Agatha

Je vous aime

d'Lëtzebuerger Land du 04.02.2010

Kann eine Autorin wie Marguerite Duras ihre Zeit überleben? Werden ihr Esprit, ihre Sprache und ihr lebenslanges Engagement gegen politische Unterdrückung und willkürlichen Machtmissbrauch ins 21. Jahrhundert hinein wirken? Werden ihre Theaterstücke noch aufgeführt, ihre Filme noch angesehen, ihre Texte noch gelesen und kontrovers diskutiert werden?

Agatha, ein eher unbekanntes Werk der 1996 verstorbenen französischen Autorin, findet dieser Tage im Théâtre du Centaure zu neuem alten Glanz. Die Inszenierung von Marja-Leena Junker ist ein Hochgenuss durch die hervorragende Darbietung des Duras-Textes. Dabei ist nichts gegeben, bei Agatha. Es ist ein komplexer Text, in der klaren Schlichtheit der Sprache, die Marguerite Duras’ Stil auszeichnet. Ebenso charakteristisch für die Autorin ist die Wahl eines in der Gesellschaft tabuisierten Themas: Im Mittelpunkt von Agatha steht die inzestuöse Beziehung zwischen einer Schwester und dem älteren Bruder.

Wir treffen auf Agatha und ihren Bruder (ohne Namen) in der leidvollen Situation eines endgültigen Abschie-des, der von Agatha in konsequenter Entschiedenheit herbeigeführt wird. Diese beiden Menschen, die die Erinnerung an eine gemeinsame Kindheit in der Vergangenheit und der Ab­schiedsschmerz der Gegenwart eint, im Strudel verbotener Gefüh-le und ausgedrückter körperlicher Anziehung, sehen, fühlen und sprechen sich ein letztes Mal: „Partir pour toujours.“

Marguerite Duras schrieb Agatha 1981 nach eigenen Aussagen in Verbindung von zwei Elementen: der Lektüre von Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften, in dem die Hauptperson eine Inzest-Beziehung zur Schwester Agathe unterhält, sowie der Erinnerung an die eigene Jugend und das Leben mit dem jüngeren Bruder. Duras, die in ihren zahlreichen Werken immer wieder Re-ferenzen an das eigene Leben und Erleben verarbeitet, zeichnet auch in Agatha Bilder, in denen sich die Biografie der Autorin widerspiegelt: die stimmungsvolle Evokation der Landschaften Südfrankreichs, die immer wiederkehrende Kraft des Blau des Meeres, die starke Figur der Mutter, der explizite Ausdruck von Geschwisterliebe. Duras wollte diese Liebe, die in ihrer letzten Konsequenz zum Inzest führen kann, nicht in der öffentlichen Diskussion bewertet sehen. Sie bringt zum Ausdruck, dass es „den anderen“ nicht zusteht diese Liebe mit Schuld, Verbot und der Schwere der kriminellen Tat zu belasten: „Il s’agit d’un amour qui ne se terminera jamais, qui ne connaîtra aucune résolution, qui n’est pas vécu, qui est invivable, qui est maudit, et qui se tient dans la sécurisation de la malédiction.“

Agatha, so scheint es, ist das optimale Stück für die Regiearbeit der erfahrenen Marja-Leena Junker und für ihr kleines Theater, das mit seinen besonderen räumlichen Gegebenhei­ten den Inszenierungen die Grenzen des Machbaren weist. Marja-Leena Junker hat der glasklaren, präzisen Sprache der Marguerite Duras Rechnung getragen und die Inszenierung in wirkungsvoller Schlichtheit gehalten. Zwei weiße Schrägwände als einzige Kulisse, in deren dreieckigem, knapp bemessenem Raum die beiden Schauspieler agieren.

Dass man in Monologen oder Dialogen das wahre Können der Schauspieler erkennt, ist eine altbekannte Binsenweisheit der Theaterkritik, die sich hier abermals bewahrheitet. Was Nicole Dogué und Christophe Ratandra in der etwa 75-minütigen Darbietung zeigen, ist hohe Schauspielkunst. Wobei ebenso viel Intensität im „Non-dit“, in Mimik und Blicken liegt, wie in den mit viel Sensibilität vorgetragenen Dialogen. Das was gelingt: man hört zu. Es wirkt: Intensität und Glaubwürdigkeit. Zu einer hervorragenden Musikkomposition von René Nuss.

Der Besuch dieser Inszenierung von Agatha sei den Theaterliebhabern angeraten, die nach viel Mittelmäßigkeit auf Luxemburgs Kleinbühnen mal wieder den Beweis einer gelungenen Zwei-Personen-Inszenierung sehen wollen, und es sei den Freunden guter Literatur angeraten, die, tout simplement, Sprache genießen wollen: „Vous étiez très beau sans jamais vouloir le paraître, jamais, et cela donnait à votre beauté la grâce insaisissable de l’enfance.“

Agatha von Marguerite Duras, Regie: Marja-Leena Junker; Bühne und Kostüme: Jean Flammang; Musik: René Nuss; mit Nicole Dogué und Christophe Ratandra; eine Produktion des Théâtre du Centaure; weitere Vorstellungen am 5., 6., 10., 12. und 13. Februar jeweil
Anne Schroeder I
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