Die sechsten Economy days, man kann es nicht anders sagen: Sie waren kein Hit. Inhaltlich war diese Ausgabe des vom Observatoire de la Compétitivité, Pricewaterhousecoopers und der Fedil organisierten Wirtschaftsforums in etwa so erfrischend wie der trockene Kastenkuchen, der in den Pausen zu Thermoskannenfilterkaffee und Punica-Saft gereicht wurde. Organisatorisch lief es auch nicht wirklich rund, und damit waren die Wirtschaftstage Sinnbild für die Probleme, die dem nachhaltigen Wachstum Luxemburgs, nach dem erklärtermaßen alle streben, im Wege stehen.
Große Überschrift der Veranstaltung war dieses Jahr: „Luxemburg in der Großregion: Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum“. Das ließen sich viele eine Warnung sein und blieben ihr von vornherein fern. Zum Auftakt am Dienstag war der Konferenzsaal in der Handelskammer nicht mal zur Hälfte gefüllt, kaum 100 Personen, Organisatoren, Journalisten, Redner inklusive, hatten sich eingefunden. Vielleicht lag es auch daran, dass die geladenen Teilnehmer beim Lesen der Einladung an ein Déjà-Vu glaubten. Standen die Wirtschaftstage 2010 doch schon unter dem Thema „Luxemburg als Teil der Großregion: Eine Vision zur Stützung der wirtschaftlichen Entwicklung“. Selbst Moderator und Vorzeige-Luxemburger von PWC, Luc Henzig, wusste nicht, wie er dem Publikum die Themensetzung schmackhaft machen sollte, murmelte etwas von Zusammenfassung oder Abrundung.
Wer nicht kam, verpasste nicht viel. Denn die Studie über die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in der Großregion, deren Ergebnisse die Unternehmensberater von PWC vorstellen wollten, ist noch nicht fertig, weswegen es verständlicherweise noch nicht ganz so viele Ergebnisse vorzustellen gab. Zur Unterhaltung durften die Teilnehmer stattdessen mit elektronischen Abstimmungsgeräten die gleichen Fragen beantworten wie schon die KMU im Rahmen der unvollständigen Studie. Dass das eine Übung von fragwürdiger Bedeutung und Aussagekraft war, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass ein Großteil der wenigen Konferenzteilnehmer meinte, die Luxemburger Regierung habe vergleichsweise wenig zur Rezessionsbekämpfung getan. Die vielen Millionen, die aus dem Beschäftigungsfonds in die Kurzarbeitsmaßnahmen flossen, hatten sie wohl nicht mehr präsent, als sie sich für A, B, C oder D entscheiden sollten.
Sogar das Redneraufgebot am zweiten Wirtschaftstag konnte keine wesentlich größeren Massen in die Handelskammer locken. Der wegen seiner Gutachten zur Luxemburger Wettbewerbsfähigkeit bei Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretern höchst umstrittene französische Wirtschaftsprofessor Lionel Fontagné, Zentralbankchef Yves Mersch und Serge Allegrezza, Direktor des Statistikamts Statec und auch Leiter des Observatoriums zur Wettbewerbsfähigkeit, dessen Indikatoren auf Basis der Zusammenarbeit mit Fotagné zustande kamen, bemühten sich, die Wettbewerbsfähigkeit aus volkswirtschaftlicher Sicht zu beleuchten. Viel Zeit hatten sie dazu nicht. Denn weil die Zuhörer nach langen Einführungen noch voten mussten, ob die Lohnstückkosten nun in Deutschland, Frankreich, Belgien oder Luxemburg am niedrigsten seien, blieb ihnen jeweilsgerade noch genug Redezeit, um eine kleine Einführung zu machen und genau zwei Fragen zu beantworten.
Dennoch war das lang genug, damit Lionel Fontagné sagen konnte, die Polemik um seinen Ende 2009 vorgelegten Bericht über die Lage der Luxemburger Wirtschaft, der pünktlich vor Beginn der Tripartite-Runde für viel böses Blut zwischen den So-zialpartnern gesorgt hatte, und damit die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen nicht eben verbessert hatte, sei unnötig gewesen. Und es war lange genug, damit Yves Mersch bemerken konnte, das Lohnindexierungssystem sei ein automatischer Übertragungsmechanismus externer Inflationseffekte wie Ölpreishaussen auf die Margen der Luxemburger Unternehmen. Und damit so sozial wie eine „Guillotine“, denn indem, das Lohnniveau der einen Arbeitnehmer hochgehalten werde, würden andere ihren Job verlieren. Niemand sei gegen einen Ausgleich von Lohnausfällen, doch der solle besser in Kollektivverhandlungen bestimmt werden, als per Gesetz. Wenn doch Indexierung, dann sollte die Lohnentwicklung hierzulande an die der Nachbarstaaten gekoppelt werden, meinte der Zentralbankchef und erntete Zustimmung. Von dem ganzen Stapel an Powerpoint-Folien, die sich der BCL-Chef zur Untermauerung und zur Ausweitung seiner Argumente vorbereitet hatte, konnte er keines zeigen.
Ob die Organisatoren beim Versuch, einen Ökonomen mit weniger arbeitgeberfreundlichen Überzeugungen als Gastredner zu engagieren, gescheitert waren oder es gar nicht erst versucht hatten – hier konnte sich das Publikum, bestehend aus Unternehmensberatern, Unternehmenschefs, ihren Mitarbeitern und Arbeitgeberverbandsfunktionären, jedenfalls in seinen Meinungen bestätigen lassen, ohne Gefahr zu laufen, sich mit kritischen Zwischentönen oder einfach nur anderen Ideen auseinandersetzen zu müssen.
Vor diesem Publikum wiesen die Firmenchefs Romain Bausch (SES), Robert Dennewald (Eurobeton), Marco Houwen (Luxcloud), Marc Solvi (Paul Wurth), und Carlo Thill (BGL-BNP-Parisbas) auf die ihrer Meinung nach größten Wachstumsbremsen hin. Dazu zählten sie zu lange und zu schwerfällige Prozeduren, den Fachkräftemangel, den Zugang zur Infrastruktur und – gut, dass Romain Bausch vom Quasi-Staatsunternehmen SES zur Stelle war, sonst hätte der Hinweis glatt gefehlt – steigende Kosten, also zunehmende Steuerlasten, wachsende Lohn-, und Lohnnebenkosten. Diese Vorzeigevertreter der Luxemburger Unternehmen waren sich einig, es werde mehr Mut gebraucht, es müsse mehr gewagt und unternommen werden. Dass die Mehrheit des gleichen Redneraufgebots, denen Respekt für ihre Arbeit gebührt, selbst nicht als Unternehmer im klassischen Sinn gelten kann, die mit einer eigenen Idee und dem eigenen Geld eine Firma von Null an aufgebaut und den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben, darauf wies niemand hin.
So blieb auch diese Diskussion reichlich oberflächlich und förderte keine neuen Erkenntnisse zutage. Wie auch, nachdem der gleiche Themenkanon vor, während und nach den Tripartite-Verhandlungen des vergangenen Jahres in einer Endlosschleife hin- und herdekliniert wurde? Danach hätte man glauben können, die involvierten Akteure – die gleichen, die bei den Tripartite-Verhandlungen im Vordergrund stehen – seien es vielleicht müde, die immergleichen Meinungen und Argumente zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit von den gleichen Leuten zu hören. Man hätte, nachdem Fedil-Präsident Robert Dennewald noch beim Neujahrsempfang seines Verbandes beide Parteien im Sozialdialog aufgefordert hatte, einsichtig zu sein und ein wenig mehr „ouverture d’esprit“ zu zeigen, hoffen können, es würde nach neuen Ansätze gesucht, um der alten Polemik aus dem Weg zu gehen.
Oder sich einstweilen vielleicht gerne anderen Themen, neuen Ideen gewidmet. Das war bei vorherigen Ausgaben der Wirtschaftstage bislang auch der Fall. In der Vergangenheit wurde dort über die Automobilzuliefererbranche, die Wirtschaftsnischen Logistik und Biotechnologie diskutiert und dazu gerne auch hochkarätige Redner aus dem Ausland eingeladen, auf deren Gesichtern man noch nicht jede Falte auswendig kennt. Die Themen also, die Hauptgegenstand der Diversifizierungspolitik des Wirtschaftsministeriums sind. Oder es wurden neue Initiativen, wie 2008 Luxembourg for Business, publikumswirksam vorgestellt. Nicht so 2011. Vielleicht, weil es auch im Untergeschoss der Handelskammer an zündenden Ideen fehlt?
Dass man in den Tiefen der Handelskammer dennoch die gleichen Themen behandelt, lag für die Konferenzteilnehmer natürlich auf der Hand: der Wettbewerbsverlust, den sie beklagen? „Ungebremst.“ Die Probleme, die sie beklagen? „Ungelöst.“ Und in Zukunft? „Wird es schlimmer.“ Als sich Wirtschaftsminister Jeannot Krecké anschließend beschwerte, die Botschaft der schwindenden Wettbewerbsfähigkeit komme draußen beim Publikum nicht an, gab es beim Publikum drinnen bestätigendes Kopfnicken. Dass das vielleicht auch mit der eigenen Ghettomentalität der Art „Wer nicht meiner Meinung ist, mit dem rede ich nicht“ zu tun haben könnte, darauf wurde nicht eingegangen.
Vom dringenden Aufruf Kreckés, der Sozialdialog müsse unbedingt wieder aufgenommen werden, fühlten sich die anwesenden Patronatsvertreter, die im Wirtschafts- und Sozialrat die Politik des leeren Stuhls verfolgen, dem Anschein nach nicht angesprochen. Von seiner Aufforderung, man möge nach der Auseinandersetzung über die Einschätzung der aktuellen Wirtschaftslage endlich die Rückzugsgefechte beenden und in die Zukunft schauen, auch nicht. Dass das eingeladene Zielpublikum ebenfalls die Politik des leeren Stuhls verfolgte, sollten die Organisatoren und vor allem die Arbeitgeberverbände als Hinweis darauf werten, dass ihre Mitglieder nur unwillig Einschreibegebühren für Veranstaltungen zahlen wollen, bei denen zwar der Bürokratieabbau gefordert wird, sie sich aber auf dem Anmeldeformular sogar für die Kaffeepausen eintragen müssen. Oder ein Hinweis darauf, dass sie bei den vielen branchenspezifischen Konferenzen, Foren, Tagungen, die sie in den vergangenen Wochen besucht haben, bereits genug Kaffee getrunken haben, und das Angebot die Nachfrage nach dieser Art von Veranstaltung mittlerweile übersteigt.