sie bringt den Ton ebenmäßig auf jede beliebige und benötigte Stärke, bevor er anschließend in die gewünschte Form gebracht wird. Das können Tassen, Teller oder Vasen sein. Was sich die Kursteilnehmer so vornehmen.
„Erwachsene wollen etwas Vorzeigbares. Sie verzeihen sich Fehler schlechter“, sagt Royer und geht zu einer von fünf Drehschreiben, die auf der Längsseite der Werkstatt an der Route de Longwy stehen: Zwei filigrane, perfekt geformte Schüsseln warten auf einem kleinen Tisch neben einem Hocker auf die weitere Bearbeitung. „Heute Nachmittag kommt die Frau, die sie getöpfert hat, und dann brennen wir sie.”
Um so Stücke zu drehen, braucht es Geschicklichkeit und Sorgfalt – und vor allem viel Übung. „Am Anfang fällt der Ton öfters zusammen“, erklärt Royer die schwierige Technik des Drehens auf der mit einem Motor angetriebenen Scheibe. „Das war bei mir nicht anders“, sagt sie und lächelt. Zum Glück stehen alle Drehschreiben derzeit still, für einen Selbsttest fehlt heute die Zeit.
Neben dem Formen und Drehen zählt zu Royers Arbeitsprozess das Anfertigen von Glasuren. Royer bemalt und glasiert die fertigen Werkstücke und bedient den Keramikbrennofen, der in sicherer Ferne im hinteren Teil der Werkstatt steht. Dort werden die Tonstücke das erste Mal bei circa 980 Grad gebrannt, nach dem Glasieren kommen sie bei 1 000 bis 1 300 Grad ein weiteres Mal in den Ofen. Manche Keramiken mit komplizierten Verzierungen müssen sogar insgesamt dreimal gebrannt werden.
Claire Royer hat schon als Kind gerne getöpfert. Damals war es ein Hobby, zum Kreativsein und gleichzeitigen Entspannen. Doch nach dem Baccalaureate schlug sie zunächst eine komplett andere berufliche Richtung ein: Sie studierte in Toulouse Vermögensverwaltung, schloss mit einem Master-Diplom in Gestion de Patrimoine ab und machte Karriere im Finanzwesen. Eine Stellenanzeige führte die junge Französin nach Luxemburg, wo sie nun schon 16 Jahre lebt. Von morgens bis abends beriet sie Firmen und Kunden, wie sie ihr Vermögen am besten anlegen und vermehren konnten. Bis ihr das nicht mehr ausreichte. Das Gefühl, mit ihrem hektischen Job etwas im Leben zu verpassen, verließ sie nicht. „Beim Töpfern erschaffe ich etwas mit den Händen“, erklärt sie die Vorzüge ihres neuen Berufs. Die Stille im Atelier stört sie nicht, im Gegenteil. Sie arbeite gerne in Ruhe, das sei der beste Moment, „um neue Ideen zu entwickeln“, sagt die 40-Jährige leise, aber bestimmt. Über das Töpfern könne sie sich prima entspannen, „viele Kursteilnehmer berichten dasselbe, das ist für die so ähnlich wie Yoga“.
Ihre Motivation für den Abschied aus Finanzwelt beschreibt Royer so: „Ich wollte etwas tun, das Sinn macht und das der Gesellschaft etwas zurückgibt.“ Ihrer Mutter erzählt sie spät davon, da war der Entschluss, sich umzuorientieren, längst in ihr gereift. „Ich bereue nichts. Aber jetzt mache ich etwas, das mir Spaß macht und mir guttut“, sagt Royer im Rückblick. Ihre Familie und Freundinnen beschreiben sie als entspannter und gelassener.
Als der Wunsch in ihr immer stärker wurde, den lukrativen Job als Vermögensberaterin an den Nagel zu hängen und ihr Hobby zum Beruf zu machen, besprach sie den Schritt mit ihrem Mann. „Ich habe das Glück, einen sehr unterstützenden Partner zu haben.“ Ihr Mann, ein Weinhändler und ebenfalls selbständig, kennt den Stress und das Risiko gut, die Selbständigkeit bedeuten. Aber er versteht auch sofort, dass Royer etwas machen will, das ihr mehr Erfüllung bringt.
Nur ein ehemaliger Kollege fragt Royer entgeistert, von was sie leben wolle, erinnert sie sich lachend. Offenbar hatte der nicht mitbekommen, dass in Europa immer mehr Kunsthandwerkstätten wie Pilze aus dem Boden sprießen. Eine Töpferwerkstatt im nahegelegenen Trier bieten Kurse an, wo Kinder Tassen und Teller bemalen können. „Bei mir können sie sie auch selbst herstellen“, sagt Royer. Ihre Werkstatt ist die einzige im Land, wo Anfänger an Drehscheiben ihre eigenen Tassen drehen können.
Doch bevor es so weit war, musste sie die Werkstatt aufbauen. Ihr Mann war es, der ihr dazu riet, während sie in Paris für ihr CATP lernte, mit der Lokalsuche zu beginnen, denn nicht nur Wohnungen, auch bezahlbare Geschäftsräume sind in Luxemburg schwer zu finden. Sie hat Glück und wird fündig: Die Räume an der Route de Longwy sind ideal: vorne der große helle Raum mit dem Gruppentisch, an dem die Kurse stattfinden. Auf liebevoll angebrachten Regalen stehen getöpferte Kaffeetassen in leichten Pastellfarben und ohne Henkel, wie sie gerade modern sind. „Das sind meine eigenen Stücke, die ich auf dem Marché des créateurs im Mudam verkaufen will“, sagt Royer, erfreut darüber, dass sie teilnehmen kann.
Über einen Flur geht es in den hinteren Raum, Richtung Garten. Dort steht der Hochleistungsofen, in dem die Waren getrocknet, respektive gebrannt werden. „Die erste Phase dauert etwa zwei Tage, der zweite Durchgang mit der Glasur ungefähr drei“, erklärt Royer. Mit der grünen Schürze und den aufgekrempelten Ärmeln ist von der adretten Vermögensverwalterin nichts mehr zu sehen. In der Buchführung dagegen sehr wohl. „Meine Erfahrung half mir natürlich beim Erstellen eines realistischen BusinessPlans“, sagt sie, und für einen kleinen Moment hört man die Finanzexpertin reden: Angespartes Vermögen investiert Royer in die Anschaffung der Geräte und des Materials. Ins Abenteuer Töpferwerkstatt startet sie ohne Schulden. „Das ist mir wichtig.“
„Vorsichtig!“, ruft sie plötzlich aus. Über eine steile Wandeltreppe geht es in den Keller zum Gasofen. „Er kann hochwertigere Farben und Glasuren brennen. Um ihn bedienen zu können, muss ich eine Zusatzausbildung absolvieren“, sagt Royer. Die gute Balance für die eigene Produktion und den Töpferkursen für Kinder und Erwachsene (Termine unter www.atelierceramique.lu) muss sie noch finden. Denn die Kurse garantieren bisher ein geregeltes Einkommen.
Zu Royers Kundschaft zählen ein Sterne-Restaurant und mehrere Architektenbüros. „Meine Kunden wollen etwas Einmaliges, ein Unikat. Das bekommen sie hier.“ Keine Tasse, keine Vase ist wie die andere. Jedes Stück wird sorgfältig mit der Hand angefertigt. Bestellungen dauern etwas länger; Boyer versucht nicht, zu viel auf Lager zu halten, dafür ist der Laden zu klein. Geht ein Stück einer Serie kaputt, kann es jederzeit nachgemacht werden. „Ich glaube, das ist es, was die Leute am Töpfern begeistert: Alles geht bewusster: die Herstellung, der Kauf, die Nutzung.“