„Wir, die Staats- und Regierungschefs von xxx, leisten damit unseren Beitrag, um das Glück der europäischen Einigung für künftige Generationen zu leisten.“ In diesem pathetischen Schlusssatz fassen die Autoren des deutsch-französischen Paktes für Wettbewerbsfähigkeit ihre Ziele zusammen. Weil das Papier inhaltlich ebenso fragwürdig ist wie sprachlich, bleiben nach dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs von vergangener Woche eine Menge Fragen offen. Am Freitag dominierte der Pakt die Gipfel-Debatten. Obwohl Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Nicolas Sarkozy ihre Ideen, wie sie zur Stärkung der gemeinsamen Währung Wettbewerbsdifferenzen zwischen den Euro-Staaten reduzieren wollen, großzügig der Presse vorstellten, ihren europäischen Kollegen aber offiziell nichts vorlegten. Das hielt Angela Merkel nicht davon ab, nach dem Gipfel zu sagen, es herrsche Einigkeit darüber, dass der Pakt gebraucht werde, die Details würden bis zum EU-Gipfel im März ausgearbeitet. Was die Verwirrung um den Pakt nicht eben auflöste.
In Luxemburg outen sich bislang nur wenige vorbehaltlos als Fans. Inhalt und Form des vorgeschlagenen Paktes bereiten auch Bewunderern der deutschen Wettbewerbsfähigkeit einige Probleme. Die Vertragsstaaten des Paktes sollen ihre Wettbewerbsfähigkeit anhand von drei quantifizierbaren Indikatoren prüfen lassen: einem Indikator zur Messung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit, der unter anderem die Entwicklung der realen Lohnstückkosten beinhalten soll, einem zweiten Indikator, der die Gesundheit der Staatsfinanzen unter Berücksichtigung der impliziten Schulden (der Rentensysteme) misst, und drittens einer Mindestrate für Investitionen in Forschung, Entwicklung, Bildung und Infrastrukturen. Die Teilnehmer am Pakt sollen sich dazu verpflichten, innerhalb von zwölf Monaten ein „Sechs-Punkte-Programm für mehr Wettbewerbsfähigkeit“ umzusetzen: „1. Abschaffung von Lohnindexierungssystemen; 2. Einigung über gegenseitige Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen zur Förderung der Arbeitsmobilität in Europa; 3. Einsatz für Schaffung einer einheitlichen Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage; 4. Anpassung des Rentensystems an die demographische Entwicklung (z.B. Renteneintrittsalter); 5. Verpflichtung zur Verankerung einer ‚Schuldenbremse’ in die Verfassungen aller Mitgliedstaaten; 6. Einführung nationaler Krisenbewältigungsregime für Banken.“
Nicht wenige bezweifeln im Hinblick auf das erklärte Ziel des Paktes, also der Bewältigung der europäischen Währungskrise, die Zweckmäßigkeit der Vorschläge. Hätten diese Maßnahmen die Schuldenkrise verhindert? Kaum ein Beobachter beantwortet diese Frage mit „Ja“. Irland und Griechenland, denen die Gemeinschaft finanziell hilft, kennen keine Systeme zum Ausgleich inflationsbedingter Lohnausfälle. Zwar sind die niedrigen Körperschaftssteuersätze in Irland vielen anderen EU-Ländern ein Dorn im Auge, doch Ursprung der aus dem Ruder gelaufenen irischen Staatschulden sind sie nicht. Hätte ein harmonisiertes Renteneintrittsalter die aktuelle Krise verhindert? Kaum. Ob eine konstitutionell verankerte Schuldenbremse das gekonnt hätte, ist ebenfalls fraglich. Denn bis sich Irland gezwungen sah, seine maroden Banken zu retten, galt die gälische Führung der Staatsfinanzen als vorbildhaft. Und ob eine solche Schuldenbremse die Griechen vom Schummeln abgehalten hätte, wenn sie ohne Zögern die im Maastrichtvertrag festgesetzte europäische Schuldenbremse ignoriert haben, darf bezweifelt werden. Hätte es in Irland einen gut ausgestatten Bankenresolutionsfonds gegeben, hätte das die irische Misslage vielleicht verhindert. Doch dass die Euro-Staaten allesamt schlecht auf Bankinsolvenzen vorbereitet waren, ist wohl an allererster Stelle ein Problem mangelhafter Finanzregulierung als eines mangelnder Wettbewerbsfähigkeit.
So glückselig die Arbeitgebervertreter in Luxemburg über die deutsch-französische Schützenhilfe in Sachen Indexabschaffung, Renteneintrittsalter und Schuldenbremse sein werden, so sauer zeigte sich am Freitag Staatsminister Jean-Claude Juncker (CSV) in Brüssel. Er könne nicht erkennen, wie die Abschaffung des Index’ die Wettbewerbsfähigkeit Luxemburgs, mit seiner niedrigen Arbeitslosen-rate, niedrigen Lohnnebenkosten und den langen Wochenarbeitszeiten, noch die der Eurozone, verbessern könne, so Juncker.
Aus der Zentrale des Koalitionspartners erntet er für seinen resoluten Einsatz in Brüssel Lob. „Die bessere Koordinierung der Politiken stellt niemand in Frage und niemand bestreitet, dass man sich mit der Finanzierungssicherheit der Rentensysteme, die nach dem Umlageverfahren funktionieren, und eventuellen versteckten Schulden auseinandersetzen muss“, sagt Lucien Lux. Doch wie die Mitgliedstaaten die Probleme lösen wollen, das müsse ihnen überlassen bleiben. Den deutsch-französischen Pakt wertet er als Versuch, nicht nur die Zielsetzung, sondern die „neoliberalen“ Rezepte, wie sie zu erreichen sei, gleichermaßen vorzugeben. Das berge die Gefahr in sich, die politisch-ideologische Debatte auf nationaler Ebene auszuschalten. „Wieso will man nicht den Wettbewerb der guten Ideen spielen lassen?“, fragt der Fraktionsvorsitzende der LSAP, der eine Aktualitätsdebatte beantragt hat, damit sich alle Parteien im Parlament äußern, bevor sich die Euro-Staaten im März, noch vor dem EU-Gipfel, zu einem Sondergipfel treffen werden.
Weil es im Ringen der Sozialpartner meistens darum geht, Luxemburg einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Nachbarländern zu verschaffen, der Pakt aber darauf abzielt, derlei Unterschiede auszumerzen, droht er nicht nur den Arbeitnehmervertretern, die für den Erhalt des Index und gegen eine Anhebung des Renteneintrittsalters kämpfen, sauer aufzustoßen. Auch der erklärte Index-Gegner Yves Mersch, Chef der Luxemburger Zentralbank (BCL), warnt vor unerwünschten Nebenwirkungen des Paktes. Die Einführung einer einheitlichen Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer dürfte zu einer Erhöhung der Steuerlast der Unternehmen führen, sagte er am Montag im Rahmen der Norbert-von-Kunitzky-Gedächtnis-Konferenz. Luxemburg hat im Falle einer solchen Gleichschaltung viel zu verlieren. Denn liegt der Luxemburger Körperschaftssteuersatz auch über dem europäischen Durchschnitt, so ist es die Vielzahl an möglichen Steuerrabatten, -krediten und -reserven, die Luxemburg als Steuerstandort so attraktiv macht und als Verkaufsargument der Headquartering-Politik der Regierung dient. Es sind dieselben komplizierten Steuerstrukturen, die Jobs schaffen, indem sie eine Vielzahl von Steuerberatern in Lohn und Brot halten.
Rentenreformverfechter Mersch zeigte sich am Montag auch skeptisch gegenüber einem EU-weit harmonisierten Renteneintrittsalter. Das sei nicht überall die richtige Antwort auf die Rentenfrage. Und: „Der Wettbewerb zwischen den Sozialsystemen hat in der Vergangenheit erheblich zur Steigerung des Wohlstandes in Europa beigetragen.“ Weder Juncker, noch der Sozialminister Mars di Bartolomeo (LSAP), deren Einschätzungen darüber, wie nah man der Rentenmauer schon ist, nicht immer deckungsgleich sind, werden sich von Berlin und Paris vorschreiben lassen wollen, in welche Richtung man das Steuer reißen muss, um die Kolli-sion zu verhindern.
Eine konstitutionelle Schuldenbremse, wie es sie in Deutschland gibt, dürfte sogar Finanzminister Luc Frieden (CSV) ins Schwitzen bringen. Ganz konservativer Finanzpolitiker hat er geschworen, die öffentlichen Schulden nicht über die Marke von 30 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt steigen zu lassen und will damit deutlich der Vorgabe der Stabilitätskriterien von 60 Prozent bleiben. Doch die deutsche Schuldenbremse sieht vor, dass die strukturelle Nettokreditaufnahme maximal dem Äquivalent von 0,35 BIP-Prozentpunkten entsprechen darf. Übertragen auf den Luxemburger Haushalt 2011 wären das ungefähr 140 Millionen Euro. Frieden will, nachdem 2010 zwei Milliarden Euro Neuschulden gemacht wurden, 2011 500 Millionen Euro leihen, und davon jeweils 100 Millionen dem Straßen- und dem Schienenbaufonds zuleiten.
Doch nicht nur der Inhalt, auch die Form bereitet Probleme. Der „Pakt“ ist als zwischenstaatlicher Vertrag gedacht. Ob nur die Euro-Staaten mitmachen sollen oder auch EU-Staaten, die der Einheitswährung nicht beigetreten sind, darüber scheinen sich auch Merkel und Sarkozy selbst noch nicht so ganz im Klaren zu sein. Sicher ist hingegen: Mit ihrem Vorschlag umgehen sie alle Institutionen der EU. Die Kommission wird ihres Initiativrechts beraubt, das Parlament seines Mitentscheidungsrechts. „Das ist nicht ungefährlich, vor allem für kleine Mitgliedstaaten, weil die Kommission das Allgemeininteresse wahren muss“, gab Mersch am Montag zu bedenken. „Die Kommission erhält hier den zweiten Preis und das Europaparlament den dritten“, sagt der grüne EU-Abgeordnete Claude Turmes. Doch auch das vorsorglich kalibrierte Stimmrechtsgefüge im Ministerrat droht aufgrund unterschiedlicher Mitgliederlisten durch einen solchen Pakt außer Kraft gesetzt zu werden. Wie das, wie auch immer geartete institutionelle Gefüge, das sich aus dem Pakt ergeben könnte, dann in die Gremien der Währungsunion eingefügt werden könnte?
Dennoch kann Yves Mersch dem Pakt auch Gutes abgewinnen. „Das ist das erste Mal, dass anerkannt wird, dass die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Mitgliedstaaten unweigerlich zur Krise führen muss. Deswegen müssen Maßnahmen getroffen werden, damit diese Divergenzen in punkto Inflation und preisliche Wettbewerbsfähigkeit nicht größer werden“, unterstrich der BCL-Chef. Die Vorschläge der Kommission und der vom Ratspräsidenten Herman Van Rompuy geleiteten Arbeitsgruppe reichten indes nicht aus. Sollte man sich verbindlich auf eine Reihe von Standards festlegen können, auf Basis derer man die Wettbewerbsfähigkeit in verschiedenen Bereichen messen würde, wäre das ein Fortschritt, so Mersch.
Andere würden ihm widersprechen. Sie sehen keinen Mehrwert gegenüber den sechs legislativen Vorschlägen, welche die Kommission vergangenen Oktober zur Verbesserung der wirtschaftlichen Koordinierung vorlegte. Denn wie streng und ambitiös das von der EU-Kommission vorgeschlagene Verfahren wegen übermäßiger Ungleichgewichte (EIP) wird, ist überhaupt noch nicht entschieden (d’Land 8.10.2010). Die Finanz- und Wirtschaftskommission des Europaparlaments arbeitet derzeit mit Hochdruck an den Vorschlägen zur Verbesserung der Wirtschaftskoordierung, damit rechtzeitig zum Frühlingsgipfel die Posi-tionen des EP vorliegen, teilte der EP-Abgeordnete Robert Goebbels (LSAP) mit. Im Rahmen dieses Verfahrens sieht die Kommission ein Scoreboard von Indikatoren vor, aufgrund derer die Wettbewerbsunterschiede gemessen werden sollen. „Genau darum wird in den kommenden Wochen hart gekämpft werden“, sagt ein Insider. „Manche Indikatoren liegen auf der Hand. Doch wie die Pegel definiert werden, innerhalb derer ein Land im grünen Bereich ist, wann Alarm ausgelöst wird und, ob dies automatisch passieren soll, ist noch offen.“
Dass sich Deutschland, das, man erinnere sich zurück an das traute Treffen von Sarkozy und Merkel in Deauville, vergangenen Oktober darauf verzichtete, automatische Strafen für Defizitsünder durchzusetzen, den Atem für diese Verhandlungen hätte sparen sollen, sieht wohl nicht nur der Vorsitzende der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker so, der Merkel beim Gipfel ziemlich aggressiv angegangen sein soll. Kein anderes EU-Land hat sich bisher wirklich hinter den Pakt gestellt. Luxemburg hat seinerseits darauf bestanden, in den Schlussfolgerungen darauf hinzuweisen, dass im „Rahmen der Verträge“ nach einer umfassenden Strategie zur Stabilisierung des Währungsraumes gesucht werde und in der Zwischenzeit alle, so wie es das Europäische Semester vorsieht, ihre Stabilitäts- und Reformprogramme einreichen sollen.
So fragt sich nicht nur Turmes, ob der „Pakt“ nicht eigentlich eine dem deutschen Publikum gewidmete Schau war. „Die völlig inakzeptable Vorgehensweise, der faktuell dürftige Inhalt – entweder sind sie extrem stümperhaft vorgegangen, sie sind extrem arrogant oder es war, und das ist am wahrscheinlichsten, eine innenpolitische Aktion.“ Merkel, meinen auch andere Beobachter, habe im Hinblick auf die vielen 2011 anstehenden Landtagswahlen agiert. Beim EU-Gipfel im März soll auch der ständige Euro-Stabilisierungsmechanismus endgültig Form annehmen. Dann wird Deutschland nicht umhinkommen, seine finanzielle Beteiligung am Stabilisierungsmechanismus auszubauen. Um diesen Preis, so sollte den deutschen Wählern signalisiert werden, müssen die anderen EU-Bürger den Gürtel ebnso eng schnallen wie sie selbst.