Mietgesetzgebung

Verdrängungseffekt

d'Lëtzebuerger Land du 15.11.2007

Alarmstimmung in den Wohnungsdiensten der beiden größten Gemeinden Luxemburg und Esch ein Jahr nach Einführung des neuen Mietgesetzes durch die schwarz-rote Regierung. „Wir kommen nicht hinterher“, beschreibt Robert Conrad den hauptstädtischen Wohnungsmarkt. Rund 300Anfragen für eine Sozialwohnung liegen dem Leiter des Service logement derzeit vor. Vor allem Familien mit geringem Einkommen, Arbeitslose,Sozialhilfeempfänger und zunehmend auch Alleinerziehende stehenauf der Warteliste für die rund 550 städtischen Wohnungen. Steigende Öl- und Wasserpreise sorgen zudem für höhere Nebenkosten – die immer mehr Leute nicht aufbringen können.Konkrete Zahlen, wie hoch der Anteil des Einkommens ist, den insbesondere sozial Schwache mittlerweile für ein festes Dach überm Kopf berappen müssen, fehlen – CEPS/Instead will sie Ende des Jahres vorlegen –, aber Conrad ist sich sicher: „Der Anteil steigt rasant.“

Dagegen seien die befürchteten massenhaften Reklamationen nach Inkrafttreten des neuen Mietgesetzes am 1. November 2006 bislang ausgeblieben – was aber nicht viel heißen muss: „Die Mietkommission verzeichnet einen leichten Rückgang der Beschwerden. Wir wissen aber nicht, wie viele Menschen sich aus Angst, später vor die Tür gesetzt zu werden, gar nicht erst trauen, unberechtigte Mietpreisforderungen anzufechten.“ Im Vergleich zu früher erfolgten mehr Kündigungen wegen Eigenbedarfs, so Conrad weiter. Das neue Gesetz sieht hier schnellere Prozeduren vor.Bei einer Kündigung wegen Eigenbedarf muss ein Mieter sofort Rekurs einlegen – für sozial Benachteiligte eine ziemliche Hürde. „Hier wurde die Chancengleichheit völlig aus dem Gleichgewicht gebracht“, sagte vor kurzem sogar Georges Krieger dem Tageblatt, als Präsident der Union des propriétaires einer einseitigenParteinahme zugunsten der Mieter eher unverdächtig.

Das sieht Vera Spautz, Sozialschöffin der Stadt Esch, genauso. In der Minettemetropole zählte dasWohnungsamt seit dem 1. November vergangenen Jahres 327 neue Anfragen, vor fünf Jahren waren es 222. „Das ist Wahnsinn“, sagt Spautz. Der drastische Anstieg sei eine unmittelbare Folge des „neuen Machtverhältnisses zwischen Vermieter und Mieter“. Auch wenn bisher keine Evaluationder gesetzliche Auswirkungen vorliege (die soll kommen), kenne sie etliche Fälle, in denen Eigentümer die neue Rechtssituation genutzt hätten, um die Miete anzuheben. Weil sie den Geldforderungen nicht nachkommen könnten, verschulden sich die Betroffenen – oder sie wenden sich in ihrer Verzweiflung an die Stadt. Die 400 Gemeindewohnungen aber reichen nicht aus, um alle unterzubringen. Nun rächt sich, dass nach der Stahlkrise imMinette nicht beziehungsweise nicht genügend in den kommunalen Wohnungspark investiert wurde. Inzwischen hat die Stadt zwar den veralteten Bestand renovieren lassen und diverse Wohnbauprojekteangekurbelt – trotzdem reicht es hinten und vorn nicht.

Ein Ende der Misere ist nicht abzusehen. Mit der Uni in Esch-Beval wird sich die Lage zuspitzen. Zehntausend Studenten, Forscher und Professoren werden bis 2020 erwartet, 3 500 sollen in der Südregion leben und arbeiten. Die Stadt möchte eine Ghettoisierung auf einer reinen Campus-Uni unbedingt vermeiden – was zusätzlichenDruck auf die schon fast auf Hauptstadtniveau gestiegenen Preiseschaffen wird. Der Bericht der siebten Escher Assises Sociales, der vor kurzem der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, widmet sich ausgiebig der Wohnungsfrage. Ein Wohnheim in der Innenstadt, Studentenwohnungen auf den Nonnewisen und auf dem Campus sollen den größten Druck nehmen. Auch plant die Stadt, baufälligeWohnungen aufzukaufen und zu sanieren. Bei den Privatzimmernrund um dem Bahnhof und im Brillviertel, in denen polizeilichen Schätzungen zufolge derzeit rund 1 000 Personen wohnen, oft mehr schlecht als recht, sehen die Verantwortlichen ebenfalls Potenzial für Studentenzimmer.

Was aber passiert dann mit all den anderen, die ebenfalls eine Wohnung suchen? „Bei der Schaffung von Wohnraum für Studenten kann sichdie Frage der Verdrängung von sozial schwachen Einwohnern stellen“, warnt der Bericht der Assises Sociales. Der Staat bezuschusst den Bau neuer Studentenheime zu hundert Prozent, den von Sozialwohnraum aber „nur“ zu 75 Prozent. In Esch hat die Uni privat 23 Studentenzimmer angemietet: für 200 bis 350 Euro, mitten in der Innenstadt. Warum nicht Obdachlose und Wohnungssuchende bei der Uni einschreiben, witzeln Escher Sozialarbeiter. Hinter der bösen Ironie steckt die berechtigte Sorge, die eigene Klientel könnte im Wettstreit mit den Studenten künftig noch mehr ins Hintertreffen geraten: Weil sie als problematisch gilt, scheuen Vermieter sie als Mieter.

„Da wächst womöglich eine immens ungesunde und explosive Situation heran“, fürchtet Vera Spautz. Um neuen kommunalen Wohnraum zu akquirieren, fordert die Sozialschöffin einen größeren Etat – sowie die Unterstützung durch andere Gemeinden. „Die soziale Frage geht nicht nur Esch und Luxemburg etwas an.“ Ihre Forderung, sozialen Wohnungsbau im Wohnungsbaupakt verbindlich festzuschreiben und mit klaren Richtgrößen zu versehen, wurde vom CSV-geführten Wohnungsbauministerium nicht zurückbehalten. Diejenigen, die jetzt dringend eine bezahlbare Bleibe suchen, wird das kaum kümmern. Für sie kommt der Pakt ohnehin um Jahre zu spät. 

Ines Kurschat
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