Als er drei Minuten zu spät zur Verabredung ins Café Knopes eilt, entschuldigt sich Kiyan Agadjani erst einmal etliche Male. Der iranische Luxemburger, Jahrgang 1998, in Kaki-Veste und senffarbenem Rollkragenpulli, mit buschigen Augenbrauen und Schnurrbart, bereitet sich gerade auf die Premiere seines Kurzfilms Arman & Elisa beim Luxembourg Filmfestival in der Reihe „Shorts made in/with Luxembourg“ vor. Darin trifft Arman (gespielt von Shayan Arendt), ein iranischer Junge der gerade in Luxemburg angekommen ist und keine der Landessprachen beherrscht, in der Grundschule auf Elisa (gespielt von Elise Krieps, Tochter von Vicky Krieps). Eine zaghafte Freundschaft entsteht zwischen den beiden, sie vergleichen ihre Pausenboxen, deren Inhalt sich voneinander unterscheidet – und sie kommunizieren, ohne die passenden Worte zu kennen. Es ist ein kindlicher Blick, der sich hier auf den interkulturellen Integrationsprozess zeigt – Luxemburg wird etwa mit Colette a Fernand und Quiddegebeess konnotiert – und der ein lustiges, sprachliches Missverständnis als gelungene Metapher für ebenjenen Prozess nutzt.
„Ein autobiografischer Film ist es nicht“, sagt Kiyan Agadjani. Sein Aufwachsen kann man als klassisch luxemburgische Mittelklasse bezeichnen: Als Sohn eines Maler-Architekten und einer studierten Kunsthistorikerin in Esch/Alzette aufgewachsen, nimmt er Musik- und Klavierunterricht am Konservatorium, macht dann Abitur am LGE, literarische Sektion. Das Ganze allerdings mit iranischem Einschlag, zuhause wurde Persisch gesprochen. Aus dem Minett geht er dann nach Großbritannien fürs Studium, wo er an der University of Kent einen Abschluss in Film macht, und seinen ersten Kurzfilm, George Barton, über Analphabetismus bei Erwachsenen dreht. Für Menschen mit Migrationshintergrund ist es fast schon zum Klischee mutiert, „irgendwo zwischen den Kulturen“ zu stehen – und doch nutzt Kiyan Agadjani diesen Ausdruck selbst. Wobei, schiebt er ein, eigentlich sei er hauptsächlich Luxemburger „mat e bësse Sumach drop“ (ein Gewürz, das in der iranischen Küche benutzt wird, Anm.d.Red). Luxemburg ist seiner Ansicht nach seit Generationen in einer permanenten Identitätskrise, bei der keiner richtig den Finger darauflegen kann, was die Kultur und Sprache eigentlich ausmachen, und wie die Kulturen hierzulande ineinander greifen.
In Arman & Elisa verarbeitet der Regisseur auch eine gewisse Art des Andersseins, die sich durch sein Leben gezogen hat. „Es zeigt sich in Luxemburg auf sehr subtile Weise, in der Art, wie man Menschen begegnet, in der Sprache. Das Anderssein wird einem durch Nuancen vermittelt, denen man sich in diesen Momenten nicht unbedingt bewusst ist“. Das sei Teil der Realität im Land, auch wenn man sie oft nicht als solche begreife, auch wenn man sich generell wohl und aufgehoben in einer Gesellschaft fühle. „Das Umfeld, das wir Kindern, die hier ankommen, bieten, ist äußerst wichtig. Wir sind dazu verpflichtet, die Wichtigkeit von Empathie zu vermitteln“, sagt er. Er klingt überzeugt, fast schon übermäßig idealistisch. „Die Ambition, die Welt zu verändern, habe ich nicht. Aber wenn ein Zuschauer ein bisschen darüber nachdenkt, verzeichne ich das als Gewinn.“
Die Möglichkeit, hierzulande von Filmförderung und – im Vergleich zum Ausland – besseren Perspektiven im Filmgeschäft zu profitieren brachten ihn dazu, zurück nach Luxemburg zu kehren. Neben seinen Tätigkeiten als Regisseur und Drehbuchautor arbeitet er auch als Regieassistent. Vorrangig, um Geld zu verdienen. Doch dies habe ihm in den letzten Jahren auch eine ganzheitlichere Vision des Mediums Films ermöglicht. Dabei ist er schon früh in Kontakt mit den Klassikern gekommen, schaut sich die Filme von Scorsese, de Palma, Chaplin und Buñuel in der Schulzeit an, inspiriert von seinem Englischlehrer Jean-Marc Lantz, der ihm eine annotierte Kopie von 1001 Movies you must see before you die in die Hand drückt. Später kommen dann die Werke der iranischen Filmemacher, jene, die unter schwierigen Bedingungen im Iran ihre Filme drehten und drehen (Jafar Panahi, Abbas Kiarostami, Ashgar Farhadi – „ein kleines Fenster in mein anderes Land“) und jene, die in der Diaspora ein eigenes, hybrides Filmgenre geschaffen haben (Ana Lily Amirpour, Marjane Satrapi).
Kiyan Agadjani wirkt wie ein Go-Getter, voller Tatendrang und Ambition, proklamiert seine Liebe zum Kino mit Verve, und, wie auch andere Vertreter/innen seiner Generation, ist er scheinbar kaum von Selbstzweifeln geplagt. Täuscht dieser Eindruck? Er mache sich natürlich Druck, und vor den mannigfachen Erwartungen an sich selbst, die auch durch Vergleiche mit anderen entstehen, sei er nicht gefeit, sagt er. Auch die Polykrisen, die die Welt heimsuchen, empfindet er als belastend. Die politische Zuspitzung in der Islamischen Republik samt Protesten sind in seiner Familie regelmäßig Gesprächsthema und, wie für so viele Iraner/innen in der Diaspora, „mit einer unglaublichen Traurigkeit und Melancholie verbunden, die sich auch auf mich überträgt. Ich kann mir keinen wichtigeren Kampf vorstellen als den, der gerade dort stattfindet.“ Das Thema der Identität hat seinen Weg irgendwie in Arman & Elisa gefunden, und Kiyan Agadjani schließt auch nicht aus, dass es wieder auftauchen könnte. Allerdings will er sich nicht darauf reduzieren, immerhin sei das nur ein Aspekt seines Lebens.
Dass das Kino zugunsten von Streaming-Services je aussterben könnte, kann er sich nicht vorstellen. Dafür sei das kollektive Erlebnis, gemeinsam in einem dunklen Raum gebannt auf den Bildschirm zu schauen und einer Geschichte zu folgen, viel zu stark. Nichtsdestotrotz hat er einen eher pragmatischen Blick auf die Vermarktung seiner Filme. Nach einem Festival-Run, einem Feiern des Films und seines Stabs, soll das Werk gerne von so viel wie möglichen Menschen online gesichtet werden. George Barton etwa steht seit einem Jahr frei verfügbar im Internet – sicherlich auch, weil Kiyan Agadjani sich noch ganz am Anfang seines Weges in der Filmindustrie befindet.
Der kindliche Blick, den man in Arman & Elisa und auch in George Barton findet, liegt ihm am Herzen. Auch deshalb hat er sich für bunte Farben im Setdesign entschieden, für eine Art Bilderbuch-Ästhetik (Arman lernt mit Meng éischt dausend Wierder op Lëtzebuergesch seine ersten Wörter, genau wie das bei Agadjani der Fall war). Er hält diesen kindlichen Blick im iranischen Kino für bezeichnend, da die Stimme der Kinder dort für Wahrheit und Unschuld steht. „Man kann Kinder Dinge sagen lassen, die die Erwachsenen nicht äußern können.“ Die Vision in Agadjanis Filmen befindet sich noch in Kinderschuhen, vor allem die Dialoge sind verbesserungsbedürftig, doch künstlerisches Potenzial besteht. Seine Ambition ist, einen Spielfilm zu drehen, aber vorher will er sich noch an weiteren Shorts versuchen: „Ich will nur etwas erzählen, wenn ich davon überzeugt bin.“