Kurz vor der Sommerpause hat die Demokratische Partei noch einmal so richtig aufgedreht. Mit markigen Worten kritisierte Fraktionspräsident Claude Meisch auf dem letzten Oppositionsbriefing vor den Ferien die Politik der schwarz-roten Regierung. Auf die Territorial- und Landesplanung der CSV hatte es der Abgeordnete besonders abgesehen. Die Regierungspartei sei mit ihrem Dirigismus und ihrer mangelnden Transparenz "dabei, alles kaputt zu machen", zitierte das Parteiblatt Journal den Liberalen.
Dass sich ausgerechnet Meisch neuerdings zum Verteidiger der Demokratie aufspielt, hat in erster Linie taktische Gründe, befindet sich die Partei doch aktuellen Umfragen zufolge weiterhin im freien Fall. Es ist zudem wenig glaubwürdig: Bei einer Gemeinderatssitzung im Mai musste sich der Differdinger Bürgermeister einen ähnlichen Vorwurf von der Opposition gefallen lassen. In einem wichtigen Baudossier hatte die Gemeindeleitung, also Meisch, es nicht nur versäumt, die Umweltkommission mit in die Planungen einzubeziehen - auch die Bauten- und Planungskommission wurde nicht um ihrer Meinung zu den geänderten Bebauungsplänen gefragt, obgleich das Gemeindegesetz dies vorsieht.
Der Liberale ist allerdings nicht der einzige, der dieser Tage etwas am politischen Stil der Christlich-Sozialen auszusetzen hat. Und die Territorial- und Landesplanung ist auch nicht der einzige Bereich, in dem die Vorgehensweise der CSV bei den anderen Parteien vermehrt für Ärger und Empörung sorgt. Auch im Wohnungsbaudossier, mit der Landesplanung eng verbunden, ist die Kritik nicht weniger geworden; dabei hat der Regierungsrat am vergangenen Freitag die vom Wohnungsbauminister Fernand Boden im Juni angekündigte Konvention zwischen Staat und Gemeinden angenommen.
"Wir haben keine Ahnung, was dort besprochen wurde", schimpft die Escher Abgeordnete und Wohnungsexpertin Vera Spautz (LSAP). Die Minette-Metropole war eine der ersten Gemeinden, die sich nach dem Versprechen von Premierminister Jean-Claude Juncker, den seit Jahren beschworenen Pakt zwischen Staat und Gemeinden für mehr Wohnungsbau endlich Taten folgen zu lassen, beim zuständigen Ministerium gemeldet und ihren Willen zur Zusammenarbeit bekundet hatte. "Außer einem kurzen Brief haben wir seitdem nichts mehr gehört", sagt Spautz.
Als Grund für die monatelange Funkstille gab Wohnungsbauminister Fernand Boden dem Land gegenüber an, er habe zunächst die Abstimmung durch den Regierungsrat abwarten wollen. Ab Oktober sollen dann erste Gespräche mit interessierten Kommunen erfolgen und, gegebenenfalls, über den Abschluss einer Konvention beraten werden. "Etwa ein Dutzend" Gemeinden seien es, die sich schriftlich gemeldet haben, einige weitere hätten mündlich ihre Kooperationsbereitschaft signalisiert, so der Minister, der sich "optimistisch" darüber äußerte, dass sich bald noch mehr Interessenten melden würden.
Der Optimismus überrascht, gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt doch starke Argumente, die dagegen sprechen, dass der Wohnungsbaupakt zu jener Erfolgsstory werden wird, die sich die CSV so dringend herbeiwünscht. Vor allem bei der Kooperation und Kommunikation scheint einiges im Argen zu liegen. Gefragt, was sie vom neuen Pakt halten und ob sie gedenken mitzumachen, weisen Gemeinden im ganzen Land darauf hin, noch zu wenig über die Pläne des Wohnungsbauministeriums zu wissen, um konkrete Aus- oder Zusagen machen zu können.
Dass dies keine billigen Ausflüchte sind, zeigt ein Blick auf die Konvention: Dort sind zentrale Fragen noch ungeklärt. Minister Boden verspricht, den Inhalt im Herbst "im direkten Gespräch" mit den kommunalen Verantwortlichen erläutern zu wollen, schließlich sehe die Situation von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt anders aus. Wie aber steht es um die - alle Gemeinden betreffenden - Vergabekriterien bei der Kopfpauschale in Höhe von 4 500 Euro pro zusätzlichen Einwohner, die Gemeinden vom Staat bekommen sollen, die binnen zehn Jahren mehr als 15 Prozent wachsen? Wird bereits erfolgtes Bevölkerungswachstum der vergangenen Jahre bei der Berechnung berücksichtigt, oder gilt die Offerte ab dem Moment, wenn Gemeinden mit dem Staat eine entsprechende Vereinbarung unterschrieben haben?
Falls Letzteres zuträfe, könnte dies ungerechte Folgen haben. Eine Gemeinde wie die Stadt Luxemburg, in der noch viele Baulücken existieren und deren Bürgermeister jüngst angekündigt hat, mehr Wohnungen schaffen zu wollen, würde höchstwahrscheinlich in den Genuss der staatlichen Zuwendungen kommen. Die finanzstarke Hauptstadt braucht diese Geldspritze jedoch weniger dringend als andere Kommunen. Überdies wird sie im Nachhinein quasi für eine passive und landesplanerisch fahrlässige Politik belohnt: Immer mehr Menschen ziehen aus Luxemburg fort, weil sie sich die hohen Mietpreise nicht mehr leisten können oder weil sie keine Wohnung mehr im Zentrum finden. Trotzdem wandeln Eigentümer in der Hauptstadt weiterhin Wohnungen in ertragreicheren Büroraum um - ungehindert und ungestraft, seit Jahrzehnten. Randgemeinden wie Bartringen, Hesperingen oder Frisingen, die in der Vergangenheit über die Maße gewachsen sind, haben eine Entlastungsfunktion für die Hauptstadt übernommen. Am Rande ihrer Aufnahmekapazität angekommen, gehen sie nun womöglich leer aus.
Auf etwa zehn Millionen Euro hat das Wohnungsbauministerium die Kosten geschätzt, die dem Staat durch Kopfpauschale und weitere, im Wohnungspakt vorgesehene Zuschüsse zusätzlich entstehen. Wer aber bekommt dieses Geld: diejenigen Gemeinden, die zuerst beim Wohnungsbauministerium angeklopft haben, nach dem Prinzip: first come, first served? Oder doch besser diejenigen Gemeinden, deren Lage und Beschaffenheit den Kriterien des Integrativen Verkehrs- und Landesentwicklungskonzepts (IVL) am ehesten entsprechen? Schon jetzt mehren sich Stimmen, die für eine flexiblere Anwendung der IVL-Kriterien plädieren, nicht zuletzt im Landesplanungsministerium selbst. "Solange die Situation am Wohnungsmarkt so angespannt bleibt, bekommen wir keine IVL-Konformität", schwächt Romain Diederich, Leiter der Direktion für Landesplanung im Innenministerium allzu große Erwartungen vorsorglich ab. Angesichts von mehreren großen, parallel laufenden Planungen sei es unvermeidbar, dass "unser vielleicht perfektes Kartenhaus von der Realität überholt wird".
Spätestens an solchen Aussagen wird deutlich, dass es sich bei der Vergabeprozedur keineswegs um ein nebensächliches Detail handelt. Offenbar sind die politischen Spitzen in Wohnungsbau- und Landesplanungsministerium mittlerweile so weit, die eigenen verkehrs- und siedlungspolitischen Prinzipien fahren zu lassen, um die bis dato unzureichende Wohnungsbaubilanz aufzupolieren. Angesichts der eklatanten Wohnungsnot sind derartige Überlegungen vielleicht sogar berechtigt, allerdings gehen sie nicht nur die nationale Politik etwas an. Diesbezügliche Entscheidungen betreffen die Lebensqualität in den Dörfern und Städten unmittelbar. Da erscheint es eigentlich nur logisch, die kommunalen Verantwortlichen als in die Diskussion um die weitere Verfahrensweise partnerschaftlich einzubinden.
Davon kann allerdings nicht die Rede sein. Während ausländische Landesplaner von "Gegenstrom"-Plankonzepten und Vernetzung sprechen und einer frühen Einbindung der betroffenen Akteure das Wort reden, herrscht in Luxemburg weiterhin die altbekannte parternalistische Arbeitsweise und die Stilles-Kämmerlein-Praxis vor. Statt ihnen Informationen und Plattformen zur Verfügung zu stellen, sind Gemeinden von wichtigen Debatten und Planungsschritten ausgeschlossen. Bei der Gestaltung des Wohnungsbaupaktes waren Vertreter des Gemeindeverbands Syvicol nicht dabei. Die Begründung des Ministers, die Wahlen seien dazwischen gekommen und dies habe die Kommunikation mit der Gemeindevertretung erschwert, ist schwach. Schließlich liegen die Wahlen schon eine Weile zurück und funktioniert der Syvicol, wenngleich kommissarisch, weiterhin. Wenn schon ein Gesundheitsminister als Beobachter in der interministeriellen Arbeitsgruppe von Landesplanungs- und Wohnungsbauministerium mit am Tisch sitzt, warum lässt sich dann kein Weg finden, die Gemeinden bei den laufenden Arbeiten zum Sektorplan einzubeziehen?
Vorläufige Ergebnisse des ersten Moduls des Sektorplans Wohnungen wurden Abgeordneten in der parlamentarischen Wohnungskommission bereits vor Wochen vorgestellt. Die Gemeinden dagegen, die später nach diesem verbindlichen Plan bauen müssen, wissen bisher offiziell nichts über den Stand der Arbeiten. Fernand Boden will eigenen Aussagen zufolge die Ergebnisse lieber "nicht zu früh veröffentlichen", sondern zunächst aus dem Datenmaterial eine Politik entwickeln. Damit beweist der CSV-Politiker einmal mehr seine Vorliebe für den Top-down-Weg; dabei hätten mehr Partizipation und Transparenz den Vorteil, das für die spätere Zusammenarbeit benötigte gegenseitige Vertrauen und gute Gesprächsklima im Vorfeld aufbauen und pflegen zu können.
Womöglich ist der Grund für Bodens Zurückhaltung aber noch ein anderer: Der von einem Wiener Planungsbüro neu berechnete Bedarf an Wohnungen dürfte noch höher ausfallen, als in der Lipp-Studie aus dem Jahr 1993 vorhergesehen. Im Zuge vermehrter Scheidungen und neuer Lebensformen steigt auch die Zahl der Haushalte schneller - und mit ihr der Wohnungsbedarf. Damit wächst aber auch der Druck auf den Wohnungsbauminister und seine Partei, schnellstmöglich messbare Erfolge vorzuweisen.
Der Wohnungsbau steht aber nicht losgelöst von der Landesplanung und dem Innenministerium. Der dortige Minister Jean-Marie Halsdorf, ebenfalls CSV, muss sich nicht nur seit Monaten mit Vorwürfen herumplagen, sein Beamtenapparat sei vom rechtskonservativen Cercle Joseph Bech unterwandert; ihm selbst wurde in zentralen Bereichen wiederholt mangelnde Transparenz und schlechter Führungsstil vorgeworfen: bei der Diskussion um die Gemeindenfinanzen etwa, in der Gewässerfrage oder bei der geplanten Territorialreform. In der entsprechenden parlamentarischen Spezialkommission wird der Ton zwischen den Parteien zunehmend schärfer. Wo sozialistische Abgeordnete wie Jos Scheuer die Vorgehensweise der CSV als "pure Provokation" empfinden und die DP "massiven Widerstand" angekündigt hat, droht der Willen zur Zusammenarbeit nachhaltig Schaden zu nehmen - und die Wohnungsbauoffensive zur Schlitterpartie zu werden.
Gefragt, was er zu tun gedenke, wenn der Pakt scheitern sollte, sagte Wohnungsbauminister Fernand Boden: "Es gibt auch undemokra- tischere Methoden." Echte Zuversicht über eine künftig verstärkte Kooperation und Partnerschaft mit den Kommunen klingt anders.