„Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Dieses erste und grundlegendste Axiom der Watzlawick’schen Kommunikationslehre steht wie ein Keil, fest eingerammt zwischen ihr und ihm. Alles ist Information. Lesen, Schweigen, Babygewimmer, ein „Wie geht’s?“, ein „Gut“, Stille. Man kommt miteinander klar. Jeder Lidschlag entscheidet über Stimmung, jede Verlegenheitsgeste spricht Bände. Verbal Unaussprechliches, vorerst. Man mag sich seit der Gymnasialzeit. Er liegt verwittert auf dem gelben Sofa, liest, schreibt, ohne zu veröffentlichen, aus Mangel an Qualitätsansprüchen, wie es heißt. Sie kauft ein, schreit nach Leben, huscht hektisch von links nach rechts. Dazwischen ein Kind, „ein schönes Kind“, wie die Schwiegereltern betonen. „Das Kind ist wirklich, sehr, es ist sehr schön“. Sie sind zu Besuch. Schön. Sie verlassen das kalte, weißliche Haus, noch bevor sie mental angekommen sind.
Pol Cruchtens Inszenierung von Et la nuit chante des norwegischen Romanciers, Lyrikers und Dramatikers Jon Fosse ist Teil der „Kunst des Nordens“, die sich das TNL für die laufende Spielzeit auf seine Fahne geschrieben hat. Marc Baum spielt ihn, Lili Schackert spielt sie. Fürwahr, die Inszenierung ist kein Meisterwerk der Diktion. Nicht selten verhaspeln sich die Darsteller, doch kann man ihnen dies gerade angesichts der Textvorlage, die Fosse liefert, verzeihen. Et la nuit chante erweist sich als Collage alltäglicher Kommunikationsfloskeln, als Flickwerk unzähliger Worthülsen, die aufgrund ihres phrasenhaften Nichts von ihrer semantischen Ebene, ihrer wahren Bedeutung, losgerissen sind. Vielleicht entpuppen sich diese Diktionsschwächen im Nachhinein als ungewollter Geniestreich: Jon Fosse treibt das Kommunikationsmittel schlechthin zur Bedeutungsleere. Nicht der Mensch beherrscht die Sprache, sondern die Sprache den Menschen. Die eine oder andere Ungenauigkeit ist Programm. Sprache wird nur noch benutzt, um das zu verbergen, was eigentlich ans Tageslicht kommen soll, und um Stille zu vermeiden. Jon Fosses Drama ist ein Drama der Kommunikationsfülle im Hinblick auf die Leere der verbalen Sprache.
Fürwahr, die Schwäche der Darstellung mag damit zu sehr ins positive Licht gerückt sein. Doch das hat die Produktion verdient: Vor überschaubarem Publikum präsentiert sich ein rhythmisch sehr klares, in seinen Retardationen gewollt unerträgliches, in seiner Hektik mitreißendes Gesamtbild. Die bewusst gezwungene, angespannte Mimik der Schauspieler vermittelt den Abgrund zwischen den Figuren. Die kahlen Wände der weiß gestrichenen Wohnung, die Baumskelette hinter der nach hinten offenen Räumlichkeit ergeben ein intensives Stimmungsbild des Zauderns. In laszivem Signalrot geschminkt und gekleidet flüchtet sie ins Nachtleben, ins erotische (?) Abenteuer, flüchtet sie vor ihm, dem Schläfrigen. Schlafen möchte sie hingegen, urplötzlich und schnellstmöglich, als er sie nach ihrer Rückkehr um die Wahrheit bittet. Nur Stunden später steht sie vor dem vermeintlich unwiderruflichen Entschluss, ihn für Baste, ihren Liebhaber, zu verlassen: „Ich werde jetzt gehen.“ Das Wortfeld des Abschieds verliert sich nicht mehr im Nebulösen des Floskelhaften. Die Wiederholung dieser Wortstämme zeugt von der greifbaren Angst davor, der Leere zu entfliehen. Denn seine Botschaft feuert Fosse mit einer Breitseite ab: Nur die Angst vor der Veränderung würgt mehr als jene vor der existenziellen Leere. Wird sie ihn tatsächlich verlassen? Es steht der Entschluss. Es fehlt die Tat.
Pol Cruchtens Inszenierung ist sicherlich nicht spektakulär, doch eines hat einer der fähigsten Luxemburger Regisseure in Zusammenarbeit mit dem Dramaturgen Andreas Wagner bravourös gemeistert: Et la nuit chante erweist sich als eine zurückhaltende Regiearbeit, die sich in den Dienst einer in sich ausreichend explosiven Vorlage stellt.