Märchenhaft eingetaucht in ein nächtliches Dunkelblau, in ein schauriges Rot ist die karge Kulisse im Kapuzinertheater. Ein merkwürdiges, schlaksiges Männlein mit Zylinder und Gehrock sitzt, vom Mondschein geblendet, stockstarr auf einem Stuhl, dann zuckend, später auf dem Bühnenboden hin und her stürmend. Dem Publikum entgegengestreckt, miaut die selbe Gestalt von der Balustrade des Balkons auf der rechten Seite. Vom nackten Hinterteil des Geldschweins über die trauernde Mutter bis hin zum zynisch-erheblichen Schatten eines Gelehrten lässt Darsteller Luc Feit ein siebzigminütiges Feuerwerk an bekannten und weniger bekannten Werken des dänischen Märchenerzählers Hans Christian Andersen (1805-1875) hochgehen.
Nun legt die Vorstellung eines Feuerwerks die Vermutung nahe, es handle sich hier lediglich um Glitzer, ein farbenfrohes Spektakel mit begleitenden Ahs und Ohs aus der Mitte des Publikums. Doch dies wäre zu kurz gegriffen. Die Zusammenarbeit zwischen Feit und dem ihn am Cello begleitenden André Mergenthaler stellt sich als rasante Unterhaltung heraus, in der sich die Atmosphäre eines Jahrmarkt-Gaukelspieles mit jener eines tragischen Schauers abwechselt und zugleich das Werk des dänischen Dichters in seiner reichhaltigen Lexik gefeiert wird. Die teils rhythmisch-frechen, teils melancholischen Cello-Klänge festigen die Dramaturgie in klare Stimmungsbilder.
Und doch wird eines gewiss: Johannes Zametzers Regie-Arbeit Wär ich doch früher jung gewesen entpuppt sich als eine One-Man-Show für Luc Feit, der hier mit vollem Einsatz, speiend, erzählend, schreiend und sich verdrehend das Publikum in seinen Bann zieht. Spielt die Frage danach, ob der Funke übergesprungen sei, zumeist eine Rolle bei Musikkonzerten, so kann selbige auch auf die Beziehung zwischen dem Darsteller und seinem Publikum übertragen werden und in diesem Falle mit einem glasklaren „Ja“ beantwortet werden.
Feit führt die Zuschauer durch ein abwechslungsreiches Figurenkabinett aus Andersens Gesamtwerk. Das herzergreifend traurige Das Kind im Grabe lässt er zum Moment romantisierter Trauerarbeit und schlussendlicher Lebensbejahung hochleben. In Das Geldschwein mimt er klagende Spucknäpfe, nette Kissen und Puppen, ohne dabei jedoch die Rolle des Erzählers zu vernachlässigen. Mit dem Mittel einer fantasievoll simplen Körpersprache gibt er sich als die Eiche und die Eintagsfliege in Der letzte Traum der alten Eiche, bevor er mit dem Schatten aus Andersens gleichnamigem Märchen und dem berühmten Text über Des Kaisers neue Kleider die wohl umfangreichsten Erzählungen des Abends präsentiert.
Mimt? Präsentiert? Erzählt? Es mag wohl diese verwischte Grenze zwischen Darstellung und Erzählung die Wucht der Produktion prägen. Die Rasanz, mit der Feit von einer Rolle in die andere schlüpft, und dazu oftmals parallel mit dem leidenschaftlich aufspielenden Mergenthaler in einen gestischen Dialog tritt, lässt den Zuschauer atemlos zurück.
Dabei bildet gerade jene „eventyre“ einen Ruhepol, in der Andersen das zentrale Motiv einer tiefgreifenden Trauer verarbeitet hat. Sie bringt die Mutter des Nachts um den Schlaf. Im Schutz der Dunkelheit zieht es sie an das Grab des verstorbenen Kindes. Im Traum begegnet sie ihm und wird auf ihre Verantwortung für die hinterbliebenen Kinder hingewiesen: Eine Lebensbejahung am Ende einer erschütternden Erzählung, die Feit mit der nötigen körperlichen Ruhe und Sänfte spricht. Ein Moment zum Durchschnaufen bietet diese atmosphärisch zutiefst geladene und verdichtete Szene keineswegs, und doch liefert sie dem Zuschauer die Gelegenheit, sich zu besinnen und sich vom Figuren-Potpourri für Minuten ab- und dem seelischen Leid dieser einen Frau zuzuwenden.
Wär ich früher nur jung gewesen ist letztlich eine ergreifende, witzige und handlungsreiche Hommage an Hans Christian Andersen, der in dieser Collage aus autobiografischen Zeugnissen und Märchenerzählungen, einer Zusammenstellung von Anik Feit, auf sehr liebenswürdige Art in Wort, Klang und Ton gewürdigt wird. Dieser Andersen-Abend ist einem Dichter gewidmet, der mit seinen Texten die Massen erreicht hat. Und darauf zielt das Kapuzinertheater ab. Im guten Sinne.