Die Marschrichtung stimmt. Ihre erste Mitteilung im neuen Jahr widmete die Verbraucherschutzvereinigung ULC ausgerechnet dem totgesagten Wohnungsbaupakt – und sie fand positive Worte. Die Maßnahmen könnten dazu beitragen, dass künftig mehr Wohnungen gebaut und zu niedrigeren Preise angeboten würden, so das Fazit. Wenn das keine Ehrenrettung ist.
Wenige Tage zuvor hatte die ADR den Text als „kommunistisch und dirigistisch“ verdammt – und seinen Rückzug gefordert.Mit den populistischen Kampfbegriffen, nicht aber mit der Kritik als solcher steht die ADR nicht alleine. Der Präsident der Eigentümervereinigung, Rechtsanwalt Georges Krieger, attackierte den Pakt im Tageblatt als eine „Totgeburt“. Auch Parteien wie Déi Gréng und DP, der Syvicol und der Staatsrat haben den Entwurf bisher überaus kritisch bewertet. In seinem Gutachten EndeNovember hatte das Hohe Gremium 13 formelle Oppositionen gegen den – überarbeiteten – Gesetzentwurf von Wohnungsbauminister Fernand Boden (CSV) erhoben.
Zur Liste der Skeptiker wird auch Dieter Ewringmann von der Uni Köln gezählt. Der Finanzwissenschaftler hatte imSommer 2007 im Auftrag des Mouvement écologique ein Gutachten zum „Pacte Logement“ verfasst (d’Land vom 15.06.07) und darin gewisseEinwände des Staatsrates – verfassungsrechtliche Bedenken etwabei der Steuerbegünstigung von Baulandeigentümern, die an Staat oder Gemeinden verkaufen – vorweg genommen. Anders als manch einer glauben machen will, ist Ewringmann aber nicht gegen den Pakt an sich.
Die Kritiker teilen sich in zwei Lager: Jene, die staatlichen Interventionen grundsätzlich als „Dirigismus“ ablehnen und den Pakt insgesamt verhindern wollen. Und jene, die den Pakt zwar prinzipiell begrüßen, ihn aber als schwammig und inkohärent kritisieren und Verbesserungen fordern. Zu letzterer Gruppe gehört DieterEwringmann. Nachdem er mit seiner Aussage, es gebe in Luxemburg keine Wohnungsnot, für Aufsehen gesorgt hatte, war die Studie wieder in der Versenkung verschwunden. In der Diskussion tauchen seine immerhin auf 46 Seiten ausformulierten Beobachtungen kaum noch auf. Lediglich seine Einschätzung, Instrumente wie Vorkaufsrecht, Spekulationssteuer und Steuervergünstigungen seien eher nicht geeignet, den Preisauftrieb auf dem Wohnungs- und Baulandmarkt zu drosseln, wurde registriert. Vor allem von Reformgegnern. Dass Ewringmann die Vorschläge des Pakts als „erste Schritte in eine notwendige Reformrichtung“ begrüßt hatte, ist in der Kakophonie der Gegenstimmen untergegangen.
Es gibt derzeit gute Gründe, an dieses Gutachten zu erinnern. Seine provokante These hat Ewringmann präzisiert: Wohnraum und Bauland sind Statistiken zufolge ausreichend vorhanden. Die Frage ist weniger, ob es genügend Wohnraum und Bauland gibt, sondern vielmehr, wer sich bei gegebenen Marktpreisen eine Wohnungrespektive ein Grundstück in Luxemburg leisten kann – und wasfür eine/s. Gering verdienende Familien müssen mit weniger Wohnfläche auskommen als besser verdienende. Dass zunehmend Menschen mit mittleren Einkommen Mühe haben, etwas Passendes zu finden, ist ebenfalls nicht neu. Viele von ihnen ziehen auf die andere Seite der Grenze – ohne ihre Wohnansprüche groß zu verändern. Mit dem Effekt, dass dort einsetzt, was sich im Ösling und anderswo in Luxemburg beobachten lässt: Einfamilienhäuser im Grünen sorgen für zersiedelte Dorfstrukturen, der Flächenverbrauch schreitet voran, die Immobilienpreise ziehen an. Mit nachhaltiger Landesplanung hat das nicht viel zu tun.
Genau diese Entwicklung hatte Ewringmann in seiner Analyse hinterfragt: Ein Lebensstil, der das Eigenheim im Grünen, mit Garage und Garten als vorrangig erstrebenswerte Lebensform propagiert, war der Grund, warum er vor einer rein Preis dämpfenden Wohnungsbaupolitik warnte und von einem zu allgemein gefassten Instrumentarium zur Baulandmobilisierung abriet: „Eine kurzfristige Mobilisierung von Bauland zur Erhöhung des Angebotes mag zwar unter sehr speziellen Bedingungen preisdämpfend wirken und die gegenwärtig lebenden Generationen entlasten. Zugleich werden aber die künftigen frei disponiblen Flächenpotenziale bschnitten und die Knappheitsfolgen mitsteigenden Preisen auf die Zukunft verschoben.“ Eine Einschätzung,die Christian Schulz, Professor für Raumplanung an der Uni Luxemburg, teilt. „Dem Nachhaltigkeitsgedanken wird im Gesetzentwurf zum Wohnungsbaupakt wenig Rechnung getragen“, sagt Schulz dem Land. „Das Problem des hohen Flächenverbrauchs ist damit noch nicht aus der Welt.“ Es sei „unabdingbar“, künftig verdichteter zu bauen.
Den Staatsrat kümmert dieses Problem nicht weiter, er sorgt sich um das Recht der Eigentümer und zuviel Staatsintervention. Das überrascht nicht: Es ist nicht das erste Mal, dass das Hohe Gremium in solchen Fragen eine wirtschaftsliberale Position einnimmt. Außerdem kann man dem Rat kaum zum Vorwurf machen, was der Wohnungsbauminister selbst versäumt hat: Der Nachhaltigkeitsgedanke ist in seinem Entwurf mehr Nebenaspekt denn Leitfaden. Politische Priorität, wie vom Premierminister angekündigt, hat die Ressourcen schonende Landesplanung beim Wohnungsbaupakt nicht. Und wie das Beispiel Wickringen beweist, auch nicht in anderen Planungsdossiers.
Bodens Entwurfs zielt in erster Linie darauf ab, Preise zu senken und den Gemeinden zu helfen, Bodenreserven anzulegen.Wo und nach welchen Kriterien sie kaufen und bebauen, darüber verlor der Ursprungstext wenige Worte. Nach Änderungen durch die Parlamentskommission sollen Gemeinden dazu verpflichtet werden, „d’assurer une certaine mixité sociale de leur population et deviser une utilisation rationnelle du foncier par une densité de bâti appropriée“. Was viel Interpretationsspielraum lässt. Der Passus, wonach Gemeinden, die seit 2003 um mehr als ein Prozent jährlich gewachsen sind, ebenfalls die 4 500 Euro pro zusätzlichen Einwohner erhalten können, ist geblieben. Womit auch dem IVL klar widersprechende Wohnungsbauinitiativen belohnt werdenkönnen – finanziert durch Steuergelder, die man besser für nachhaltigen sozialen Wohnungsbau verwenden könnte. IVL-Gemeinden können zudem mit bis zu 70 Prozent höherenZuschüssen rechnen, sofern sie Wohnungen bauen, „qui tendent à faciliter l’accès au transport public, qui permettent un développement harmonieux adapté au voisinage immédiat et qui respectent une densité de bâti d’au moins 25 logements par hectare“. Qui tendent...?
Zu den schwammigen Formulierungen kommt hinzu, dass die Sektorpläne für den Wohnungsbau ebenso wie für Gewerbegebiete fehlen. Daniel Miltgen, oberster Beamter im Wohnungsbauministerium, begründete dies im Wort damit, manbrauche zunächst Instrumente, um die Sektorpläne umzusetzen – undstellte so mal eben die übliche Projektplanung auf den Kopf.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Um wirksame zielorientierte Instrumente zu entwickeln, müssen erst Problem und Lösungsweg bekannt sein. Das erklärt vielleicht, warum im Pakt die Baulandsteuer als Mittel zur Preisstabilisierung aufgeführt ist, obwohl europäische Experten bezweifeln, dass sie dazu überhaupttaugt. Und um Druck auf Spekulanten zu machen, brach liegendesLand doch zu bebauen oder zu verkaufen, müsste die Strafsteuer zudem wesentlich höher sein.
Das heißt nicht, dass der Ansatz, den Kommunen eine aktive Baulandpolitik zu ermöglichen, falsch ist. In ganz Europa machen sich Raumplaner und Politiker Gedanken, wie angesichts leerer Kassen, knapper werdender Flächen bei steigendem Bewusstseinfür Lebensqualität sinnvoll mit der knappen Ressource Bodenumgegangen werden kann. Seien dies Vorarlberg, Ruhrpott oder dieSteiermark. „Es ist Aufgabe des Staates, für eine gerechte Umverteilung zu sorgen und die Lebensqualität künftiger Generationen zu gewährleisten“, begründet Gunther Peternellvom Amt der Steiermärkischen Landesregierung die Bemühungenseiner Regierung, die Baulandhortung in den Griff zu bekommen.Das wissen bestimmt auch der Minister und sein oberster Raumplaner.
Nach Jahrzehnten der Untätigkeit und nicht zuletzt durch das Machtwort des Premiers unter Druck geraten, geht das Ziel, schnell möglichst vieleWohnungen aus dem Boden zu stampfen vor einer nachhaltigen Bauland- und Wohnungspolitik. Er sei kein IVL-Fetischist, hatte Boden im Sommer zugegeben. Auch mitsozialem Wohnungsbau scheint der Minister nicht viel anfangen zu können.
Der Zusatz, dass Gemeinden auch (Miet-)Wohnungen für sozialBedürftige bauen sollen, wurde erst auf Betreiben der LSAP im Text aufgenommen – was erstaunt, ist doch der oberste Beamte im Wohnungsbauministerium zugleich Direktor des Fonds du Logement. Das alte Leitmotiv bleibt unhinterfragt: mehr Luxemburgern ein Eigenheim respektive Wohneigentum zu ermöglichen. Und die eigene Wählerklientel, insbesondere im Osten, nicht zu verprellen. Dass Boden, der zugleich Agrarminister ist, ausgerechnet die Bauern von der Strafsteuer für brachliegendesBauland befreien wollte, spricht da Bände.
Die Pause durch das negative Gutachten vom Staatsrat böte Gelegenheit, um den Pakt zu überarbeiten. Doch die von Ewringmann angeregte Debatte über Ziele einer zukunftsorientiertenWohnungspolitik wurde nicht ergriffen. Aus der Parlamentskommission ist zu hören, die Regierung werde lediglich in zwei, drei Punkten nachbessern. Die umstrittene Kopfpauschale soll bleiben. Gemeinden sollen das Vorkaufsrecht nur für Projekte nutzen, die mit dem Sektorplan Wohnung konform sind. Der soll, so viel Hoffnung darf sein, „demnächst“ kommen.