Schon wieder in den Schlagzeilen. Seit bekannt wurde, dass im Centre pénitentiaire binnen kürzester Zeit ein Ausbruch und zwei Tote zu beklagen waren, darunter ein Selbstmord und ein Drogentoter, der erst vor kurzem in die U-Haft eingeliefert worden war, vergeht fast kein Tag, an dem die Medien nicht überdas Gefängnis berichten. Das war bei der Brandkatastrophe im Block P2 nicht anders, als Flüchtlinge aus Protest über ihre miserablen Haftbedingungen Feuer legten und einMann dabei ums Leben kam. Inzwischen hat sich die Lage beruhigt, die Betreffenden wurden verlegt oder abgeschoben – und das mediale Interesse an ihnen ist wieder erloschen. Bis zur nächsten Eskalation.
Übersehen wird dabei, dass in der mit über 650 Insassen seit Jahren hoffnungslos überfüllten Haftanstalt der Ausnahmezustand und Menschenrechtsverletzungen längst zum Alltag geworden sind. Die Abschiebehäftlinge machen nur einen geringen Teil von insgesamt rund 500 ausländischen Gefangenen in Schrassig aus. Erstmals liegt eine wissenschaftliche Veröffentlichung der Universität Luxemburg1 über ihre Lage vor – und sie fördert Bedenkliches zu Tage.
Dass der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Luxemburgs Gefängnissen am europäischen Durchschnitt gemessen mit 71 Prozent recht hoch ist, überrascht auf den ersten Blick nicht sonderlich. Die Zahl ausländischerGefangener steigt europaweit, Ergebnis unter anderem der durchlässig gewordenen Grenzen und der globalisierten Märkte, die neben Einwanderern auf der Suche nach einem besseren Leben auch das grenzüberschreitende Verbrechen anlocken. In Luxemburgleben fast 40 Prozent Nicht-Luxemburger, da liegt es nahe, dass sichdieses Phänomen im Gefängnis fortschreibt. Auffällig ist aber: Mit vier Fünftel, also über 70 Prozent ausländischer Gefangenen, fällt ihr Anteil überproportional hoch aus. Anders als bei den luxemburgischen Insassen, deren Anteil in den vergangenenJahren stagniert, erklimmt die Zahl der ausländischen Strafgefangenen von Jahr zu Jahr neue Rekordhöhen. In Schrassig sitzen Straftäter aus über 40 Nationen.
„Eine höhere Verurteiltenrate bedeutet nicht zwangsläufig eine höhere Strafanfälligkeit“, warnt Autor Stefan Braum, Rechtsprofessor an der Uni Luxemburg, all diejenigen, die angesichts dieser Zahlen allzu schnell die Mär vom „kriminalitätsanfälligeren Ausländer“ verbreiten. Internationale Kriminologen haben wiederholt nachgewiesen, dass kriminellesVerhalten auch von der soziokulturellen Herkunft abhängt. ObArmut, Schulbildung, Arbeit – ausländische Menschen sind gegenüber der einheimischen Bevölkerung vielfachbenachteiligt. Einer Expertise des Kriminologischen Forschungsinstituts in Niedersachsen von 2004 zufolge haben sowohl deutsche als auch nicht-deutsche Arbeitslose ein vielhöheres Risiko, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt zu werden als Angeklagte mit einer regulären Beschäftigung.2 Eine Sanktionspraxis, die sich für Ausländer insofern besondersnachteilig auswirkt, weil sie weit häufiger als einheimische Deutschevon Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Komischerweise ist in Luxemburg laut polizeilicher Kriminalstatistikvom März 2007 die Zahl der mutmaßlichen ausländischen Straftäterrelativ sogar gesunken, ein positiver Trend, der sich im Strafvollzug so aber nicht nachvollziehen lässt. Noch etwas lässt sich aus der Statistik ablesen: Besonderes Augenmerk der Polizei gilt den Drogendealern. Die Zahl der gemeldeten Drogendelikte ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und hat sich nunauf bei rund 1 200 erfassten Straftaten jährlich eingependelt. Personelle Verstärkung und erhöhte Präsenz an einschlägigen Orten machen es möglich. Das energische Durchgreifen der Ordnungshüter in diesem Bereichbleibt nicht ohne Folgen für die Gerichte und den Strafvollzug: 2005 waren mehr als 80 Prozent aller Untersuchungsgefangenen wegen Drogendelikten in Haft. Diegroße Mehrheit der über 300 U-Häftlinge stammt nicht aus Luxemburg; es sind viele Portugiesen und Franzosen darunter, die meisten aber kommen aus afrikanischen Staaten. Hinzu kommt, dass bestimmte Delikte für Luxemburger gar nicht existieren: Sondergesetze für Ausländer haben Ausländergesetzverstöße zur Folge.
So trägt eine bestimmte Ermittlungsarbeit dazu bei, dass die Zahlder Ausländer in Schrassig steigt. Die Schieflage setzt sich vor Gericht fort, wenn Richter immer härter durchgreifen. Während die Kurzstrafen von weniger als einem Jahr von 15,7 Prozent im Jahr 2001 auf 9,4 Prozent im Jahr 2006 zurückgingen, nahmen die Verurteilungen zu Haftstrafen von ein bis drei Jahren im selben Zeitraum von 35 auf fast 47 Prozent zu. Nach Nationalitätaufgeschlüsselte Daten liegen nicht vor, doch hinter vorgehaltener Hand geben selbst Staatsanwälte zu, dass einige Richter „über das Ziel hinausschießen“ und bei ausländischen Tätern besonders drakonische Sanktionen verhängen. Ausländer würden für dieselben Delikte härter bestraft als Luxemburger, so der Vorwurf eines regelmäßigen Besuchers, der seinen Namen nicht in der Zeitunglesen möchte. Direktor Theis denkt offenbar ähnlich: „Wir habensehr viele Gefangene mit hohen Haftstrafen.“ Ausländer ohne Geldfür einen guten Anwalt, die sich aufgrund von Sprachschwierigkeiten nicht verständigen können, haben vor Gericht schnell das Nachsehen.
Das wiederum, sagen Sozialarbeiter, habe gravierende Auswirkungen auf die Motivation der Verurteilten und auf deren Rückfallrisiko: Wer sich von der Justiz zu Unrecht verdonnertsieht, fühle sich zwangsläufig als Opfer und nicht als Täter – einewesentliche Voraussetzung, umsoziale Reintegration erfolgreich zu ermöglichen, ist somit nicht gegeben.
Dabei sollte die Wiedereingliederung in die Gesellschaft eigentlichein Hauptzweck des Strafvollzugs sein. Vincent Theis und Gefängnispsychologe Lucien Kurtisi betonen zwar beide: „Ausländer und Luxemburger werden bei uns gleich behandelt“.Überprüfbar ist die Behauptung nicht. Die Anfrage des Land,ausländische Strafgefangenen selbst zu ihren Haftbedingungen und Resozialisierungsmaßnahmen befragen zu können, wurde vom Justizministerium mit dem Hinweis abgelehnt, so etwas sei „bei uns generell nicht üblich“. Wissenschaftlich begleitete Befragungender Haftinsassen, wie sie 2006 nach erheblichem öffentlichenDruck in Frankreichs skandalgeschüttelten Gefängnissen durchgeführt wurden, fehlen ebenfalls – und geht es nach Vincent Theis, wird sie es auch in Zukunft nicht geben. Luxemburgs Gesellschaft sei dafür „noch nicht reif“, so die verwunderlicheArgumentation.
Dass Theis, der jahrelang eine solche Studie befürwortet hat, nun diese Kehrtwende vollzieht, erstaunt nicht. Im chronisch überfüllten Gefängnis dürften die Gefangenen viel zu beanstanden haben; der fehlende Zugang zur Arbeit und zu psychosozialen Betreuungsmaßnahmen, wie sie sich beim Ombudsmann Marc Fischbach stapeln, werden da noch die harmloseren Beschwerden sein. Gibt es Gewalt und Rassismus zwischen Gefangenen, aber auch zwischen Wärtern und Gefangenen? Das Personal versucht vielleicht sein Bestes, aber aus Platzmangel ist es nicht immermöglich, gewaltbereite rivalisierende Clans voneinander zu trennen. Obwohl Menschenrechtsorganisationen seit Jahren fordern, das Personal in interkulturellem Konfliktmanagement zu schulen, ist das immer noch nicht geschehen.
Ist die gesundheitliche Versorgung wirklich viel besser geworden, wie es der Bericht des Nationalen Ethikkommision schreibt? Die Befragung könnte etwas Licht ins Dunkel bringen. Das würde dann aber auch bedeuten: Konsequenzen für die Verantwortlichen. Als Folge der Befragungen in Frankreich soll nun ein unabhängiger Chefkontrolleur für die französischen Haftanstalten eingeführt werden. Justizministerin Rachida Dati will darüber hinausnoch in diesem Herbst einen Gesetzentwurf über grundsätzlich einzuhaltende Haftstandards vorlegen.
Dass es in Luxemburg mit der sozialen Reintegration von ausländischen Gefangenen nicht ganz weit her ist, zeigt noch eine weitere Beobachtung, die Stefan Braum gemacht hat: Stellen in Schrassig die Ausländer die Mehrzahl der Gefangenen, verhält essich in der halboffenen Vollzugsanstalt in Givenich genau umkehrt. Das liegt sicherlich daran, dass laut Gesetz von diesen Vollzugslockerungen nur derjenige profitiert, der einen Wohnsitz in Luxemburg vorweisen kann. Damit ist ein Großteil der ausländischen Gefangenen von vornherein von derartigen Straferleichterungsmaßnahmen ausgeschlossen – was wiederum ihre Resozialisierungschancen merklich schmälern dürfte. Der diskriminierende Artikel 1 vom Strafvollzugsgesetz von 1855,wonach Ausländer ohne Wohnsitz in Luxemburg inhaftiert und gegen das Gesetz verstoßen hatte, provisorisch fest genommen nur gegen Zahlung einer Geldstrafe freigelassen wurde, wurde zwar vor kurzem abgeschafft. Wegen erhöhter Flucht- undVerdunklungsgefahr ist es aber auch in Zukunft erlaubt, Nicht-Luxemburger provisorisch in Gewahrsam zu nehmen.
Ausländische Gefangene können von einer früheren Haftentlassung nach Artikel 100 des Code pénal profitieren, aber nur wenn sie legal imLand sind. Wer hier keinen Wohnsitz vorweisen kann, wird abgeschoben. Sofern die nötigen Papiere für die Rückreisevorliegen. Mit verschiedenen Botschaften – Liberia, Nigeria, Sierra Leone – klappt die Zusammenarbeit laut Gefängnisverwaltung gut, andere Häftlinge müssen Jahre auf ihre Papiere warten oder erhalten sie gar nicht erst. Sie schmoren entsprechend länger in Gewahrsam.
„Ausländische Gefangene sind mehrfach benachteiligt: bei der Strafverfolgung, vor den Gerichten und später im Strafvollzug“, fasst Stefan Braum den diskriminierenden Teufelskreis zusammen. Dass sich daran sobald etwas ändern wird, glaubt der Rechtswissenschaftler schon wegen der „fatalen Sicherheitsorientierung“ der derzeitigen Strafvollzugspolitik nicht. Auch dann nicht, wenn Zeitungen die nächsten Hiobsbotschaftenaus dem Gefängnis melden.
1Foreigners in Europe, herausgegeben von Anton van Kalmthout, Femke Hosteen-van der Meulen und Frieder Dünkel, Chapter 17: "Luxembourg", by Stefan Braum
2Probleme der Kriminalität bei Migranten undintegrationspolitische Konsequenzen. Von ChristianPfeiffer, Matthias Kleimann, Sven Petersen und Tilmann Schott, Hannover 2004