„Recycling? Sou heescht dat? Ech schaffen am Rizeikli. Grad sou gutt. Ass dach egal.“ – mit diesen Worten beginnt der neue Roman von Tania Naskandy. Mittlerweile ist hinlänglich bekannt, dass es sich bei diesem Namen um das schriftstellerische Alter Ego von Guy Rewenig handelt, das sich Rewenig als Autorpersona für die verhältnismäßig kurzen Romane des Naskandy-Projekts ausgedacht hat. Dieser Name ist ein Label, eine Art Markenname, der, wie man aus den bisherigen Naskandy-Romanen ableiten kann, für die Geschichten kaputter Typen steht, die erfolglos gegen die Mechanismen eines zermürbenden und kranken Gemeinwesens anrennen.
Für Am Bësch gilt das nicht weniger wie für Sibiresch Eisebunn und Feierläscher. Die Hauptfigur ist ein ehemaliger Sträfling, ein junger Mann, der zusammen mit seinem besten Freund durch seine Arbeit im Recycling-Center „resozialisiert“ werden soll. Anders als in den anderen beiden Romanen erzählt Rewenig die Geschichte dieses kaputten Typen in einer entsprechend kaputten Sprache, der man mit Etikettierungen wie „Drastik“ nur behelfsmäßig bekommen kann.
Wieviel hängt schon von einer Bezeichnung ab, vom „korrekten“ Namen für einen Ort, ein Ding, eine Person? „Ass dach egal,“ behauptet die Hauptfigur von Am Bësch. Natürlich ist genau das nicht der Fall.
Dass er diese Romane unter Pseudonym veröffentlicht, bezeichnet Guy Rewenig gern als literarisches Spiel. Auch dieses Mal ist das Buch mit dem Konterfei einer attraktiven Dame und einer ereignisreichen Vita versehen, die die Hauptmotive des Romans in ironischer Manier aufgreift.
Eine Besonderheit von Am Bësch besteht aber darin, dass die Hauptfigur eine Eigenschaft nicht mit Tania Naskandy, sondern mit Guy Rewenig teilt. Wie der Autor des Romans distanziert sich Sven Lammar von seinem richtigen Namen. Er wird von allen, auch von sich selbst, nur „Cowboy“ genannt. So kindisch dieser Name klingen mag, ist er aber nichts weniger als ein Mittel zur Selbstironisierung oder bloßes Spiel. Wo sich der Autor souverän zwischen selbstgeschaffenen Identitäten bewegt, scheitert die Figur am Versuch, den selbst gewählten und den angeborenen Namen in einem Ich zu vereinen. Die Maske wird zur Schutzvorrichtung; unter dem neuen Name will Cowboy mit seiner alten Identität als Sven Lammar nichts mehr zu tun haben, nichts mehr also mit einer völlig verpfuschten Kindheit und dem schrecklichen Ereignis, mit dem diese Kindheit schlagartig zu Ende war.
Seiner ehemaligen Grundschullehrerin, die in ärgerlicher Regelmäßigkeit stapelweise Altpappe ins Recycling-Center bringt und sich unermüdlich um Kontakt zu ihm bemüht, versucht er sogar einzureden, sie täusche sich („Hei gëtt et kee Sven Lammar. Ech heesche Cowboy. Frot mäi Chef.“).
Für Cowboy gibt es nur eine Bezugsperson, nämlich Branko, der einen ähnlichen Lebenslauf hinter sich hat und über ein ungeheueres aggressives Potential verfügt. Es gibt kein größeres Glücksgefühl für Cowboy, als mit Branko auf ihren Hondas durch den Wald zu heizen, viel zu schnell natürlich, und obwohl sich die Spaziergänger unablässig darüber beschweren. Für Cowboy ist Branko bester Freund und Familie zugleich („Mir si Bridder“); er fügt sich Brankos Weisungen, lässt sich zu allen möglichen Delikten überreden und ist unter keinen Umständen bereit, seine bedingungslose Loyalität zu Branko in Frage zu stellen. Diese Loyalität ist der letzte Wert, an dem Cowboy festhält, auch wenn ihm Sozialarbeiter und Vorgesetzte immer wieder klarzumachen versuchen, dass es seine Freundschaft zum ungleich gewalttätigeren Branko sei, die seine Rückkehr in ein „normales“ Leben verhindert.
Rewenig hütet sich davor, die Freundschaft zwischen Branko und Cowboy als romantisches Gegenmodell zu einer gefühlskalten Gesellschaft zu stilisieren: Der Leser erfährt schnell, dass Branko mit seinen Emotionen nicht haushalten kann, dass er Cowboy terrorisiert und gängelt und wirklich meistens der Schuldige ist, wenn die beiden in Schwierigkeiten geraten. Branko ist aber dennoch der einzige Mensch, für den Cowboy unverzichtbar ist, der ihn braucht, der auf ihn angewiesen ist.
Im Entwurf dieser Freundschaft gelingt Rewenig die Darstellung einer noch stärkeren Isolation seiner Hauptfigur. Je fester sich Cowboy an Branko klammert, desto deutlicher wird für den Leser, wie verloren diese Figur wirklich ist. So wenig es eine „Resozialisierung“ für Cowboy gibt, so wenig gibt es ein „Recycling“. Schon in den ersten Sätzen enttarnt Cowboy die Wiederverwertungsideologie als bloße Worthülse. „Wat ass dann hei korrekt? Hei flitt alles op de Koup, Madame. Kass la Barack. Alles Schrott.“
Mit Am Bësch hat Guy Rewenig den düstersten und den radikalsten der bisherigen Naskandy-Romane geschrieben. Die sorgfältige Komposition, die kompromisslose Sprache und die sehr nuancierte Ausarbeitung der Hauptfigur machen diesen dritten Roman zu dem bisher gelungensten der Serie.