Zugegeben, das Thema ist ein alter Hut! Adam und Eva, Mann und Frau, dazu eine Prise vom biblischen Sündenfall aus dem ersten Buch Moses, am Ende die Verbannung aus dem Paradies. Und doch lassen bereits die ersten Sätze erahnen, dass dieser Abend Überraschendes bieten wird: „Dieses neue Geschöpf mit den langen Haaren steht mir ganz schön im Weg. Es lungert nur rum und rennt hinter mir her. Ich mag das nicht, ich hatte vorher ja auch keinen Begleiter. Warum bleibt es nicht bei den anderen Tieren?“ Feststellungen dieser Art prägen die Komik der gesamten Vorstellung. Wenn der biblische Mythos des Testosteron-Machos schlechthin bereits in Eden auf diese Weise über die ihm zur Seite gestellte Frau richtet, was, ja was blüht der heterosexuellen Zweisamkeit erst recht außerhalb des „Parks“, dort, wo Gut und Böse nicht nur existieren, ja der Mensch sogar um sie weiß und Gott in weite Ferne gerückt zu sein scheint?
In einer Koproduktion mit dem Eigenreich-Theater Berlin hat das Kasemattentheater eine dramatische Collage erarbeitet: In einem Zusammenschnitt von Mark Twains urkomischer und messerscharfer Schöpfungs-Parodie Auszüge aus Adams Tagebuch, Texten von Fritz Kater und Gedichten von William Blake (etwa The Echoing Green) führen uns die Darsteller Fabienne Elaine Hollwege und Germain Wagner auf einer furiosen Achterbahnfahrt von Lug und Trug, geschlechtsspezifischer Reflexionslogik, nachdenklicher Endzeitstimmung und hinreißend komischem Geschlechterzwist durch eine Jahrtausende übergreifende Biografie.
Hollwege und Wagner liefern sich dabei einen mimischen Schlagabtausch der Extraklasse, geprägt von Spielfreude, körperlichem Einsatz und bitterbösem, ironischem Einschlag. Zum Teil geben sie, ans Publikum gerichtet, die Redebeiträge des anderen in rasantem Wechsel erzählend wieder. Zum Teil zerfleischen und lieben sie sich vom Publikum abgewandt, volle Fahrt voraus, mit Kurs in den Wahnsinn der Geschlechter. Es ist eine Freude, den beiden zuzuschauen.
In der Tat liefert der Biss in den Apfel vom Baum der Erkenntnis den Ursprung für die folgende Generationenbiografie, in der der Nachkomme Cain den Bruder Abel aus Neid erschlägt und das Zusammenleben zwischen Mann und Frau wie ein in sich absurdes, in sich unmögliches gesellschaftliches Modell erscheint. Regisseur Aureliusz Smigiel liefert jedoch eine neue Metapher: Das Haus besteht aus an einem Metallrahmen herunterhängenden Backpapier-Folien, die im Laufe der Handlung zu unterschiedlichsten Requisiten zerrissen und geformt werden. Selbst die atmosphärischen Veränderungen, die chronologischen Sprünge von der hingepinselten Fauna Edens bis hin zu dem projizierten Plattenbau der Neuzeit, ja zuletzt die Nachkommen Cain und Abel entstehen auf der Basis des selben Rohstoffs, dem Papier. So wird der Bühnenboden zusehends von Schnipseln übersät, die vor Wut oder Freude von den Protagonisten aufgewühlt, durchgeknetet oder zerbissen werden. Ist das Zusammenspiel beider Geschlechter von Anfang an dazu verdammt, so dünn und leicht zerreißbar wie filigrane Cellulose zu sein?
Nein. Der gemeinsame Werdegang von Mann und Frau ist zwar geprägt von Drangsal, Cholerik, Sadismus und Tod. Doch schlussendlich stehen diesen Schattenseiten auch Liebe, Freude und Lebenserfüllung in ebenbürtigem Maße gegenüber. Dies ist eine Erkenntnis, die Gut und Böse nach Leibniz‘ Vorstellung der „besten aller möglichen Welten“ als komplementäre Notwendigkeiten festlegt. „Ich lebe viel lieber mit ihr außerhalb des Gartens als ohne sie im Garten. Früher glaubte ich, sie rede zu viel; aber nun wäre ich traurig, wenn ihre Stimme verstummte und aus meinem Leben verschwände.“ Mann und Frau passen zusammen. Trotz des Wahnsinns. Dank des Wahnsinns.
Diesem Beitrag sei jedoch noch eine letzte Beobachtung beigefügt: Über die reine Handlung hinaus bietet Adam und Eva eine willkommene Gelegenheit, das klischeehafte Bild vom literarischen Vater der Romanfiguren Tom Sawyer und Huckleberry Finn, Mark Twain, in die sprach- und gesellschaftskritische Richtung zurechtzurücken. Wohl aus selbigem Grund enthält das für diese Vorstellung verteilte Programmheft einige geniale Aphorismen und Zitate aus dem Werk des vor 100 Jahren verstorbenen US-Amerikaners. Um ein Neues bietet das Haus in der Rue du Puits einen nicht nur vollends unterhaltsamen, sondern auch originellen Abend.